Dürre- und Schädlingskatastrophe „Im Wald geht grade die Zukunft kaputt“

Künzelsau · Die Landwirtschaftsministerin hat in diesem Sommer einen großen Aktionsplan für den Schutz der deutschen Wälder angekündigt. Und das tut offenbar auch Not. Denn Forstarbeiter stehen der Dürre- und Schädlingskatastrophe im Wald aktuell hilflos gegenüber

 Teufelsstieg nahe dem Eckerloch bei Schierke: Die Fichten fielen dem Borkenkäfer zum Opfer (Symbolbild).

Teufelsstieg nahe dem Eckerloch bei Schierke: Die Fichten fielen dem Borkenkäfer zum Opfer (Symbolbild).

Foto: ZB/Klaus-Dietmar Gabbert

George Koch ist seit Jahrzehnten Waldarbeiter. Geübt fährt seine Hand um hüfthohe, bleistiftdünne Pflänzchen, drückt wuchernde Brombeeren und Hochgräser zur Seite, damit die jungen Eichen sichtbar werden. Dann mäht er um sie herum. In einigen Jahrzehnten werden die Eichen stabile Stämme und stattliche Kronen haben, hofft er. Selbstverständlich ist das nicht mehr. „Im Wald geht grade die Zukunft kaputt“, sagt der Mann mit dem sonnengegerbten Gesicht.

Vor elf Jahren hat er eine Fichtenschonung im nordwürttembergischen Hohenlohe neu gepflanzt. Die 860 Bäumchen hat er gepflegt wie die Eichen jetzt, erzählt er. Diesen Sommer sind alle tot. An die Dürre und Hitze der vergangenen zwei Jahre seien die Bäume nicht angepasst, weder junge noch alte: „Ein 50-jähriger Baum, Durchmesser 80 Zentimeter - jetzt ist er weg“, sagt Koch. „Mir zittern die Hände, aber man muss weiterkämpfen.“

Was die Waldarbeiter angesichts der Katastrophe tun könnten, sei „die schlimmsten Brände löschen: Käferholz raus und Verkehrssicherung entlang der Straßen“. Da ist der Besuch bei den jungen Eichen fast schon Erholung.

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Foto: dpa/Jens Büttner

Kochs Chef Roland Hartz, Forstamtsleiter im Hohenlohekreis, pflegt die Hoffnung - so wie sein Mitarbeiter die jungen Eichen pflegt: „Ich bin überzeugt: Der Wald hat eine Zukunft.“ Pflanzen wollten überleben, passten sich an. Und es gebe es eine große Vielfalt von etwa 15 Baumarten im Wald. „Wir haben hier längst überall Mischwald“, sagt der Forstexperte.

Er weiß, dass in dieser historischen Katastrophe nicht nur die Bäume leiden, sondern auch viele seiner Kollegen gegen Burn-out kämpfen. Was sie an Zerstörung in kürzester Zeit erleben, war so noch nie da. „Da tauchen Schädlinge auf, die wir bisher nicht kannten“, sagt Hartz. „Wir lernen jede Woche einen neuen Namen.“

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) geht deutschlandweit von 110.000 Hektar Wald aus, die allein im Jahr 2018 durch Stürme, Dürre, Brände und Borkenkäferbefall verloren gegangen sind. Sie plant einen „Nationalen Waldgipfel“ am 25. September.

Der Bund Deutscher Forstleute nennt eine Fläche von 250.000 Hektar, die wiederbepflanzt werden müsse. Dafür sei eine Milliarde junger Bäume nötig. Insgesamt gibt es laut Schutzgemeinschaft Deutscher Wald bundesweit 11,4 Millionen Hektar Wald. Mehr als 90 Milliarden Bäume wachsen dort.

In Baden-Württemberg spricht Forstminister Peter Hauk (CDU) von einer Situation, „die Ausmaße annimmt, die bislang niemand für möglich gehalten hätte“. Nachdem 2018 vor allem die Fichte unter Trockenschäden litt, hat es dieses Jahr alle Hauptbaumarten erwischt: „Nun leidet auch die Tanne. Buchen vertrocknen und Kiefern gehen reihenweise ein. Trockenstress und Schädlingsbefall gingen vielfach Hand in Hand“, erklärt Hauk.

Im Moment ist offen, wie für die Zukunft ein Wald erhalten werden kann, der dem Klima trotzt, die Versorgung mit dem Rohstoff Holz sicherstellt und zudem große Mengen an Kohlendioxid speichert.

„Es gibt keine Wunderbaumarten - auch nicht Atlaszeder und Tulpenbaum“, sagt Roland Hartz zur Diskussion um einen Artenwechsel. Er verweist auf ein Experiment mit Mammutbäumen in hohenlohischen Wäldern. Seit einigen Jahren habe ein Schädling die Baumriesen erfasst, der für ein Sterben der Triebe verantwortlich sei. „Botryosphaeria“ heißt er.

Wenn der Borkenkäfer in eine Fichte einfällt, ist sie in acht bis zehn Wochen tot. Buchen dagegen sterben schubweise. Der Prachtkäfer oder der Buchenborkenkäfer setzen ihnen zu. Ein Pilz folgt. Das eigentlich so zähe, belastbare Holz wird morsch, bricht wie Glas. Buchenwipfel krachen selbst an einem stillen, sonnigen Sommertag unverhofft zu Boden. „Die Arbeit im Wald ist wohl die gefährlichste, die es in Deutschland zurzeit gibt“, sagt Hartz.

Jetzt wären Menschen nötig, „die mitleiden und es überhaupt wahrnehmen“, wünscht sich der Forstamtsleiter. Doch es gebe noch immer Waldbesucher, die die silbern in den Himmel starrenden toten Äste der uralten Buchen nicht wahrnähmen, sagt er, und auch nicht den olivbraunen statt frischgrünen Schimmer, der sich über den Wald gelegt habe. Nicht zu übersehen allerdings sind die Fichten- und Tannenleichen.

Hierzulande muss man den Wald und das Holz neu schätzen und nutzen lernen, ist Hartz überzeugt. Zurzeit werde viel Holz aus Deutschland nach Asien exportiert, nach Vietnam, China und Indonesien vor allem, sagt der Forstfachmann. Nachhaltigkeit sei, was wiederentdeckt werden müsse. Das schließe Wirtschaftlichkeit und Generationengerechtigkeit ein. Für die Pflege der Ressource Wald „ist Geld nötig, sonst braucht es Jahrzehnte länger, bis sie wieder ihre vielfältigen Aufgaben erfüllen kann“.

(felt/epd)
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