Jahresrückblick Ein schlechtes Jahr für die Kirchen

Düsseldorf · Die Kirchen in Deutschland sind in der öffentlichen Debatte 2013 wieder etwas mehr aus der Mitte der Gesellschaft gerutscht. Grund sind eigene Fehler – und zunehmende Unduldsamkeit gegen organisierte Religion.

Die Kirchen in Deutschland sind in der öffentlichen Debatte 2013 wieder etwas mehr aus der Mitte der Gesellschaft gerutscht. Grund sind eigene Fehler — und zunehmende Unduldsamkeit gegen organisierte Religion.

Es lässt tief blicken, dass bei der Wahl zum Wort des Jahres der "Protz-Bischof" auf Platz zwei einlief, eine Schöpfung aus dem Umfeld der Affäre um Franz-Peter Tebartz-van Elst und die Kostenexplosion beim Bau von dessen Bischofsresidenz in Limburg. Man mag mit einigem Recht einwenden, der "Protz-Bischof" sei linguistisch ein Boulevard-Gewächs von zweifelhaftem Wert — als Hinweis, dass etwas im Argen liegt, taugt er aber allemal.

Causa Tebartz als Tiefpunkt

Denn 2013 war ein schlechtes Jahr für die Kirchen in Deutschland, trotz der Hoffnungszeichen, die von Rom seit der Wahl des neuen Papstes ausgehen. Die Causa Tebartz war nur der Tiefpunkt in vor allem für Katholiken strapaziösen zwölf Monaten. Es fing schon ungut an, mit dem Streit zwischen den Bischöfen und dem Kriminologen Christian Pfeiffer um die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals — der Professor warf der Kirche daraufhin Zensur vor.

Nur Tage später brach eine erste Welle der Empörung los, weil zwei katholische Krankenhäuser in Köln die Behandlung einer Vergewaltigten ablehnten — offenbar um eine Beratung über die "Pille danach" zur Abtreibung zu vermeiden. Dass dem eine Entschuldigung von Kardinal Joachim Meisner folgte, zeigt, welche Wellen der Fall auch innerkirchlich schlug. Am Ende stand eine kirchliche Neupositionierung — Präparate, die eine Befruchtung verhindern, sind erlaubt; solche, die abtreibend wirken, nicht.

"Volk Gottes"

Und dann noch Tebartz — der Mann, der einst als Hoffnungsträger galt, der dann aber, auch aufgrund der eigenen Amtsführung, ins Zentrum gleich zweier Affären geriet: der um den Residenzbau und einer um ein Strafverfahren wegen uneidlicher Falschaussage.

Dreimal war der Befund dasselbe: Die Kluft zwischen Amtskirche und "Volk Gottes" ist katholischerseits gewachsen; Entscheidungen der Hierarchie stoßen zunehmend auf Unverständnis oder werden ganz ignoriert. Die sozusagen amtliche Beglaubigung kommt dieser Tage von der Kirche selbst, nämlich im Zusammenhang mit dem Meinungsbild der Gläubigen zu Familienbild und Morallehre. Da stellt etwa das Erzbistum Köln unverblümt fest: "Insgesamt wird die Lehre der Kirche als welt- und beziehungsfremd angesehen."

Die evangelische Kirche hat die gleichen Problemfelder zu beackern; auch ihr geht es um die eigene gesellschaftliche Relevanz. Und dass die Tebartz-Affäre auch hier zu einem Anstieg der Austrittszahlen führte, erkannte Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), richtig als "Ökumene der fatalen Art". Die Probleme selbst liegen aber sozusagen über Kreuz: Während es bei den Katholiken provokante Gestalten wie Tebartz und Meisner sind und eine immer öfter als rückständig empfundene Lehre, an denen sich der Unmut entzündet, sieht sich der Protestantismus mit dem Vorwurf der "rundgelutschten" Zeitgeistdienerei auf Kosten der Theologie konfrontiert.

"Ökumene der fatalen Art"

Beispiel Familienbild: Die "Orientierungshilfe" der EKD, die eine Lanze für alleinerziehende Mütter, Patchworkfamilien und homosexuelle Partnerschaften brach, wurde zum publizistischen Bumerang. Ursache einer Woge massiver Kritik war vor allem der als defizitär empfundene theologische Abschnitt, der, so hieß es, leichtfertig den unbequemen Teil des biblischen Zeugnisses beiseite wische. Die EKD räumte Fehler in Vermittlung und Inhalt ein; Schneider reichte eine brillante theologische Begründung nach — fünf Monate später. Es bleibt der Eindruck einer richtigen, aber unprofessionellen Initiative.

Übertriebener Proporz und chronische Uneinigkeit haben zudem dazu geführt, dass an der EKD-Spitze, also im Rat, derzeit kaum jemand über die Grenzen des organisierten Protestantismus hinaus noch breite öffentliche Wirkung entfaltet. Der — zugegeben kauzige, aber zumindest auffällige — Kandidat für das Präsesamt der Synode, der Bayer Günther Beckstein, scheiterte nicht zuletzt an seiner konservativen Auffälligkeit; immerhin wählte man als Ersatz Irmgard Schwaetzer, deren forsches Auftreten hoffen lässt.

Inhaltlich praktisch lahmgelegt

Erschwerend kommt hinzu, dass die seit je politisch aktive rheinische Kirche über das Jahr inhaltlich praktisch lahmgelegt war — zunächst durch den Finanzskandal bei ihrer Firma BBZ, dann durch den personellen Umbruch mit Wechsel im Präsesamt, schließlich und bis dato durch eine unerwartete rigide Spardebatte, die bisher eher nach buchhalterischen als nach theologischen Gesichtspunkten geführt wird.

Insgesamt sind die großen Kirchen 2013 im öffentlichen Diskurs wieder etwas mehr aus der gesellschaftlichen Mitte gerutscht. Das haben sie teils sich selbst zuzuschreiben, aber zur Wahrheit gehört auch, dass sich die Gesellschaft kirchliche Positionen oft kaum noch vermitteln lässt. "Die Diskrepanz ist groß zwischen dem, was die Kirchen tun, und dem, wie sie wahrgenommen werden", sagt der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack: "Die Kirchen können oft tun, was sie wollen — sie kommen aus der Ecke nicht heraus. Dabei tun sie in ihrer täglichen Arbeit eigentlich schon das Richtige."

Puffer gegen gröbste Kritik

Pollack vermisst "eine Art Puffer gegen die gröbste Kritik": "eine breite, christlich geprägte Zivilgesellschaft, die sich schützend vor die Kirchen stellt". Der Berichterstatter der Uno für Religionsfreiheit, Heiner Bielefeldt, konstatierte unlängst für Westeuropa gar eine "wachsende Religionsverachtung, die in Hass umschlagen kann": "Unter der Hand wird aus einem Grundrecht ein Privileg, das man beseitigt sehen will." Wer die deutschen Debatten um Kirchenfinanzen oder kirchliches Arbeitsrecht beobachtet, mag ihm recht geben.

Was tun also? Eins ist für Pollack klar: "Ganz falsch wäre angesichts der Probleme eine Wagenburg-Mentalität — das verstärkt alle Vorurteile." Er rät für 2014 eher zu Balance: "Die Kirchen müssen es schaffen, sich zu öffnen, zugleich aber Profil zu beweisen."

(RP)
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