Wissen Sie noch? Als Pferdefleisch in aller Munde war
Düsseldorf · Etliche Menschen kamen in den Genuss von Pferdefleisch, ob sie wollten oder nicht. Händler hatten es Rindfleisch beigemischt. Der Skandal erreichte im April 2013 einen Höhepunkt. Wir blicken zurück und fragen: Was hat sich seitdem geändert?

Die schlimmsten Lebensmittelskandale
Neben Ehec-Verdacht bei Sprossen (2011) und mehrfach umetikettiertem Gammelfleisch (2005) wirkt der „Pferdefleisch in der Lasagne“-Skandal des Jahres 2013 regelrecht harmlos. Keine Gesundheitsgefahr, nur ein Verstoß gegen die korrekte Deklaration der Zutaten – und trotzdem: Bei vielen löste die Vorstellung Ekel aus und bei den anschließenden Kontrollen kam so einiges zum Vorschein. Wir blicken zurück auf den Monat April vor zehn Jahren.
Wie der Pferdefleisch-Skandal begann
Los ging es, streng genommen, schon im Februar 2013. In Tiefkühlprodukten, genauer gesagt Lasagne, war bei Kontrollen nicht nur das beworbene Rindfleisch gefunden worden, sondern auch Pferdefleisch. Das europäische Schnellwarnsystem RASFF sprach eine entsprechende Warnung an alle Behörden aus. Über einen Händler in Luxemburg soll das Fleisch in Umlauf gebracht worden sein. Real rief in der Folge das Produkt „TiP Lasagne Bolognese, 400 g, tiefgekühlt“ zurück. Auch Kaiser’s Tengelmann nahm prophylaktisch Produkte aus den Regalen.

Chronologie zum Pferdefleisch-Skandal in Europa
Bevor der Etikettenschwindel jedoch bei uns Auswirkungen zeigte, empörten sich die Briten, bei denen der Verzehr von Pferdefleisch besonders verpönt ist. In Irland hatten die Kontrolleure zuerst angeschlagen. Bei der Überprüfung der Transportkette kam dann heraus, dass noch etliche weitere Länder vom gleichen Händler beliefert worden waren.
Wie darauf reagiert wurde
Die Reaktionen aus der Politik fielen erwartbar harsch aus. Von einem „schlimmen Fall von Verbrauchertäuschung“ sprach die damalige Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU). Eine Herkunftsbezeichnung auch für Zutaten in verarbeiteten Lebensmitteln etwa forderte der damalige NRW-Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne). Nordrhein-Westfalen sollte zu einem späteren Zeitpunkt noch ein besonderes Interesse an der Aufklärung des Skandals bekommen.
Während hierzulande also das NRW-Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) Lieferwege nachverfolgte und Proben untersuchte, beschäftigte sich in Brüssel die EU-Kommission mit dem Fall. Tonio Borg, seinerzeit EU-Verbraucherkommissar, kündigte 2500 DNA-Tests an, 200 davon in Deutschland. Mit Ergebnissen sei, Sie ahnen es vielleicht, im April zu rechnen. Soviel vorweg: Diese Aktion wird später 2,5 Millionen Euro kosten.
Verbraucher nahmen es mitunter mit Humor: In kürzester Zeit kursierten allerhand Witze über das Pferdefleisch in der Lasagne. Kleine Kostprobe gefällig: „Mami, bekomme ich ein Pferd? – Ja, steht schon in der Mikrowelle“, oder auch „Da bekommt Schimmel im Essen eine ganz neue Bedeutung.“
50.000 Tonnen verdächtiges Fleisch, Großteil bereits verzehrt
Im April 2013 waren sie da, die Ergebnisse. Der luxemburgische Lieferant war offenbar kein Einzeltäter. Ein niederländischer Großhändler hatte 50.000 Tonnen nicht deklariertes Fleisch in mehrere europäische Länder verkauft. Die Kontrollbehörde in Utrecht warnte, dass es Pferdefleisch enthalten könne. „Wahrscheinlich ist ein Großteil bereits konsumiert worden“, hieß es dazu. Denn, wie sich herausstellen sollte, hatte jener Händler die Ware bereits seit 2011 in Umlauf gebracht. Betroffen waren rund 500 Empfänger in der ganzen EU, 124 davon in Deutschland, und ein Schwerpunkt mit 38 Betrieben lag in NRW.

Krefelder Experten suchen Pferdefleisch in Lebensmitteln
Die groß angelegte DNA-Untersuchung der EU brachte weiteres zutage: In rund 4,7 Prozent aller Proben war Pferdefleisch gefunden worden. Je nach Land variierte dieser Wert aber stark. So wurden die Behörden in Frankreich sogar in 13,3 Prozent der Fälle fündig. In Deutschland fielen hingegen immerhin 3,3 Prozent der Tests positiv aus, zumal hier mit 878 Analysen vergleichsweise stark kontrolliert worden war. In den 38 NRW-Betrieben konnte nur in zweien Pferdefleisch gefunden werden.
Sensibel reagierten die Behörden jedoch auf den Fund des Tiermedikaments Phenylbutazon. Diese entzündungshemmende Arznei wird bei Pferden eingesetzt und tauchte in zwei Prozent der Proben auf, die in Großbritannien untersucht worden waren. In Lebensmitteln ist der Stoff grundsätzlich verboten. Tiere, die kürzlich damit behandelt wurden, dürfen nicht geschlachtet werden.
Ein Jahr später hält sich die Aufregung in Grenzen
Ein Jahr später schon war klar, dass auch dieser Skandal heißer gekocht worden war, als er gegessen wurde. Der Ruf nach härteren Strafen war weitgehend verklungen. Die Sensibilität in der Industrie sei gewachsen, hieß es dagegen aus dem Bundesernährungsministerium. Man gehe davon aus, dass sich die Unternehmen mit ihren Eigenkontrollen darauf eingestellt hätten, solche Betrugsfälle künftig zu verhindern.
Auch die EU hielt sich bedeckt: Es sei Sache der einzelnen Staaten, gegen Lebensmittelbetrug vorzugehen, ließ Gesundheitskommissar Borg über einen Sprecher verlauten. Deutschland unterstützte immerhin einen Vorschlag Frankreichs, die Kennzeichnungspflicht zu verschärfen. Doch die EU sah einen solchen Vorstoß skeptisch. Solche Informationen zusätzlich zu erheben, das wäre mit erheblichen Kosten verbunden, die der Verbraucher nicht zahlen wolle.
Die Verbraucher haben den Skandal ebenfalls schnell hinter sich gelassen. Einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens GfK zufolge war der Absatz von Tiefkühlfertigprodukten in den Wochen nach dem Skandal zwar eingebrochen. Doch einige Monate später schon hatte sich der Konsum wieder normalisiert.
Warum werden Lebensmittel manipuliert?
Mit der Manipulation von Lebensmitteln lässt sich eine Menge Geld verdienen. Die EU schätzt den jährlichen Schaden dadurch auf 30 Milliarden Euro. Am meisten wird mit Fisch, Fleisch und Ölen betrogen. Günstigere Fischsorten oder auch solche, die gar nicht in der EU zugelassen sind, werden unter anderem Etikett verkauft. Hiesige Händler und Lieferanten wissen das oft gar nicht, weil der Exporteur schon den Betrug begeht. Erst, wenn das örtliche Veterinäramt zufällig eine Probe nimmt und das Lebensmittel einer DNA-Analyse unterzieht, fällt der Schwindel auf.
Einige der größten Skandale neben dem Pferdefleisch drehten sich unter anderem um Frostschutzmittel im Wein in Deutschland und Österreich (1985) und Melamin im (Baby-)Milchpulver in China (2008). Bei ersterem waren 4 Millionen Liter Wein beschlagnahmt worden. Letztere führte seinerzeit zu Nierenversagen bei Babys und dazu, dass die Chinesen das Vertrauen in die eigenen Produkte verloren und massiv Milchpulver aus Europa dorthin exportiert wurde und seitdem wird.
Und was hat sich seitdem getan?
Im März 2017 trat, als direkte Reaktion auf den Pferdefleisch-Skandal, eine neue EU-Verordnung in Kraft, mit der Nummer 2017/625. Diese beinhaltet Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher vor Irreführung bezüglich Art und Qualität von Lebensmitteln. Dazu gehört ein neues Schnellwarnsystem, über das Behörden, Lieferanten und Händler schneller informiert werden können, wenn bei einer Kontrolle etwas auffällt.
Zudem beinhaltet die Verordnung die Anweisung an die EU-Mitgliedstaaten, sogenannte Referenzzentren zu errichten. Die Ausschreibung dazu hat in Deutschland das Max-Rubner-Institut in Kulmbach gewonnen. Deren Aufgabe ist es jetzt, Echtheit und Integrität der Lebensmittelkette zu gewährleisten und zuständige ausführende Ämter bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Das kann über die Ausführung von Analysen, aber auch über ein neu eingerichtetes Web-Portal geschehen. Auf diesem werden regelmäßig aktuelle Erkenntnisse zu Lebensmittelsicherheit und -betrug geteilt.
Der Jahresreport des Schnellwarnsystems der EU von 2021 zeigt, dass knapp die Hälfte aller Meldungen durch öffentliche Kontrollen entstehen. Direkt dahinter, mit 39 Prozent, kommen Warnungen, die auf unternehmenseigene Kontrollen zurückgehen. Im Ländervergleich steht Deutschland mit 761 Meldungen an Platz 1 in der EU. Dahinter folgen Spanien mit 524 und die Niederlande mit 446.