Foltermord im Gefängnis Expertenbericht wirft Justizsystem in Siegburg Versagen vor

Bonn (RPO). Jugendliche Straftäter saßen bis zu 23 Stunden täglich in ihren Zellen. Die Justizverwaltung war nachlässig, die Anstaltsleitung der Justizvollzugsanstalt Siegburg hat versagt. Zu diesem erschreckenden Fazit lassen sich nach dem Foltertod eines 20-Jährigen die Erkenntnisse von Experten zusammenfassen.

Eine Expertenkommission hat sich nach dem Foltermord in einem Siegburger Gefängnis mit dem Jugendstrafvollzug im Land befasst. Ergebnis: Laut Einschätzung er Experten arbeiten die anderen vier Jugendstrafanstalten - Hövelhof, Herford, Iserlohn und Heinsberg - durchaus ordentlich.

In Siegburg aber warn die Zustände nicht haltbar. "Mich hat die Lage in Siegburg schon erschreckt", bemerkte dazu als Kommissionsmitglied der frühere Präsident des Justizvollzugsamtes Rheinland, Klaus Koepsel.

Das Justizvollzugsamt habe die "Vernachlässigung der Inhaftierten" und "konzeptionelle Defizite" trotz regelmäßiger Besuche in der Anstalt nicht bemängelt, heißt es in dem Bericht. Die Siegburger Anstaltsleitung habe sich "nicht über das unbedingt gebotene Maß hinaus" um die Gefangenen gekümmert.

Bis zu 23 Stunden müssten die Jugendlichen mangels Ausbildungsstellen in der Zelle verbringen, legten die Experten dar. Und das sei eine Folge verwaltungstechnischer Umstrukturierungen. Die Betreuung der Jugendstraftäter sei zu kurz gekommen, weil für Siegburg nach Änderungen im Verwaltungsapparat nicht mehr das Dezernat für Jugendstrafvollzug, sondern eine "Abteilung Sicherungsverwahrung" zuständig war.

Weiter bemängelte die Kommission am Siegburger Gefängnis eine Mischbelegung mit jugendlichen und erwachsenen Straftätern, die es nach dem so genannten Trennungsprinzip nicht geben dürfe. Für die Zukunft mahnen die Experten daher eine Trennung beider Häftlingsgruppen an. Dazu könne Siegburg entweder in zwei Einzelanstalten geteilt werden, oder die Jugendstraftäter müssten woanders untergebracht werden.

Außerdem empfiehlt die Kommission eine allgemein bessere Personalausstattung der Haftanstalten sowie eine verstärkte Haftunterbringung jugendlicher Straftäter in Wohngruppen. Dies könne sowohl soziale Kompetenz wie auch das Selbstwertgefühl fördern. Im geschlossenen Haftvollzug sollte zur Vermeidung von Gewalt die Einzelunterbringung Vorrang haben. Bei nicht vermeidbaren Mehrfachbelegungen müsse streng geprüft werden, ob die Inhaftierten zueinander passen.

Insgesamt habe das Landesjustizvollzugsamt seine Dienst- und Fachaufsicht für die Jugendstrafe in Siegburg "offenbar nicht ausreichend wahrgenommen. Dies habe mit zu Versäumnissen bei der Betreuung der Jugendstraftäter beigetragen.

Die unabhängige Kommission unter Leitung des früheren Berliner Innensenators Eckart Werthebach (CDU) war nach dem Zwischenfall, der sich im November 2006 ereignet hatte, von der Landesregierung eingesetzt worden, um die fünf Jugendhaftanstalten des Landes zu untersuchen und Empfehlungen für Gewaltvermeidung zu erarbeiten.

In der Nacht auf den 12. November 2006 war ein 20-jähriger Gefangener in der Siegburger Haftanstalt über Stunden gefoltert und gezwungen worden, sich an einer Tür zu erhängen. Der Tat verdächtigt werden die drei Mithäftlinge des Opfers. Der Foltermord hatte eine heftige politische Debatte über Gewalt in den Gefängnissen des Landes ausgelöst.

(afp)
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