So verrückt kann Traditionspflege sein Fingerhakeln - nichts für Weicheier

Düsseldorf (RPO). Wer sich am Wochenende ins Festzelt von Stötten am Auerberg verirrte, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Da sitzt eine johlende Menge von Männern vor einer Bühne und schaut zwei verbissenen Kerlen zu, die gerade versuchen, sich gegenseitig über den Tisch zu ziehen. Gerade werden die 52. Meisterschaften im Fingerhakeln ausgetragen. Dabei fließt sogar Blut.

Fingerhakeln - Besuch bei den Deutschen Meisterschaften
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Fingerhakeln - Besuch bei den Deutschen Meisterschaften

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Das Fingerhakeln ist Teil alt-bayerischer Tradition. Entsprechend wird diese gepflegt. Regelmäßig werden Meisterschaften ausgetragen. Selbstverständlich so wie es sich gehört in unterschiedlichen Gewichts- und Altersklassen. Das Fingerhakeln bedient sich der üblichen Muster des Kraftsports.

Im Kern geht es darum, den Gegner wortwörtlich über den Tisch zu ziehen. Früher, so besagt die Legende, sollen so im Alpenland Streitereien ausgetragen worden sein. Inzwischen ist eine im sportlichen Wettkampf gepflegte Tradition geworden. Die meisten Anhänger finden sich in Bayern, und Österreich.

Namen wie aus dem Heimatroman

Man gerät schnell ins Staunen, mit welch ausgefeilter Expertise die Hakler ihrem Hakler-Ehrgeiz nachgehen. Da gibt es Trainer, Aufwärmübungen, ausgefeilte Regeln und Tipps für erfolgversprechende Technik. In Zeitungsberichten der lokalen bayerischen Presse sehen Vereins-Bosse den Trainer einen sehr guten Job machen oder ein starkes Team heranwachsen.

Neun bayerische Gaue haben sich nach Angaben der örtlichen bayerischen Presse eingefunden und ihre besten Hakler ins Rennen geschickt. Die Stimmung unter den 800 Besuchern beschreibt der "Merkur" als kochend. "Die einen schreien Auerberg, die anderen schreien Ammergau", heißt es.

Die Namen der Teilnehmer lesen sich wie aus einem Heimatroman. Da trifft der Greisel Hubert auf den Bader Anton oder der Turnhuber Leonard auf den Hartl Sepp. Dass die Männer im Festzelt in traditioneller bayerischer Tracht mit Lederhose und Gamsbart erscheinen, versteht sich von selbst.

Drei Kern-Tugenden

Um Titel zu erringen braucht es mehr als Folklore. Kenner sprechen von drei Kern-Tugenden: körperlicher Kraft, Überwindung des Dehnungsschmerzes und einer guten Technik. Auch Training spielt eine Rolle. Auf Bildern von den Meisterschaften in Stötten ist zu sehen, wie ein Teilnehmer mit einer überdimensionalen Spiralfeder Aufwärmübungen betreibt.

Geht es einmal an den Tisch, greift das ausgefeilte Regelwerk. Üblicherweise haken die Gegner die Mittelfinger in einen Lederriemen ein, gelegentlich greifen auch direkt die Zeigefinger ineinander. Das Zubehör ist genormt. Der Lederriemen muss eine Länge von zehn Zentimetern aufweisen und sollte zwischen sechs und acht Millimetern dick sein.

Urwüchsige Dynamik

Selbst Tische und Stühle müssen bestimmte Maße aufweisen. 109 Zentimeter lang, 74 Zentimeter breit und 79 Zentimeter hoch. Die Kanten der Tischplatte müssen vor dem Wettkampf mit einer durchgehenden Polsterung versehen sein. Andernfalls ist das Verletzungsrisiko zu groß.

Wer sich die Bilder eines Fingerhakel-Wettbewerbs anschaut, kann sich schnell ein Bild davon machen, mit welch urwüchsiger Dynamik es bei einer solchen Auseinandersetzung zugeht. Die Kontrahenten hängen sich mit vollem Körpereinsatz in den Lederriemen, die Gesichter entstellt, gefasst darauf, die Schmerzen zu ignorieren. Manchmal fließt dabei sogar Blut.

(pst)
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