Dieter Degowski kommt frei Gladbecker Geiseldrama — 54 Stunden Grauen

Düsseldorf · Nach einem Banküberfall vor 29 Jahren in Gladbeck fuhren die Berufsverbrecher Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski mit ihren Geiseln 54 Stunden lang nahezu unbehelligt durch Deutschland und die Niederlande. Zwei Geiseln starben. Nun kommt einer der Entführer frei.

Die Geiselnahme von Gladbeck
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Das Geiseldrama von Gladbeck

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Der 15-jährige Emanuele de Giorgi und die 18-jährige Silke Bischoff überlebten die Geiselnahme nicht. Bis heute kämpft Ines Falk (damals Voitle) darum, ein normales Leben führen zu können. Sie saß damals gemeinsam mit Silke Bischoff 19 Stunden lang in einem Flucht-BMW mit den Geiselnehmern. "Ich werde immer die Geisel von Degowski und Rösner bleiben", hatte sie einmal in einer Talksendung gesagt. Einmal hat sie auch die Angst geäußert, dass sich die Geiselnehmer nach der Zeit im Gefängnis an ihr rächen könnten.

Für die Kriminal- und Mediengeschichte wurden die Ereignisse zu einem Lehrstück. Während des Dramas machten sich Journalisten auf der Jagd nach Bildern und Interviews teils zu Handlangern der Geiselnehmer.

 Während der Flucht gaben die Geiselnehmer Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner Journalisten Interview.

Während der Flucht gaben die Geiselnehmer Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner Journalisten Interview.

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Dienstag, 16. August 1988, kurz vor 8 Uhr Hans-Jürgen Rösner (31) und Dieter Degowski (32) betreten vermummt und mit Maschinenpistolen bewaffnet die Filiale der Deutschen Bank in Gladbeck-Rentford. Sie nehmen eine Kundenberaterin und einen Kassierer als Geiseln.

21.47 Uhr Die Täter verlassen mit den Geiseln und einer Beute von umgerechnet gut 200.000 Euro den Tatort in einem weißen Auto. Wenig später bringen sie an einer Tankstelle eine hellblaue Limousine in ihren Besitz. Der neue Fluchtwagen wurde ihnen allerdings von der Polizei untergeschoben - in ihm ist eine Abhöranlage installiert.

Mittwoch, kurz nach Mitternacht Nach einer Irrfahrt durchs Ruhrgebiet treffen die Täter wieder in Gladbeck ein, wo Rösner seine Freundin Marion Löblich (34) abholt. Weiter geht die Flucht durch Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, bis die Gangster und ihre Geiseln am Nachmittag Bremen erreichen.

19.07 Uhr Im Bremen-Huckelriede kapern die Geiselnehmer einen vollbesetzten Linienbus. Sie lassen Journalisten das Fahrzeug betreten - zum Ärger der Polizei, die wegen der zahlreichen Medienleute Geiselnehmer und Geiseln im Bus nicht mehr auseinanderhalten kann.

21.50 Uhr Die Geiselnehmer setzen ihre Flucht mit dem Linienbus fort, dem erneut zahlreiche Presseautos folgen. 45 Minuten später erreicht der Bus mit knapp 30 Geiseln die Raststätte Grundbergsee an der A1. Dort lassen die Täter die beiden Bankangestellten aus Gladbeck frei. Als Polizisten vorübergehend Marion Löblich festhalten, erschießt Degowski im Bus den 15-jährigen Italiener Emanuele de Giorgi.

Donnerstag, 2.28 Uhr Die Täter fahren mit dem Bus in die Niederlande. Sie steigen mit den Bremer Geiseln Ines Voitle und Silke Bischoff in eine von der Polizei bereit gestellte Limousine um, mit der sie über Gronau nach Deutschland zurückkehren. Die übrigen Geiseln aus dem Bus sind frei. Über Wuppertal fahren Rösner, Degowski und Löblich auf der A1 mit den beiden jungen Frauen nach Köln.

Die Reporter machen sich teilweise zu Handlangern der Geiselnehmer.

Die Reporter machen sich teilweise zu Handlangern der Geiselnehmer.

Foto: ddp

10.53 Uhr Der Fluchtwagen steht in der Kölner Fußgängerzone, umringt von einem Pulk Schaulustiger und Journalisten. Die Täter geben von laufenden Kameras Interviews - Köln wird zum Schauplatz der wohl berüchtigsten "Pressekonferenz" der deutschen Kriminalgeschichte. Der Express-Reporter Udo Röbel steigt später sogar in den Fluchtwagen, um den Geiselnehmern den Weg bis zur Autobahn zu zeigen. Als die Limousine sich um 12.31 Uhr wieder in Bewegung setzt, drängen Presseautos die Verfolgungsfahrzeuge der Polizei ab.

13.18 Uhr Die Gangster fahren auf die A3 Richtung Frankfurt, als sich die Einsatzleitung zum Eingreifen entscheidet: "Zugriff wenn möglich noch auf der BAB, bei nächster günstiger Gelegenheit, wenn möglich bei Halt. Täter dürfen nicht wieder in einen City-Bereich einfahren."

13.38 Uhr Das Fluchtauto steht auf dem Standstreifen nahe der Ausfahrt Bad Honnef. Sekunden später greift die Polizei zu: Einsatzwagen der Spezialkommandos blockieren das Auto, Polizei und Gangster liefern sich eine wilde Schießerei. Ines Voitle kann sich unverletzt retten; die 18-jährige Silke Bischoff wird von einer Kugel aus Rösners Pistole tödlich getroffen. Rösner, Degowski und Löblich werden festgenommen.

Am 22. März 1991 werden die Gladbecker Geiselnehmer vom Landgericht Essen verurteilt. Rösner und Degowski erhalten lebenslänglich, Löblich muss für neun Jahre hinter Gitter.

Im August 2008, 20 Jahre nach der Tat, bittet Degowski um Gnade, damit er aus dem Gefängnis entlassen werden kann. Der damalige NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers lehnt das ab.

März 2009 Rösner wird mit Heroin im Gefängnis erwischt und später zu einer Haftstrafe von einem halben Jahr verurteilt.

Im August 2013 entscheidet das Landgericht in Arnsberg, dass Degowski weiter in Haft bleiben muss. Der renommierte psychiatrische Gutachter Norbert Leygraf von der Universität Duisburg-Essen spricht sich damals gegen eine Freilassung aus. Degowski sei intellektuell nicht in der Lage, wesentliche Therapie-Erfolge zu erzielen. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion sei ebenso wenig ausgeprägt wie sein Mitgefühl für die Angehörigen der Getöteten. Doch die Kammer ordnet an, Degowski auf eine Freilassung vorzubereiten.

Im Februar 2017 wurde bekannt, dass Degowski mit einer Freilassung bis zum Ende des Jahres rechnen kann. Er soll unter einem neuen Namen ein neues Leben anfangen können.

(heif)
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