Missbrauchsskandal an Berliner Klinik Experten werfen Charité schwere Versäumnisse vor

Berlin · Im Skandal um sexuellen Missbrauch an der Berliner Charité werden die Vorwürfe gegen die Uniklinik immer lauter. Zudem fordern Politiker und Experten weitreichende Konsequenzen.

 Die Kommunikationswissenschaftlerin Simone Stein-Lücke (v.r.), der Leiter der Charite Universitätsmedizin Berlin, Karl Max Einhäupl, die Geschäftsfuehrerin des Vereins "Innocence in Danger", Julia von Weiler, und der Ärztliche Direktor der Charite Universitaetsmedizin Berlin, Ulrich Frei, äußern sich in der Charite auf einer Pressekonferenz zum Missbrauchsverdacht gegen einen Pfleger der Charite.

Die Kommunikationswissenschaftlerin Simone Stein-Lücke (v.r.), der Leiter der Charite Universitätsmedizin Berlin, Karl Max Einhäupl, die Geschäftsfuehrerin des Vereins "Innocence in Danger", Julia von Weiler, und der Ärztliche Direktor der Charite Universitaetsmedizin Berlin, Ulrich Frei, äußern sich in der Charite auf einer Pressekonferenz zum Missbrauchsverdacht gegen einen Pfleger der Charite.

Foto: dapd, Oliver Lang

Der Opferschutzverband Weißer Ring wirft der Charité Versäumnisse in der Informationspolitik vor. Der Vorsitzende des Vereins Deutsche Kinderhilfe, Georg Ehrmann, hält einen verbindlichen Schutz vor Übergriffen für Kinder an sogenannten Risiko-Orten für notwendig. Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD) kritisiert die Klinikleitung und fordert personelle Konsequenzen.

Ein 16-jähriges Mädchen soll vor einer Woche in der Rettungsstelle der Kinderklinik am Campus Virchow von einem Pfleger sexuell missbraucht worden sein. Der Mann soll auch für weitere Übergriffe verantwortlich sein. Er ist inzwischen suspendiert. Die Charité steht in der Kritik, weil sie nicht sofort Anzeige erstattete und den Vorfall erst Tage später kommunizierte.

Kinderschutz-Experte für offene Räume in Kliniken

Scheeres forderte den Vorstand der Klinik auf, die genauen Hintergründe und Abläufe offenzulegen. "Daraus wird sich ergeben, ob personelle Konsequenzen gezogen werden", sagte die Politikerin im Abgeordnetenhaus. Es sei aber bereits jetzt klar, dass die Verantwortlichen Fehler gemacht hätten. Anfang Dezember werde sich der Aufsichtsrat mit dem Thema befassen. Scheeres bezeichnete es als "unerklärlich", warum der Tatverdächtige im Kinderbereich des Krankenhauses eingesetzt worden sei.

Die Charité habe Probleme bei der Personalauswahl gehabt und es jahrelang versäumt, Vorfälle aktenkundig zu machen, sagte der Weiße-Ring-Sprecher Veit Schiemann. Interne Recherchen führten nach Missbrauchsvorwürfen von einer 16-Jährigen zutage, dass ein seit 40 Jahren beschäftigter Pfleger schon früher aufgefallen sein soll.
"Wer weiß, wie viel sich dahinter noch verbirgt."

Über das Vier-Augen-Prinzip müsse sichergestellt werden, dass ein Pfleger oder ein Betreuer Situationen wie jetzt in der Charité nicht ausnutzen kann, sagte Ehrmann. Darüber hinaus müssten solche Einrichtungen zur Abfrage des erweiterten Führungszeugnisses für Personal verpflichtet werden. Zugleich kritisierte er, dass es mehr als eine Woche gedauert habe, bis Ermittlungen an der Charité eingeleitet worden seien.

Gegen sexuellen Missbrauch in Kliniken helfen nach Meinung des Kinderschutz-Experten Matthias Nitsch vor allem offen gestaltete Räume in Kliniken. Sie böten potenziellen Tätern unter den Pflegern weniger Rückzugsmöglichkeiten und machten Situationen für Übergriffe "möglichst unattraktiv", sagte der Vize-Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung und -vernachlässigung. Ein Kind nie mit einem Pfleger allein zu lassen, sei grundsätzlich "gut und richtig und wichtig", dürfe aber nicht zum Dogma werden.

Bessere Kommunikation der Charité gefordert

Der Präsident der Berliner Ärztekammer, Günter Jonitz, forderte ebenfalls bessere Kommunikationsstrukturen an Krankenhäusern. Die Einrichtungen müssten dafür sorgen, dass Mitarbeiter keine Angst hätten, über Vorfälle oder Missstände zu berichten, sagte er im RBB. Zugleich nahm Jonitz die Charité in Schutz. Das Haus bemühe sich bereits um ein besseres Risikomanagement.

Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, Heiko Thomas, nannte den Missbrauchsfall "höchst dramatisch". Auch er forderte "Nachbesserungen" der Charité bei der Kommunikation. Jonitz habe aber recht, wenn er sage, die Charité müsse vor einem Generalverdacht geschützt werden.

Charté-Chef Karl Max Einhäupl hatte am Mittwoch gesagt, er wolle die Informationspolitik der Charité "vom Kopf auf die Füße" stellen. Die Prävention wäre nach Angaben der Pflegeleitung jedoch schon in der Vergangenheit verbessert worden. Danach sind alle Mitarbeiter aufgefordert, ungewöhnliche Vorfälle zu melden. Dazu gibt es auch ein anonymes Telefon. Das Krankenhaus war zuletzt wegen der Informationspolitik zu Keim-Infektionen von Kindern in die Kritik geraten.

(APD)
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