Anstalt häufig überbelegt Die JVA Aachen - ein Skandal-Gefängnis

Düsseldorf (RP). Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter musste am Freitag in Düsseldorf einräumen, dass Beamte des Vollzugsdienstes den beiden Ausbrechern aus dem Aachener Gefängnis geholfen haben.

2009: Großfahndung nach Ausbrechern
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Äußerlich wirkte NRW-Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter ruhig und gelassen. Nur eine leichte Rötung der Haut verrät gelegentlich, wie sehr die 59-jährige Westfälin unter Spannung steht, als sie im ersten Stock des Justizministeriums Düsseldorf erklären muss, wie es zu dem Ausbruch aus der im Jahre 1995 — und nicht, wie die Ministerin berichtet, "Ende der 80er Jahre" — in Betrieb genommenen Haftanstalt kommen konnte.

Besonders peinlich für die Ministerin: Sie muss während der Pressekonferenz einräumen, dass die Staatsanwaltschaft Aachen einen der Bediensteten unter dem Verdacht festgenommen hat, den Ausbrechern geholfen zu haben. Sie und die ebenfalls anwesende Leiterin der Aachener Justizvollzugsanstalt, Reina Blikslager, tragen die Personalverantwortung für die Zustände in der einstigen Vorzeigehaftanstalt.

Und um die war es bereits seit Jahren zunehmend schlechter gestellt. Das ist dem Abschlussbericht der so genannten Werthebach-Kommission zu entnehmen, die nach dem Foltermord an einem Siegburger Gefangenen vor zwei Jahren die Zustände in den NRW-Justizvollzugsanstalten untersucht hatte.

Dort heißt es wörtlich: "Trotz der modernen baulichen Konzeption herrscht in der Anstalt ein gespanntes Klima. Der in den vergangenen Jahren erfolgte und (. . . ) weiterhin zu erwartende drastische Personalabbau im AVD (allgemeinen Vollzugsdienst) hat nicht nur die Stimmungslage der Bediensteten negativ beeinflusst (siehe hohe Krankenziffer), sondern führt auch dazu, dass die Gefangenen nicht mehr in allen Hafthäusern der Strafanstalt in überschaubaren Wohneinheiten untergebracht sind. (. . . )

In der JVA Aachen werden wegen der hohen Außensicherheit der Anstalt überwiegend Strafgefangene mit langen Freiheitsstrafen (ab 5 Jahre Strafrest) und Sicherungsverwahrte untergebracht. Hinzu kommt, dass der Drogenhandel, Gruppenbildungen nach Ethnien und eine offenbar aktive "jugoslawische Mafia" ein besonderes Gewalt- und Gefahrenpotential darstellen."

Im Erhebungszeitraum 2007 betrug der Krankenstand in der Aachener Haftanstalt beim Personal 14,58 Prozent. Ende September 2009 — also noch vor dem großflächigen Ausbruch der Schweinegrippe — lag die Zahl bei 18 Prozent. Klaus Jäkel, Vorsitzender des Bundes der Justizvollzugsbediensteten, führt die hohe Zahl auf die ständige Überlastung der Gefängnismitarbeiter zurück. "Die einen flüchten sich in die Krankheit, die anderen müssen dann auch noch die Arbeit der Kranken machen", sagt er. Jeder der Bediensteten schiebe einen Berg von im Schnitt 178 Überstunden vor sich her. "

Aachen ist ein Pulverfass, und die Ministerin hat das gewusst", sagt er. Allerdings habe sie Berichten ihrer Verwaltung vertraut, die die Zustände in Aachen schöngeredet hätten. Tatsächlich sei Aachen gemeinsam mit Köln-Ossendorf die "kritischste Haftanstalt" unter allen NRW-Gefängnissen.

Jäkel hält den Ausbruch der beiden Schwerverbrecher für noch "brisanter" als den Foltermord von Siegburg: "Damals handelte es sich um einen internen Vorgang. Dieses Mal aber ist die Bevölkerung extrem gefährdet."

(RP)
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