Zweites Vernehmungsvideo gezeigt Wann sagte der mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan E. die Wahrheit?

Frankfurt/Main · Der Angeklagte Stephan E. im Prozess um den Mord an Walter Lübcke hat den Ermittlern zwei verschiedene Abläufe der Tat geschildert. Das Gericht hat nun auch die zweite, per Video dokumentierte Vernehmung zeigen lassen. Doch welche Version stimmt?

 Mustafa Kaplan (l) und Frank Hannig, Verteidiger des Hautangeklagten Stephan Ernst unterhalten sich am dritten Verhandlungstag.

Mustafa Kaplan (l) und Frank Hannig, Verteidiger des Hautangeklagten Stephan Ernst unterhalten sich am dritten Verhandlungstag.

Foto: dpa/Boris Roessler

Wann sagte Stephan E. die Wahrheit? Im Juni 2019, als er in seiner Vernehmung durch die Polizei gestand, den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf der Terrasse seines Wohnhauses erschossen zu haben - oder in der richterlichen Vernehmung im Januar, als er den Tod des Politikers als Versehen schilderte? Die Videoaufnahme dieser Vernehmung wurde am Dienstag in dem Prozess vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt in Augenschein genommen. Darin hatte der mutmaßliche Täter Stephan E. eine ganz andere Tatversion als nach seiner Festnahme geschildert: Der tödliche Schuss haben sich aus Versehen gelöst.

Zusammen mit dem ebenfalls angeklagten Markus H. habe er bereits im April 2019 beschlossen, Lübcke aufzusuchen und einzuschüchtern, sagte der in einen schwarz-gelben Trainingsanzug gekleidete E. vor einem Richter des Bundesgerichtshofes. Zunächst ist auf dem Video eine knappe, eher stockend verlesene Erklärung von E. zu sehen. H. habe, „glaube ich, Herrn Lübcke aus Versehen erschossen“, heißt es darin. In der Vernehmung durch den Richter äußerte sich Ernst dann erneut, wie die beiden Männer am 1. Juni in einem Wagen mit manipulierten Nummernschildern an Lübckes Wohnorts gefahren seien und gewartet hätten, bis es dunkel war.

Lübcke habe im Garten seines Hauses auf der Terrasse gesessen, eine Zigarette geraucht und auf sein Smartphone geschaut, sagte E. in der Vernehmung. Diese Situation hatte er in beiden Vernehmungen geschildert. In der Version vom Januar war er allerdings nicht alleine da. Markus H. und er hätten sich Lübcke aus zwei Richtungen genähert. Als der Politiker Anstalten machte, sich zu erheben, habe er ihn in den Stuhl zurück gedrückt, schilderte E. in der Videoaufnahme. „Für so was wie dich gehe ich jeden Tag arbeiten“, habe er dem Politiker vorgehalten. Er sei dann zurückgetreten, um nach Lübcke zu treten, der noch gerufen habe: „Verschwinden Sie!“ Markus H. habe mit der Waffe Lübcke einschüchtern wollen, der Schuss habe sich aus Versehen gelöst.

Seltsam teilnahmslos schildere E. diesen Verlauf der Tatnacht, hielt ihm der vernehmende Richter in dem Video vor: „Sie sitzen seit sieben Monaten in Untersuchungshaft wegen Mordes.“ Angesichts dieser Lage berichte er sehr unaufgeregt über die Rolle seines „Kumpels“, wandte der Richter ein, fragte nach der Erfahrung beider Männer im Umgang mit Waffen und den Schießübungen im Wald, die sie wiederholt gemacht hatten.

Ganz anders war die Atmosphäre in dem am vorangegangen Prozesstag gezeigten Vernehmungsvideo gewesen: Ein emotionaler, in Tränen ausbrechender Angeklagter war da zu sehen, der beschrieb, wie er immer wieder zum Wohnort Lübckes gefahren war und eine Waffe bei sich hatte. Zu diesem ersten Vernehmungsvideo nahmen die Verteidiger von Markus H. am Dienstag Stellung: H. sei darin nicht belastet worden, sei eine „untergeordnete Randfigur“ gewesen, die nicht im Zusammenhang mit der Politisierung von E. zu verstehen sei.

Die Bundesanwaltschaft wirft dem Deutschen Stephan E. vor, aus rechtsextremistischer Gesinnung heraus gehandelt zu haben. Das zweifelte Björn Clemens, einer der Anwälte von Markus H., an: „Wir haben den vollständigen seelischen Zusammenbruch eines Menschen gesehen“, sagte er über das Video der Vernehmung vom Juni 2019, in dem ein aufgewühlter E. tiefe Reue bekundete. Das sei ein „gebrochener Mann“ gewesen: „So spricht niemand, der politisch tötet.“

Womöglich schildert E. im Laufe des Verfahrens noch einmal eine ganz neue Version: Am Dienstag ließ er über seine Anwälte eine ausführliche Einlassung ankündigen. Sein Mandant wolle „unmissverständlich klar stellen“, dass er zu einem späteren Zeitpunkt zu den Vorwürfen eine Stellungnahme abgeben werde, sagte Frank Hannig, einer der beiden Verteidiger von E. Dazu werde es aber frühestens nach der Sommerpause kommen.

(anst/dpa)
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