Rektorin gab verschlüsselte Warnung "Frau Koma kommt"

Düsseldorf (RP/RPO). Die Leiterin der Albertville-Realschule von Winnenden hat über die Lautsprecheranlage eine verschlüsselte Warnung durchgegeben, nachdem Tim K. das Feuer eröffnet hatte. "Frau Koma kommt" habe sie gesagt, berichtete eine Schülerin im ZDF. Der Warn-Code ist ein Beleg dafür, dass deutsche Schulen sich auf derartige Ereignisse vorbereitet haben.

 Ein Eingang in der Albertville-Realschule, in der Tim K. am Vortag einen Amoklauf verübte.

Ein Eingang in der Albertville-Realschule, in der Tim K. am Vortag einen Amoklauf verübte.

Foto: ddp, ddp

"Das heißt ja Amok rückwärts", erläuterte die Schülerin die verschlüsselte Durchsage. Die Lehrerin habe daraufhin die Tür des Klassenzimmers abgeschlossen. Der Amokläufer war in zwei Klassenzimmer eingedrungen und hatte mit einer großkalibrigen Pistole seines Vaters innerhalb einer knappen Viertelstunde acht Schülerinnen, einen Schüler und drei Lehrerinnen erschossen. Sieben weitere Schüler wurden verletzt.

Der Amoklauf von Winnenden rückt die Frage in den Blickpunkt, wie sicher sich Schulen in Deutschland gegen solche Taten schützen können oder dies schon getan haben. Chris Kuhlpeter (19), Gesamtschüler aus Detmold und Mitglied der NRW-Schülervertretung, stellt sich wie viele andere Menschen auch die Frage: Könnte ein derartiger Amoklauf wie in Winnenden auch in NRW passieren? Seine Antwort: "Das kann überall geschehen." Für ihn ist der hohe Leistungsdruck an Schulen ein wesentlicher Risikofaktor für gewalttätige Ausbrüche: "Es wäre gut, wenn jeder Schüler Zugang zu Sozialpädagogen oder Psychologen hätte."

Metalldetektoren

Von Metalldetektoren am Eingang oder Sicherheitsschleusen hält er nichts: "Wenn einer unbedingt in ein Schulgebäude rein will, dann schafft er das auf jeden Fall."

Ähnlich sieht das auch Schulministerin Barbara Sommer (CDU): "Mir ist wichtig, dass Eltern ihre Kinder unbesorgt zur Schule schicken können. Eines ist aber auch klar: Niemand will unsere Schulen zu Hochsicherheitstrakten machen." Sie habe ihrem Stuttgarter Amtskollegen Helmut Rau angeboten, speziell ausgebildete Schulpsychologen nach Baden-Württemberg zu schicken. In NRW gebe es in jedem Kreis mindestens einen Experten für Krisenintervention. "Wichtig ist auch, genau hinzuschauen und Hilferufe zu erkennen. Hier ist die gesamte Gesellschaft gefordert. Wir brauchen eine Kultur des Hinsehens."

Politiker fordern eine Kultur der Anerkennung

Wolfgang Bosbach, Vizevorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wendet sich ebenfalls gegen den Gedanken, die Schulen zu Hochsicherheitstrakten auszubauen. "Stattdessen müssen wir genau die Ursachen und Hintergründe der Tat aufdecken."

Gabriela Custodis, Vorsitzende der Landeselternschaft der Gymnasien, appelliert an Schüler und Lehrer, mehr auf Einzelgänger in den Klassen zu achten und sie in die Gemeinschaft zu integrieren. Außerdem sollten die Lehrer und Schüler im Internet auf mögliche Androhungen eines Amoklaufes achten und solche Hinweise ernst nehmen.

Absolute Sicherheit gibt es nicht

Die Vorsitzende des Familienausschusses im Bundestag, Kerstin Griese (SPD), ergänzt: "Wir brauchen eine neue Anerkennungskultur für Jugendliche. Wir müssen jeden Jugendlichen mit seinen Problemen ernst nehmen." Für Custodis ist es unerlässlich, die Zahl der Schulpsychologen deutlich aufzustocken. "Aber es muss auch daran gearbeitet werden, die Hemmschwelle bei Eltern und Schülern zu senken, solche Hilfe auch anzunehmen", sagt sie. Sicherheitsmaßnahmen an Schulen hält sie dagegen für weitgehend zwecklos.

Ähnlich sieht das auch Wilfried Albishausen, Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter für NRW: "Metalldetektoren an Schulen können das Risiko zwar mindern, aber das ist nicht der richtige Weg", sagt er. "Damit macht man aus Schulen Orte mit erheblichem Gefährdungspotenzial, und das ist ein falsches Signal." Ein Amoklauf könne jede Schule treffen, nicht nur solche in sozialen Brennpunkten.

Sonderschulung für Polizisten

Seit dem Amoklauf von Emsdetten würden in NRW in jeder Stadt Polizeibeamte für solche Situationen geschult, berichtet der Experte: "Die können vor Ort schließlich nicht auf ein Spezialeinsatzkommando warten. Bei der Polizei gilt grundsätzlich die Regel: offensiv vorgehen, in die Schule hineingehen und versuchen, den Täter handlungsunfähig zu machen." Das bedeute für die Beamten oft Lebensgefahr.

Konrad Freiberg, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, spricht sich hingegen für eine bessere Sicherung von Schulgebäuden aus, damit "während der Unterrichtszeit nicht jeder X-Beliebige" in eine Schule laufen könne. Waffenkontrollen am Eingang lehnt aber auch er ab.

NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) sagt: "Für die Opfer und ihre Angehörigen bedeutet dieses schicksalhafte Ereignis unbeschreibliches Leid. Natürlich fragt man sich, ob es möglich ist, solche Amoktaten zu verhindern." Hundertprozentigen Schutz gebe es nicht. Entscheidend sei, frühzeitig Auffälligkeiten zu erkennen und professionelle Hilfe anzubieten. "Wer Anzeichen für einen möglichen Amoklauf bemerkt, darf sich nicht scheuen, sofort die Polizei zu verständigen — zum Schutz von Unbeteiligten, von Schülern und Lehrern und auch des potenziellen Täters vor sich selbst", rät der Minister.

mit Agenturmaterial

(RP)
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