Kampf gegen Piraterie Flaute bei Somalias Seeräubern
Der Kampf gegen afrikanische Piraten zeigt deutliche Wirkung. Die Seeräuberei ist vielen zu gefährlich geworden. Die Marineoperationen haben Hunderte Seeräuber getötet oder ins Gefängnis gebracht. Doch Experten warnen vor einem Rückschlag.
Im November 2008 musste die deutsche Fregatte "Mecklenburg-Vorpommern" im Golf von Aden sogar scharf schießen, um einen Piratenangriff auf das Kreuzfahrtschiff MS "Astor" abzuwehren. 2010 befanden sich insgesamt 49 Frachter und Tanker mit 1181 Seeleuten in der Gewalt der somalischen Seeräuber. Angriffe und Geiselhaft überlebten Dutzende Besatzungsmitglieder nicht. Die gezahlten Lösegelder stiegen auf 4,5 Millionen Euro pro Schiff; den wirtschaftlichen Schaden bezifferten Experten auf rund 5,3 Milliarden Euro pro Jahr. Trotz einer gewaltigen internationalen Kriegsflotte schien die Piratenplage nicht mehr eindämmbar.
Doch fünf Jahre nach Beginn des Bundeswehr-Einsatzes im Rahmen der europäischen Anti-Piraterie-Mission "Atalanta" hat sich das Blatt gewendet: Drei vergebliche Schüsse auf vorbeifahrende Frachter, mehrere vergebliche Angriffsversuche, ein Fischerboot und ein kleines hölzernes Handelsschiff entführt — mehr ist im gesamten Jahr 2013 nicht mehr zu finden auf der früher mit roten Symbolen für erfolgreiche Kaperungen gespickten Piratenkarte des International Maritime Bureau (IMB). Das IMB, die Abteilung für Kriminalität auf See der Internationalen Handelskammer mit Sitz in London, registriert jede Piratenaktivität auf der Welt. Unter den Meldungen ist die Ortsbezeichnung "Somalia" fast nicht mehr vertreten. Die letzten Berichte aus dem Golf von Aden schildern zwei Angriffsversuche am 9. Dezember auf einen Massengutfrachter und einen Tanker, die mit Hilfe eines Marine-Hubschraubers abgewehrt wurden.
Entführungen sind selten geworden
Ist die Seeräuberei am Horn von Afrika, die mit dem Golf von Aden eine wichtige Seehandelsroute, die jährlich von 22.000 Schiffe genutzt wird, bedroht hat, etwa dauerhaft besiegt? "Seit Monaten ist kein entführtes Schiff mehr gemeldet worden. Die Zahlen sprechen für sich, der Erfolg ist da. Den schreiben wir uns aber nicht allein auf die Fahne", sagt ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Potsdam. Die Kombination aus Kriegsschiffen vor Ort, privaten Wachmannschaften auf Frachtern und einer verbesserten internationalen Zusammenarbeit habe Früchte getragen.
Seit dem Beginn von "Atalanta" seien auch 167 Schiffe des Welternährungsprogramms mit 965 211 Tonnen Lebensmitteln sicher nach Somalia eskortiert worden. "Die Somalis reden wieder über Fisch statt über Schiffe", sagt ein Insider, was heißen soll: Viele der geschätzt 1000 Piraten verdienen wie früher ihr Geld mit dem Fischfang. Die Seeräuberei war in Somalia seit 2007/2008 zu einem regelrechten Wirtschaftszweig geworden; im Schatten dieser Kriminalität florierte ein breites Dienstleistungsgewerbe.
Das Geschäft wird zu gefährlich
Jetzt herrsche erkennbar Flaute in den Piratenhochburgen, berichten Besucher. Die Seeräuberei sei zu gefährlich geworden: Die Marineoperationen haben Hunderte Seeräuber getötet oder ins Gefängnis gebracht; ungezählte weitere Somalis ertranken beim Untergang ihrer kleinen Boote. Seit einigen Monaten darf das Militär zudem auch an Land in Strandnähe operieren.
Auch der bessere Schutz der Handelsschiffe zeigte Wirkung: Die Reedereien rüsteten sie unter anderem mit Stacheldraht an der Reling, Wasser- und Lärmkanonen sowie Schutzräumen aus, in die die Besatzung im Notfall flüchten kann und von denen aus die Schiffsmaschine gestoppt werden kann.
"Die erfolgreiche Eindämmung der Piraterie sagt nichts darüber aus, ob dieser Erfolg auch nachhaltig sein wird", warnt indes der Piraterie-Experte Hans-Georg Ehrhart in einer Zwischenbilanz des Anti-Piraterie-Einsatzes für die Bundeswehr. Der Leiter des Zentrums für europäische Friedens- und Sicherheitsstudien am Institut für Friedensforschung in Hamburg befürchtet, dass die westlichen Entsendestaaten angesichts hoher Kosten und knapper Kassen die Mission nach 2014 nicht mehr aufrechterhalten. "Immerhin machten die Kosten für die maritime Militäroperation allein im Jahr 2012 ungefähr eine Milliarde US-Dollar aus."
Die Piraten warten ab
Auch der Bundestag hat das Mandat für den Anti-Piraterie-Einsatz am Horn von Afrika zunächst nur um ein weiteres Jahr bis Ende 2014 verlängert. Soeben löste in Dschibuti die Fregatte "Hessen" die "Niedersachsen" ab; auch ein deutsches "Orion"-Seefernaufklärungsflugzeug ist wieder zum europäischen "Atalanta"-Team gestoßen. "Wir müssen am Ball bleiben", sagt der Chef der Operation "Atalanta", der britische Admiral Bob Tarrant — wohl wissend, dass im gegenwärtigen Erfolg langfristig der Keim des Misserfolgs stecken könnte.
Ehrhart listet neben der Flottenreduzierung weitere Risiken auf: In dem 480 Seemeilen langen Transportkorridor, durch den die Kriegsschiffe Handelsschiffs-Konvois sicher durch den Golf von Aden geleiten, müssen die Kapitäne viel Disziplin aufbringen: Der Konvoi muss sich erst sammeln, was wertvolle Zeit kostet. Dann wird mit hoher Geschwindigkeit gefahren, was zusätzliche Treibstoffkosten verursacht. "Diese Disziplin könnte schnell wieder nachlassen. Auch könnte die Bereitschaft schwinden, teure private Sicherheitsdienste anzuheuern", stellt Ehrhart fest. "Während die Piraten die Lage beobachten und abwarten, bleibt ihre Infrastruktur und ihre Fähigkeit erhalten, wieder zur Tat zu schreiten."
Somalia ist der Schlüssel
Der Schlüssel ist aber mutmaßlich die Stabilisierung Somalias. "So ist zwar kein Versorgungsschiff auf See gekapert worden, stattdessen sind die Hilfsgüter an Land verschwunden", sagte der Experte. Entwicklungshilfe erreichte wegen der unsicheren Lage bislang die Menschen im Süden und in Zentral-Somalia nur selten. Und die strafrechtliche Verfolgung der Piraten scheiterte oft daran, dass die somalische Justiz dazu nicht fähig war und umliegende Länder und westliche Staaten sich damit nicht befassen wollten.
Die Ausbildung somalischer Sicherheitskräfte sei ebenfalls fragwürdig, stellt Ehrhart fest. "Erstens findet sie zurzeit noch in Uganda statt, sodass der Werdegang der Ausgebildeten in Somalia nur schwer verfolgt werden kann. Zweitens bleibt unklar, wem angesichts schwacher staatlicher Institutionen und vorherrschender Clan-Strukturen die Loyalität der Ausgebildeten gilt."
Trotz aller Schwierigkeiten sieht das Einsatzführungskommando aber auch in diesem Bereich Anlass zu vorsichtigem Optimismus: Es gebe erste Erfolge bei der Stabilisierung des in Kriegswirren zusammengebrochenen Staates, betonte der Bundeswehr-Sprecher: "Die neue somalische Regierung ist seit mehr als einem Jahr im Amt."