Evangelischer Kirchentag Wohlauf und hilf uns streiten

Düsseldorf · Heute beginnt der evangelische Kirchentag in Stuttgart. Zu rechnen ist mit einem großen Glaubensfest bei bestem Wetter, mit Kontroversen dagegen eher nicht. Schon seit Jahren leiden die Kirchentage unter politischer Harmoniesucht. Das ist schlecht - für die Politik und für die Kirche.

  Es ist angerichtet: "Aufhockern" nennen die Kirchentagsexperten die Ausrüstung der Tagungshallen mit den charakteristischen Pappsitzen. Darauf prangt das Kirchentagslogo, das sogenannte Jerusalemkreuz.

Es ist angerichtet: "Aufhockern" nennen die Kirchentagsexperten die Ausrüstung der Tagungshallen mit den charakteristischen Pappsitzen. Darauf prangt das Kirchentagslogo, das sogenannte Jerusalemkreuz.

Foto: dpa

Nur gut, dass der evangelische Kirchentag mal wieder in Stuttgart stattfindet, erstmals seit 1999. Die Hälfte der Besucher sympathisiert nämlich, das ergab eine Studie der Uni Leipzig, mit den Grünen. Passenderweise steht an der Spitze sowohl der Stadt (Fritz Kuhn) als auch des Landes Baden-Württemberg (Winfried Kretschmann) jeweils ein Grüner. Umweltthemen sollen obendrein ein Schwerpunkt sein. Der Kirchentag, diesmal unter dem Motto "Damit wir klug werden" (ein Zitat aus Psalm 90), findet großenteils mitten in der City statt, bestes Wetter ist angekündigt. 100 000 Dauerteilnehmer werden erwartet.

Alles stimmig also. Ein bisschen zu stimmig. Denn der gastgebende Landesbischof Frank Otfried July sagt zwar tapfer, man spreche "eine eigene Kirchentagsfrömmigkeit von Menschen" an, "die sich zu Hause nicht zu ihren Kerngemeinden zählen", und zugleich "erreichen wir auch die, die besonders an Zeitthemen interessiert sind" (was wohl politisches Interesse einschließen soll). Angesichts des Programms drängt sich aber der Eindruck auf: Da hat man sehr, sehr auf die Karte "Glaubensfest" gesetzt und den politischen Streit hintangestellt.

Tumulte waren gestern

All das war einmal anders. Da endeten Kirchentage im Tumult (1969, interessanterweise in Stuttgart, als Studenten das Podium kaperten) oder liefen heiß angesichts politischer Glaubensfragen (1981 und 1983, als es um Nachrüstung ging). Großthemen dieser Qualität gibt es heute nicht mehr? Doch, schon - noch 2007 in Köln stritt man engagiert über das Verhältnis zum Islam.

Seither gelingt die Fokussierung nicht mehr. Der kontroverse Diskurs, Treibmittel sowohl der Demokratie als auch der evangelischen Gewissensbildung, kommt zu kurz. Allzu oft sind die Diskutanten einer Meinung, nämlich der des Publikums. Der Erkenntnisgewinn ist naturgemäß beschränkt, aber das Kirchenvolk geht mit einem guten Gefühl nach Hause. Auch Kanzlerin und Minister werden von den Protestanten meist nicht mit allzu lästigen Nachfragen traktiert. Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und heutige Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017, Margot Käßmann, ist da mit ihren zwar simplen, aber pointierten Polit-Botschaften geradezu eine Wohltat.

Das 620 Seiten starke Programmheft führt zum Beispiel kein einziges Mal den Begriff "Pegida" auf. Zwar ist der islamkritischen Bewegung inzwischen die Puste ausgegangen - aber eine scharfe Anfrage an kirchliche Identität war sie doch; schließlich haben auch Vertreter der evangelischen Kirche bemerkt, dass unter den angeblichen Abendlandsrettern manches verirrte Schaf war. Zur deutschen Islam-Debatte fällt Bischof July jetzt nur der matte Satz ein: "Wir wollen das Schwarz-Weiß-Denken durchbrechen."

Auch das heikle Verhältnis des Protestantismus zu den Evangelikalen (Stichwort: Homosexualität) ist allenfalls am Rande Thema - umso merkwürdiger in der württembergischen Landeskirche, die so stark vom Pietismus geprägt ist und die innerhalb der politisch linksgestrickten EKD-Führung immer wieder als Hort des Konservatismus auffällt. Zwar findet gleichzeitig mit dem Kirchentag in Stuttgart der pietistische Christustag statt; aber miteinander ins Gespräch, am Ende gar (bewahre!) ins Streiten, kommen die maßgebenden Vertreter nicht.

Flüchtlinge als wichtiges Thema

Breiten Raum im Programm nehmen, immerhin, die Flüchtlinge ein. Der größte Teil der Kollekten soll in deren Betreuung fließen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) dürfte einer der wenigen Politiker sein, die sich auf öffentliche Kritik gefasst machen müssen, zumal er selbst jüngst die Kirchen mit dem Vergleich zwischen Kirchenasyl und Scharia provozierte.

Aber die politisch kontroversen Podien muss man mit der Lupe suchen unter den mehr als 2500 Veranstaltungen. Dafür bietet auch dieser Kirchentag allerlei Skurrilitäten wie das "Tischgespräch Anthroposophie und Landwirtschaft", eine "Bibelarbeit zum Mittanzen" oder eine Theateraufführung auf dem Friedhof ("Da legschd di niedr!").

Dabei wollen die Besucher durchaus mit Debatten behelligt werden. Zwar stehe das Religiöse an erster Stelle, fanden die Leipziger Forscher heraus; aber zwei Drittel der Besucher wollen auch an aktuellen Diskussionen teilnehmen. Die Losung "Damit wir klug werden" ermuntere zu Selbstkritik, betont Kirchentags-Generalsekretärin Ellen Ueberschär. Wenn das auch für die Programmgestaltung gilt, gibt es genug Stoff.

Vielleicht täte eine musikalische Ermunterung gut: "Wohlauf und hilf uns streiten" etwa, der zweite Vers des auch unter Protestanten beliebten Lieds "Zieh an die Macht, du Arm des Herrn". Allein: Im Stuttgarter Kirchentags-Gesangsheft kommt das Stück nicht vor. Es gilt mit seinem martialischen Text schon länger nicht mehr als zeitgemäß.

(RP)
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