Präses Schneider im Interview "Der Papst hat noch manches zu sagen"

Düsseldorf (RP). Der rheinische Präses und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, spricht im Interview mit unserer Redaktion über sein bevorstehendes Treffen mit Benedikt XVI. in Erfurt, über die Bedeutung des Reformators Martin Luther für die katholische Kirche, die Ökumene und über gemeinsame Herausforderungen.

Der Papst feiert in Madrid den Kreuzweg
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Präses Schneider, am Freitag treffen Sie in Erfurt mit Papst Benedikt XVI. zusammen. Fahren Sie als Optimist oder als Realist nach Thüringen?

Schneider Beides. Als Realist fahre ich, weil ich weiß: Nach dieser Begegnung ist in der Ökumene nicht alles neu. Als Optimist fahre ich, weil allen klar ist: Es geht auch nicht nach dem Motto "Schön, dass wir uns mal gesehen haben". Wir sollten schon Anstöße vermitteln und Perspektiven für die weitere Richtung der Ökumene eröffnen.

In welcher Beziehung könnte man denn konkret etwas von Ihrem Treffen mit dem Papst erwarten?

Schneider Dann müsste ich Ihnen ja jetzt erzählen, was ich exklusiv dem Papst sagen möchte.

Zum Beispiel etwas von den Nöten konfessionsverschiedener Ehepartner?

Schneider Deren Lage verlangt dringend nach Verbesserungen.

Glauben Sie eigentlich noch an eine Ökumene der Durchbrüche?

Schneider Derzeit ist es eine Ökumene der kleinen Schritte. Wir brauchen gegenwärtig aber auch theologische Klärungen und substanzielle Diskurse. Der große Erfolg der bisherigen Ökumene hat dazu geführt, dass wir jetzt an den grundsätzlichen Punkten angekommen sind. Hier sind wir froh, wenn wir nicht auf der Stelle bleiben.

Ihre Vorgängerin Margot Käßmann erregte Aufsehen, als sie sagte, sie erwarte ökumenisch nichts vom Papst.

Schneider Man kann nicht sagen, die Ökumene sei diesem Papst gleichgültig. Die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre zum Beispiel wäre ohne Joseph Ratzinger nicht zustande gekommen.

Das ist zwölf Jahre her.

Schneider Ich traue ihm zu, dass er seiner Kirche noch manches Wegweisende zu sagen hat.

Wie sprechen Sie ihn eigentlich an?

Schneider Sein offizieller Titel lautet "Eure Heiligkeit". Er ist aber auf jeden Fall ein "Bruder in Christus".

Auch im persönlichen Gespräch?

Schneider Ja. Meine Rede und das Gespräch sollen vom Geist der Bruderschaft bestimmt sein.

Sehen Sie die Gefahr, dass sich die Begegnung in persönlichen Sympathien erschöpft?

Schneider Es ist ja schon eine Menge wert, wenn wir sagen können: Wir sind Geschwister. Verständigung ist ein komplexes Geschehen, in dem der Kopf eine Rolle spielt, der Bauch und das Herz. Das allein kann es aber natürlich nicht sein.

Der Papst hat in einem Brief an Sie angekündigt, sich auf seinem Besuch mehr Zeit für die Ökumene zu nehmen als ursprünglich geplant. Gab es im Zuge der Vorbereitung des Besuchs weitere Signale von katholischer Seite?

Schneider In der Begegnung des Rats der EKD mit der Bischofskonferenz sind durchaus weitere Signale gesetzt worden — aber nicht, indem man gesagt hätte: "Das ist der Punkt, den du ansprechen musst, dann wird der Papst dieses und jenes sagen." Aber wir haben einige Felder identifiziert.

Die evangelische Kirche wird vom Vatikan nur als "kirchliche Gemeinschaft" bezeichnet. Gibt es Ihrerseits ein Gefühl der fehlenden Augenhöhe?

Schneider Es gibt solche Aussagen, aber ich habe kein Gefühl fehlender Augenhöhe.

Warum ist die neue Luther-Botschafterin Margot Käßmann nicht Teil der EKD-Delegation in Erfurt?

Schneider Die Luther-Botschafterin hat mir frühzeitig signalisiert, dass sie ihren Platz dort nicht sieht, denn sie tritt erst im April ihr Amt an.

Im Augustinerkloster, wo Sie den Papst treffen, war Martin Luther Mönch. Inwieweit beeinflusst der Ort ganz konkret die Gespräche?

Schneider Die Auswahl des Ortes ist ein starkes Zeichen. Manchmal hilft es, sich die gemeinsame Geschichte anzuschauen, damit man anders in die Zukunft geht.

In der Augustinerkirche las Luther seine erste Messe. Sie feiern dort einen Wortgottesdienst mit dem Papst. War das das Äußerste, was möglich war?

Schneider Aus evangelischer Sicht ist die Gegenwart Christi im Wort oder im Sakrament keine konkurrierende Alternative. Für uns ist es ein Wortgottesdienst ein vollgültiger Gottesdienst.

Gehört eine anerkennende Aussage über Luther in Erfurt auch zur diplomatischen Höflichkeit eines Gastes?

Schneider Es wird gar nicht anders gehen — natürlich wird der Papst etwas zu Luther sagen, und er wird sicher auch Perspektiven andeuten für 2017, wenn des 500. Jahrestags des Thesenanschlags an der Schlosskirche zu Wittenberg als Beginns der Reformation gedacht wird.

Glauben Sie, dass Sie die Katholiken noch überzeugen können, das Reformationsjubiläum mitzufeiern?

Schneider Sich mitzufreuen und mitzufeiern, ja. Wir suchen nach Formaten der Beteiligung — mit der Bischofskonferenz und dem Vatikan.

Wie viel ist übrig vom katholischen Bild des Kirchenspalters Luther?

Schneider Man darf nicht unterschätzen, was an festgeprägten Ideen noch in den Köpfen steckt. Das verbindet sich auch mit dem Namen Martin Luther. Emotional ist das immer noch stark ausgeprägt. Wir finden aber auch sehr wertschätzende Aussagen, wenn Luther zum Beispiel als Lehrer des Glaubens bezeichnet wird und wenn man anerkennt, dass er die katholische Kirche entscheidend verändert hat.

Welche Rolle spielt es, dass Ihre Begegnung mit Papst Benedikt im weitgehend entchristlichten Osten Deutschlands stattfindet?

Schneider Dass in Erfurt nur 20 plus x Prozent Christen leben, ist eine gemeinsame missionarische Herausforderung. Wir können nur gemeinsam für den Glauben werben.

Geht der römische Blick nicht vor allem in ganz andere Weltgegenden?

Schneider Wie es vor Ort den Gläubigen geht, kann auch in Rom nicht ohne Belang sein. Und was in Deutschland an Theologie getrieben wird, ist für Rom weiter von großer Bedeutung — vom materiellen Beitrag der deutschen Kirche ganz zu schweigen. Deutschland ist nur eine Provinz der römischen Kirche. Ohne diese Provinz ist die römisch-katholische Kirche aber auch geschwächt.

Immer wieder wird ein Ehrenprimat des Papstes für die ganze Christenheit, also eine Art Sprecherrolle, ins Gespräch gebracht, auch jüngst wieder von deutschen Protestanten. Was meinen Sie dazu?

Schneider Dazu muss zuerst klar gesagt werden, wie diese Stellung aussehen soll. Ich glaube nicht, dass jetzt die Zeit ist, das zu klären. Faktisch aber ist der Papst in bestimmten Fragen Sprecher für die Menschheit — in Sachen Gerechtigkeit, Umgang mit den Armen, Bewahrung der Schöpfung zum Beispiel.

Viele Bundestagsabgeordnete, auch evangelischer Konfession, sehen das anders. Sie wollen die Papstrede im Parlament boykottieren.

Schneider Ich empfinde das als merkwürdig, um nicht zu sagen befremdlich. Denn es ja nicht so, dass der Papst sich aufgedrängt hätte — alle Fraktionen des Bundestags haben ihn eingeladen. Dann ist es für mich eine Frage der Höflichkeit, auch zu erscheinen.

Kölns Kardinal Joachim Meisner hat den Boykott engstirnig und kleinkariert genannt.

Schneider Ich habe sehr viel Verständnis für diese Äußerung.

Die aktuelle Ausgabe des evangelischen Magazins "Chrismon", dessen Mitherausgeber Sie sind, macht mit der Geschichte eines Übertritts vom Katholizismus zum Protestantismus auf. Auch nicht sehr geschickt, oder?

Schneider Ich bedaure das sehr. Das hat Irritationen ausgelöst und Menschen verletzt. Die Veröffentlichung zum jetzigen Zeitpunkt war wenig hilfreich.

Was ist Ihr wichtigster Wunsch für diese Woche?

Schneider Dass ich einen Bruder in Christus erlebe.

(RP)
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