Prozess um verschwundenes Mädchen Peggys Mutter schüttelt Ulvi K. die Hand

Bayreuth · Hat der geistig behinderte Ulvi K. die seit 2001 spurlos verschwundene Schülerin Peggy umgebracht? 2004 war der 36-Jährige für die Tat zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Seit Donnerstag läuft das Wiederaufnahmeverfahren. Inzwischen glaubt offenbar kaum noch jemand an seine Schuld - selbst Peggys Mutter reichte Ulvi K. zum Prozessauftakt die Hand.

Peggys Mutter geht zielstrebig auf den Mann zu, der als Mörder ihrer neunjährigen Tochter verurteilt wurde. Der geistig behinderte Ulvi K. braucht am Donnerstag einen Moment, um zu verstehen, was die Frau von ihm will - doch dann nimmt er ihre ausgestreckte Hand und erwidert den Gruß. Dass eine Mutter den angeblichen Mörder ihrer Tochter freundlich begrüßt, lässt sich nur damit erklären, dass inzwischen fast niemand mehr an seine Täterschaft glaubt.

Die Falschaussage eines Zeugen und Zweifel an einem Gutachten als Grundlage der Verurteilung von Ulvi K. haben zu dem Wiederaufnahmeverfahren vor dem Landgericht Bayreuth geführt. Im Mai 2001 war das Mädchen aus dem fränkischen Lichtenberg spurlos verschwunden, 2004 wurde Ulvi K. zu lebenslanger Haft verurteilt: Er soll Peggy laut dem Ersturteil zunächst vergewaltigt haben. Tage später soll ein Entschuldigungsversuch so eskaliert sein, dass er sie erstickte.

Zu diesem Schluss kam das Gericht auch durch ein später von K. widerrufenes Geständnis, das der Gutachter als glaubwürdig eingestuft hatte. Sein neuer Verteidiger Michael Euler verwies zu Prozessbeginn nun aber darauf, dass K. damals mehrere Geständnisse abgelegt hat. Mal will er Peggys Leiche mit zwei Freunden verscharrt haben, mal mit seinem Vater. K. schilderte demnach auch, wo die Leiche liegen sollte - doch schnell stellten sich diese Geständnisse als falsch heraus.

Euler sagt, die Lichtenberger hätten Ulvi vor dem Fall Peggy als den "gutmütigen Dorfdeppen" wahrgenommen. "Ein kindlicher Verstand im Körper eines schwerfälligen, erwachsenen Mannes." Er zeigte eine gestörte Sexualiät, onanierte öffentlich - aus dieser Sexualität wurde im ersten Prozess das Mordmotiv.

Euler bestreitet, dass sich K. an der Neunjährigen vergangen haben soll. "Tatsächlich gab es jedoch keinen solchen Missbrauch an Peggy. " Weder der Mutter noch ihrer Turnlehrerin sei direkt nach der angeblichen Tat eine Veränderung bei Peggy aufgefallen. Außerdem habe Ulvi K. die Kleidung des Mädchens falsch beschrieben. Es habe also gar nicht das Mordmotiv der Vergewaltigung gegeben - und auch nicht den Mord.

Euler griff die damals in dem Fall ermittelnden Polizisten an. Durch "Suggestion" hätten diese seinen Mandanten zu dem falschen Geständnis gebracht. Und dabei hätten sie auch zweifelhafte Methoden angewandt. Von Folter sprach Euler gar, eine Wertung, der die Staatsanwaltschaft energisch widersprach. Ein Richter, der deshalb ein Verfahren führte, bestätigte aber, dass ein Polizist Ulvi Schmerzen durch gezieltes Drücken mit dem Finger in den Rücken zufügte.

Dass die damals auch unter dem politischen Druck stehene Polizei fragwürdig arbeitete, zog sich durch die Zeugenaussagen des ersten Prozesstags. So gab im ersten Prozess ein inzwischen verstorbener Belastungszeuge an, Ulvi habe ihm gegenüber den Mord gestanden. Kurz vor seinem Tod offenbarte der Mann seine Lüge - zu dieser Falschaussage habe ihn die Polizei gedrängt.

Auch zwei damalige Klassenkameraden Peggys schilderten, wie sie bei den Vernehmungen unter massiven Druck gesetzt wurden. Die inzwischen jungen Männer wollen beobachtet haben, wie Peggy in einen roten Mercedes gestiegen war. Auch die Klassenkameraden fühlten sich von der Polizei verängstigt - und erklärten damit heute, weshalb sie damals in späteren Vernehmungen ihren Angaben widerspachen und so im ersten Prozess als unglaubwürdig eingestuft wurden. Allerdings verfolgte die Polizei die Spur mit dem Auto - aber ohne Ergebnis.

Peggys Vater zeigte am Rande des Prozesses Bilder einer Foto-Simulation, wie seine Tochter heute aussehen könnte. Eine strahlende junge Frau ist darauf zu sehen. Derzeit spricht wenig dafür, dass Peggy noch leben könnte - die Zweifel an der Täterschaft des Ulvi K. sind aber noch weiter gewachsen.

(AFP)
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