Showdown zwischen Wahlverteidiger und Richter Eklat im Prozess um Tod im Dachauer Gerichtssaal

München · Der Vorsitzende Richter wähnt sich in einem "Kasperletheater" - tatsächlich aber scheint sich der Prozess gegen den Todesschützen Rudolf U. mehr und mehr zu einem Trauerspiel zu entwickeln.

Januar 2012: Mann erschießt Staatsanwalt in Dachauer Gerichtssaal
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Weil der eigentliche Gegenstand des Verfahrens, der kaltblütige Mord an Staatsanwalt Tilman T. im Januar im Dachauer Amtsgericht, spätestens nach dem Eklat vom Mittwoch in den Hintergrund zu rücken droht. Vor dem Landgericht München geht es immer weniger um das, weswegen die trauernde junge Witwe des Opfers, die als Nebenklägerin auftritt, den Gerichtssaal noch immer nicht ohne Taschentücher betreten kann.

Schon vor dem Prozess und zu Beginn am Montag standen der Gesundheitszustand des diabeteskranken und beinamputierten Angeklagten U. im Fokus. Am Mittwoch geriet die Vernehmung der Zeugen fast zur Staffage in der Verhandlung, in der es zum Showdown zwischen Richter Martin Rieder und Wahlverteidiger Maximilian Kaiser kam, der sein Mandat ruhen lassen wollte. Nach einem Wortgefecht verließ der Anwalt schließlich wutschnaubend den Gerichtssaal.

Der Anwalt warf dem Gericht empört "Wortklauberei", "Diffamierung" und "Schikane" vor, die er "ständig zu erdulden" habe, "weil alle im Saal gegen mich sind". "Dass das Gericht was gegen mich hat wie alle anderen, ist auch klar", sagte Kaiser erregt, der auch Medien und Zuhörer einschloss. Er warf den Richtern vor, die Motivlage des Angeklagten und seine eigenen Anträge nicht gründlich genug zu prüfen. Bereits am Vortag war Kaiser vom Richter am Verlesen eines rund 20-seitigen Antrags gehindert worden.

"Nur noch peinlich"

Rieder rügte Kaisers "Geltungsdrang" und entgegnete, er habe in seiner Zeit als Richter schwierige Anwälte gehabt, "aber so was habe ich in meiner ganzen Laufbahn nicht erlebt. Alles, was Sie hier sagen, ist doch nur noch peinlich". Durch Kaisers "Pamphlet", wie er den vorausgegangenen Antrag nannte, fühle er sich "persönlich beleidigt" und werde dies an die Staatsanwaltschaft weiterleiten.

Kaiser legte daraufhin seine Robe ab und verließ den Saal, um sich, wie er später erklärte, "zu beruhigen". Mit zu seinem Verhalten könnte beigetragen haben, dass Rieder auch Kaisers erneuten Antrag, U.s Pflichtverteidiger zu werden, ablehnte. Kaiser dürfte damit keine Bezahlung für sein Engagement bekommen, da gegen den Angeklagten ein Insolvenzverfahren läuft. Kaiser stellte am Nachmittag klar, er bleibe zwar Wahlverteidiger von U., könne aber noch nicht sagen, ob und wann er wieder im Gericht auftrete.

"Sie fahren nicht heim, Sie bleiben da"

Als U. zwischenzeitlich seinen Anwalt verteidigen wollte und vom Krankenbett aus androhte, man solle ihn gewähren lassen, "sonst fahre ich heim", entgegnete Rieder verärgert: "Sie fahren nicht heim, Sie bleiben da. So weit kommt's noch, dass wir hier Kasperletheater spielen."

Von vereinzelten Einwürfen wie diesen abgesehen folgte der 55-jährige U., der des Mordes und des dreifachen Mordversuchs angeklagt ist, dem Prozess wie bisher weitgehend regungslos von seinem Krankenbett aus. Eine Breze und ein Becher Kaffee, dem ihm Pflichtverteidiger Wilfried Eysell wohl mitgebracht hatte, standen neben ihm auf dem Richtertisch bereit. U. schien tiefer zu liegen als an den vergangenen Tagen und war hinter dem Fußteil seines Bettes für die Zuschauer kaum noch sichtbar.

Auch Tat und Opfer wären an diesem Mittwoch im Gerichtssaal fast nicht mehr präsent gewesen. Der Anwältin von T.s Ehefrau ist es zu verdanken, dass ein mit dem Getöteten befreundeter Staatsanwalt noch einmal in den Zeugenstand berufen wurde - "nur", um zu schildern, wie er T. erlebt habe. Und T. sei "juristisch wirklich großartig" gewesen, was er jedoch nie jemanden habe spüren lassen. Ein "feiner Kerl", voller menschlicher Wärme. Von der Nachricht aus Dachau seien "alle in der Behörde erschüttert gewesen", sogar die Putzfrau habe Tränen in den Augen gehabt.

(APD)
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