Dritter Ausbruch in zwölf Monaten

In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bochum hat es gestern erneut einen Ausbruchsversuch gegeben. Die Polizei warnte die Bevölkerung und löste eine Großfahndung aus. Wenig später wurde der Sträfling jedoch in der JVA gefunden. Der Fall beschäftigt nun den Rechtsausschuss im NRW-Landtag.

Dritter Ausbruch in zwölf Monaten
Foto: dapd, dapd

Bochum/Düsseldorf Die Justizvollzugsanstalt Bochum-Krümmede gestern Morgen: Als Strafvollzugsbeamte um 6 Uhr die Zelle eines 50-jährigen Häftlings aufschließen, um ihm sein Frühstück zu bringen, ist der Raum leer. Die Gitterstäbe am Fenster sind durchgesägt. Alarm wird ausgelöst, das Gefängnis nach dem entflohenen Schwerverbrecher durchkämmt. Die Polizei löst eine Großfahndung aus. Mit Straßensperren, Spürhunden und einem Hubschrauber wird nach dem Ausbrecher gesucht.

Die Ermittler gehen zunächst davon aus, dass der Mann über die sechs Meter hohe, mit Stacheldraht überzogene Gefängnismauer ins Freie getürmt sein muss. Auf den Fluren des NRW-Justizministeriums herrscht deswegen große Aufregung, eine Krisensitzung jagt dort die nächste. "Hier ist deswegen die Hölle los", so ein Sprecher gestern Vormittag. Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) nimmt sich persönlich der Sache an und schickt ein Expertenteam aus Sicherheitsbeauftragten in die JVA Bochum, um den Fall genau zu untersuchen. Sie werden am Nachmittag überrascht, genauso wie die anderen Beamten vor Ort: Denn es stellt sich Stunden nach der Flucht heraus, dass sich der Gesuchte die ganze Zeit auf einem Dachboden der JVA versteckt hielt — wenige Meter von seiner Zelle entfernt.

Es war der bereits dritte Ausbruchsversuch aus der JVA Bochum in den vergangenen zwölf Monaten. Deswegen wird der Fall morgen im Rechtsausschuss des Düsseldorfer Landtages thematisiert. "Es muss geklärt werden, wie so etwas schon wieder passieren konnte", sagt CDU-Rechtsexperte Peter Biesenbach. "Möglicherweise muss man dann das Sicherheitskonzept der Anstalt überprüfen." Der NRW-Landesvorsitzende der Strafvollzugsbediensteten, Peter Brock, ist der Meinung, dass die JVA nicht mehr die erforderlichen Sicherheitsstandards erfülle. "Das Gefängnis ist sehr alt. Im Gegensatz zu anderen Anstalten in NRW fehlt es zum Beispiel in manchen Bereichen an einer modernen Kameraüberwachung", sagt er und fordert: "Das Gefängnis muss dringend saniert werden."

Entsprechende Pläne lägen zwar dem Justizministerium seit längerem vor, sagt Brock. "Sie müssen nur endlich von der Landesregierung auch umgesetzt werden." Sonst seien auch in Zukunft weitere Ausbruchsversuche aus der JVA Bochum nicht auszuschließen. "Die Insassen sind nicht doof und kennen die Schwächen der Anstalt." Das Bochumer Gefängnis ist nach Köln und Werl die drittgrößte geschlossene Haftanstalt des Landes. Knapp 730 Straftäter, ein Großteil davon Schwerverbrecher, sitzen dort derzeit ein.

Der gefasste Flüchtling war in einem Haftraum in der obersten Etage eines mehrstöckigen Hauses der JVA untergebracht. Nach Polizeiangaben kletterte er durch das Fenster, hangelte sich zwölf Meter über dem Abgrund eine Regenrinne entlang auf ein Sattel- und Flachdach und versteckte sich dann auf einem Dachboden, weil er offenbar keine Möglichkeit sah, über die sechs Meter hohe Gefängnismauer zu entkommen.

Trotz des Fahndungserfolges konnte die Polizei gestern noch nicht erklären, wie der Häftling unbemerkt an den Aufsehern vorbei eine Säge in seine Zelle schmuggeln konnte, mit der er die Gitterstäbe durchtrennte. Auch woher die Säge stammt, ist noch nicht bekannt. "Jede Zelle wird pro Woche mindestens ein Mal gründlich untersucht", erklärt Brock. Jedoch nicht an Wochenenden wie in dem Bochumer Fall. "Dafür fehlt es einfach an Personal. Ein Bediensteter allein kann nicht 40 Zellen überprüfen."

Das nutzte vor fast genau einem Jahr bereits ein 25-jähriger Libanese aus, dem die Flucht aus dem Bochumer Gefängnis gelang. Mit zwei spektakulären Sprüngen war der Sträfling damals aus seinem Fenster über ein Vordach auf die Straße ins Freie gesprungen. Im Herbst vergangenen Jahres gelang einem türkischstämmigen Mann auf einem Freigang die Flucht, obwohl er von zwei Beamten bewacht gewesen sein soll. Von beiden Ausbrechern fehlt bis heute jede Spur.

Bei dem gestern eingefangenen Häftling handelt es sich um einen Schwerverbrecher, der wegen mehrfacher sexueller Nötigung und gemeinschaftlichen Raubes mit Todesfolge zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt worden ist. "Er ist ein brandgefährlicher Mann, von dem sehr hohes Gefahrenpotential ausgeht", sagt Peter Brock.

Die schweren Verbrechen hatte der 50-Jährige Anfang der 1980er Jahre im Raum Köln und Düsseldorf begangen. Er sitzt seit 1983 im Gefängnis, zunächst in der JVA Rheinland, dann in Bochum. "Wir sind froh, dass wir ihn so schnell wieder einfangen konnten", so ein Sprecher des Justizministeriums. "Wäre er tatsächlich über die Gefängnismauer geflohen, wären wir zudem in Erklärungsnot geraten, weil das nicht zu erklären gewesen wäre."

(RP/pst)
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