Fall Staufen in Freiburg Die verstörende Rohheit der Mutter Berrin T.

Freiburg · Die Anklageschrift umfasst mehr als hundert Seiten. Geschildert werden abstoßende Sexualstraftaten, begangen an einem Kind, ausgeführt von seiner eigenen Mutter, deren Lebensgefährten und Freiern.

Die angeklagte Mutter (l.) wird zu Beginn der Mittagspause von Justizbeamten aus dem Gerichtssaal gebracht.

Die angeklagte Mutter (l.) wird zu Beginn der Mittagspause von Justizbeamten aus dem Gerichtssaal gebracht.

Foto: dpa/Patrick Seeger

Berrin T. betritt verschüchtert Saal IV des Freiburger Landgerichts. Eine korpulente 48 Jahre alte Frau, das dünne Haar trägt sie zum Zopf gebunden. T. ist die Mutter, die ihren Sohn für eine beispiellose Vergewaltigungsserie gegen Geld bereit gestellt haben soll. Ihr zurückhaltender Auftritt vor Gericht steht im Gegensatz zu der aktiven Rolle, die sie bei den Verbrechen gehabt haben soll.

58 Taten listet sie auf, darunter sadistische Vergewaltigungshandlungen. Immer wieder geht es dabei auch um die Rolle der Mutter, die etwa ihr eigenes Kind missbrauchte, es bei Vergewaltigungen filmte und als „Hure“ beleidigte.

Im Vorfeld des Hauptprozesses der vor fünf Monaten öffentlich gewordenen Tatserie um den zuletzt in Staufen bei Freiburg lebenden Jungen war nur von dem pädophilen Stiefvater das Ausmaß seiner Taten bekannt. L. hatte in zwei anderen Verfahren der Tatserie als Zeuge die dutzendfache Vergewaltigung des Kindes gestanden.

Die genauere Rolle der Mutter blieb hingegen in großen Teilen unklar. Was die beiden Staatsanwältinnen auf über hundert Seiten gegen die arbeitslose Frau zusammengetragen haben, ist an Rohheit aber kaum zu übertreffen.

Partner saß wegen Kindesmissbrauchs

Ihren neun Jahre jüngeren Partner lernte sie demnach um den Jahreswechsel 2014/2015 bei der Staufener Tafel kennen. L. war gerade erst aus dem Gefängnis gekommen, er saß wegen Kindesmissbrauchs. Dass er unter Führungsaufsicht stand und keinen Kontakt zu Kindern pflegen durfte, verheimlichte er gar nicht erst.

Das Unfassbare: T. stimmte in diesem Wissen nicht nur einer Beziehung zu. Sie organisierte ihrem Partner auch ein ihr von einer Bekannten zeitweise zur Betreuung übergebenes, geistig behindertes dreijähriges Mädchen als Missbrauchsopfer. Auch Berrin T. verging sich für pädophile Videofilme an ihr. Als sich das Mädchen zunehmend auffällig verhielt, beendete die Mutter den Kontakt.

Doch zu dieser Zeit hatte schon längst das Martyrium ihres eigenen Sohnes begonnen. Zuerst verging sich der Stiefvater an ihm. Der Mann baute laut Staatsanwältin eine Art „familiäre Beziehung“ zu dem Kind auf, das zu ihm „Papa“ sagte. Dann kam die Mutter dazu - und irgendwann kam das Paar zu der Idee, das Kind im Darknet für Geld für Vergewaltigungen zu verkaufen.

Den insgesamt vier ermittelten Kunden wurden laut Anklage dabei keine Grenzen gesetzt. Analverkehr, Oralverkehr, auch Fesselungen oder Schläge - gegen Bezahlung ermöglichte das Paar perverseste Handlungen.

Rolle der Mutter vielschichtig

Die Rolle der Mutter war dabei laut Anklage vielschichtig. Sie war oft an Tatorten anwesend, um beruhigend auf das Kind einzuwirken. Sie legte Fesseln bereit oder verging sich selbst an ihrem Kind. Dazu baute sie Druck auf ihren Sohn auf - wenn er nicht mitmache, komme er ins Heim, war eine ihrer häufigsten Drohungen.

Ihre mütterlichen Schutzinstinkte scheint T. verloren zu haben. Anders ihr Sohn, der sein Urvertrauen offenbar lange behielt. Staatsanwältin Novak zitiert dazu Äußerungen aus einem der Vergewaltigungsvideos.

„Sie weiß Bescheid, sie hat aber eigentlich nichts damit zu tun“, sagt der Junge da zu einem der Täter über seine Mutter. Tatsächlich brachte Berrin T. ihren Jungen aber bis zum Schluss persönlich zu Vergewaltigungen - bis sie im September nach einem anonymen Tipp festgenommen werden konnte.

Ihr Sohn befindet sich seitdem in Betreuung - er versuche, sein Trauma zu verarbeiten, heißt es von den Ermittlern.

(eler/AFP/dpa)
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