Erzbischof Ludwig Schick "Hoffnungslose Fälle gibt es für Christen nicht"
Bamberg · Erzbischof Ludwig Schick ist bekannt für sein Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus und für seine große Bereitschaft, Flüchtlingen zu helfen. Im Interview spricht er auch drüber, wie auf Morddrohungen von AfD Anhängern reagiert.
Wie groß ist noch die Bereitschaft der Menschen, Flüchtlingen zu helfen?
Erzbischof Ludwig Schick Wir haben in unserer Diözese eine große Erstaufnahme-Einrichtung; nach wie vor sind dort viele Ehrenamtliche tätig. In den Weihnachtstagen werden auch wieder viele Flüchtlinge in Familien aufgenommen. Das zeigt mir, wie stark das Engagement für Flüchtlinge weiterhin ist. In der Öffentlichkeit ist viel von Ablehnung die Rede; meine Wahrnehmung ist, dass die Hilfsbereitschaft wie bisher hoch ist. Das freut mich.
Könnte sich durch den Terrorakt in Berlin die Stimmung gegen zunehmend gegen Flüchtlinge wenden?
Schick Es ist zu befürchten, dass der Terrorakt in Berlin die Stimmung gegen die Flüchtlinge hierzulande verstärkt. Das muss aber verhindert werden. Dafür ist es wichtig, dass sich möglichst alle nicht von Emotionen, wie Ängste, Sündenbockreaktionen, Verallgemeinerungen und Verärgerung leiten lassen, sondern von der Vernunft. Die Vernunft unterscheidet und fällt niemals Pauschalurteile. Es gibt unter den Flüchtlingen welche, die bereit sind, terroristische Akte zu begehen und sich von IS, Salafisten, Dschihadisten etc. fernsteuern zu lassen. Es muss alles getan werden, diese ausfindig und unschädlich zu machen.
Bleibt die Gefahr, dass der Terrorakt politisch instrumentalisiert wird.
Schick Die Vernunft sagt uns auch, dass die Unschuldsvermutung zu gelten hat, auch bei den Flüchtlingen. Wo wollen wir hinkommen, wenn jeder jeden verdächtigt und schuldig spricht ohne Beweis? Wichtig ist zudem, dass alle, besonders die Verantwortungsträger in der Gesellschaft, die Politiker, die Kirchenvertreter, Gewerkschafter und auch Ordnungskräfte keine unbedachten und weder von Vernunft noch von Recht und Ordnung gedeckten Äußerungen machen. Mit der Sprache kann man viel Unheil anrichten! Zur Vernunft gehört last but not least, dass auch jeder in der Öffentlichkeit achtsam ist und zu verhindern sucht, dass er oder andere geschädigt werden. Dabei sind unsere Ordnungskräfte an erster Stelle gefordert, mit denen wir alle gut zusammenarbeiten müssen. Die Vernunft nimmt Ängste und schärft die Wachsamkeit. Der christliche Glaube gibt Vertrauen und Zuversicht, dass wir eine gute Zukunft aufbauen können.
Bekommen wir einen anderen Blick auf die Welt, indem die Flüchtlinge ihre Schicksale und ihre Lebensgeschichten zu uns bringen?
Schick Das ist vollkommen richtig. Wir haben die Notsituationen in den Kriegsgebieten wie jetzt in Syrien, aber auch im Irak, nicht richtig an uns herangelassen. Jetzt kommt diese Wirklichkeit durch die Flüchtlinge direkt zu uns. Das ist natürlich ein Schock, vielleicht aber auch ein heilsamer, indem wir uns viel intensiver als bisher um eine friedliche und gerechtere Welt kümmern. Da ist jeder gefordert, und jeder kann dazu beitragen. Die meisten Flüchtlinge wollen ja in ihrer Heimat leben. Aber wie ist es möglich, wenn man täglich um sein Leben und das seiner Kinder fürchten muss? Dass Menschen daraus ausbrechen und für sich eine bessere Zukunft suchen, ist verständlich.
Gewinnt dadurch die Kirche mit ihrem Auftrag und mit ihrer Botschaft wieder eine stärkere gesellschaftliche Bedeutung hierzulande? Johannes Paul II. hat gesagt; "Der Weg der Kirche ist der Mensch."
Schick Das stimmt. Mittlerweile wird es vielen wieder bewusst, dass die Kirche sich für die Menschen, besonders die notleidenden, einsetzt. Die Kirche wird wieder relevanter, indem sie sich den gegenwärtigen Problemen stellt. Aber wir sind nicht blauäugig und wissen, dass wir nicht alle Flüchtlinge integrieren können. Denen, die zu uns kommen, müssen wir ohne Wenn und Aber beistehen. Wer in Not ist, muss von einem Christen Hilfe erhalten. Wir müssen aber alles tun, dass in den Ländern, in denen jetzt Krieg herrscht, wieder Frieden einkehrt und die Menschen dort bleiben oder zurückkehren können. Unsere Flüchtlingshilfe kommt auch Syrien und dem Irak und deren Nachbarländern zugute. Da wird sehr viel getan, was ich jüngst auf einer Reise durch diese Länder erleben durfte.
Welche Erfahrungen haben Sie denn in diesen Ländern gemacht?
Schick Ich habe viele Menschen getroffen, die dort bleiben möchten und die uns gesagt haben: Helft uns doch, damit wir hier weiter leben können. Sie wünschen Frieden, Lebensmöglichkeiten und eine Zukunft in ihrer Heimat.
Dass die Kirche eine neue gesellschaftliche Relevanz bekommen hat, haben Sie selbst ja auf ungute Weise zu spüren bekommen. Sie haben unter anderem Morddrohungen wegen Ihrer Flüchtlingshilfe bekommen. Wie sind Sie damit umgegangen?
Schick Das ist schockierend für mich gewesen. Bei aller persönlichen Betroffenheit muss man aber auch sehen, dass ich ins Kreuzfeuer geraten bin, weil ich mich für die eingesetzt habe, die noch viel mehr angegriffen werden - nämlich die Flüchtlinge und Asylbewerber. Ihnen beizustehen und sich im wahrsten Sinne des Wortes vor sie zu stellen, hat eben zur Konsequenz, dass man Angriffe gegen sie selbst zu spüren bekommt. Wir dürfen diese Menschen nicht ohne Schutz und Hilfe lassen, sonst verraten wir das Evangelium und verraten Jesus Christus. Ich wurde angegriffen, weil ich mich schützend vor Menschen gestellt habe, denen nach Meinung der Angreifer nicht geholfen werden sollte. Das ist das eigentlich Erschreckende.
Hatten Sie auch Angst? Oder machen solche Attacken stark, indem man sich in seiner Haltung bestärkt fühlt?
Schick Zumindest nach dem ersten Erschrecken ist in mir der Widerstand stark geworden: Du bist Christ, du willst als Bischof den Menschen vorangehen, du willst und musst zeigen, wie man als Christ zu leben hat. All das ist in mir stark geworden. Wir dürfen in unserem Widerstand nicht nachlassen, wenn es um Menschen geht und um ihren Schutz vor falschen, ungerechtfertigten und bösen Angriffen.
Sind die christlichen Kirchen in Deutschland in der Flüchtlingsfrage stärker aufeinander zugegangen, als es in allen ökumenischen Bemühungen bisher der Fall war?
Schick Das ist so eine Art "Unity by doing". Die Kirchen haben in ihrem Engagement für Flüchtlinge viel Zuspruch bekommen, auch von Menschen, die keiner Kirche angehören. Ökumene besteht darin, alles zu tun, was wir gemeinsam tun können und dadurch die volle Einheit wachsen zu lassen. Im Engagement für Flüchtlinge können wir eben sehr viel gemeinsam tun. Durch das gemeinsame Tun ist die Einheit stärker geworden.
Wie schwierig ist es für Sie, den Dialog mit Menschen zu suchen, die keinen Dialog wünschen, und Toleranz gegenüber jenen zu zeigen, die keine Toleranz kennen? — wie etwa Ihren Kritikern in der AfD?
Schick Das kann ich schon. Das hängt auch mit meinem Wesen und meiner Erziehung zusammen. Ich habe keine Berührungsängste. Ich kann mit Menschen reden, die ganz anders denken, ich bin nicht nachtragend, auch nicht gegen die, die sich gegen mich verbal daneben benommen haben. Nur durch den Dialog kann man die eigenen christlichen Prinzipien und Werte weitertragen. Darum bin ich auch bereit, mit Anhängern der AfD zu sprechen. Man darf keinem Menschen von vornherein alles Gute absprechen. Hoffnungslose Fälle gibt es für Christen nicht.
Können Sie sich denn vorstellen, dass es auch Grenzen des Dialogs gibt?
Schick Wenn ich spüren würde, dass jemand den Dialog missbraucht, um Propaganda für sich zu machen, dann würde ich das Gespräch abbrechen. Dialog heißt, miteinander die Wahrheit suchen. Wenn ich mit jemandem sprechen kann, um der Wahrheit ein Stück näher zu kommen, dann spreche ich auch mit ihm.
Die Geschichte der Bibel ist eine Geschichte von Flucht und Vertreibung. Gehört Migration zu einem Wesenszug des Menschen?
Schick Man muss klar zwischen Migration und Flucht unterscheiden. Migration ist etwas, was wichtig für die Entwicklung der Menschheit ist, etwa für den Austausch der Kulturen. Migration ist etwas, was im Plan Gottes und in der Heilsgeschichte vorgesehen ist. Flucht und Vertreibung will Gott hingegen nicht, sie nehmen Menschen die Freiheit, die Heimat und das Selbstbestimmungsrecht. Aber auch aus Flucht und Vertreibung kann immer noch etwas Gutes werden.
Wo wäre Jesus in diesen Tagen?
Schick Jesus ist immer bei den Armen gewesen, und er wäre auch heute bei den Armen. Er würde sich mit Flüchtlingen und Asylbewerbern treffen. Er wäre in Aleppo und Mossul. Aber Jesus hat immer auch die eigene Familie und die Freunde geschätzt; mit ihnen hat er die jüdischen Feste gefeiert. Man darf Jesus nicht vereinnahmen, nur für das eine oder nur für das andere. Aus der Beziehung zu seinen Freunden und zu seiner Familie hat er Kraft geschöpft, um sich für jene einzusetzen, die am Rand der Gesellschaft standen.
Das heißt auch, dass man seine Identität bewahren muss.
Schick Im gesamten Christentum haben wir immer gesagt: Es gehört die Gottesliebe dazu, es gehört die Nächstenliebe dazu, und es gehört die geordnete Eigenliebe dazu. Nur wer sich selbst annimmt und liebt, kann den Nächsten und auch Gott lieben.