Einzigartiger Lebensweg Der katholische Eremit, der zuvor Punk, Model und Zen-Mönch war

Wolfach · Bruder Otto Stahl ist der kauzigste und herzigste Schwarzwäldler neben Christian Streich – und weiß aus eigenem Erleben viel über so ziemlich alle Lebenslagen. Ihn zu besuchen ist aber leider unmöglich.

Bruder Otto Stahl

Bruder Otto Stahl

Foto: Sonja Herpich

Seine Vita würde für zwei, drei oder vier Menschen reichen, und schon mit seinem Namen ist es etwas kompliziert: Bruder Otto Stahl heißt überhaupt nicht Otto, sondern Jürgen. Aber sein Opa, ein im Schwarzwald angesehener Wilderer, hieß Otto, und dem fühlte er sich so eng verbunden, dass er dessen Namen annahm. Der Enkel also, ein Schwarzwälder Landei Jahrgang 1959, lernt Buchdrucker und gerät in die Freiburger Hausbesetzer-Szene, trinkt und raucht zu oft zu viel, wird Punk, Gelegenheits-Brennholzdieb und Fotomodel und ist wiederholt völlig verloren, was einmal in einem Suizidversuch gipfelt. Von seinem gewundenen Lebensweg erzählt er kurzweilig in seinem Buch „Fern der Welt und doch mittendrin – Mein Leben als Eremit: Wegweisende Impulse für alle Lebenslagen“.

Als Endzwanziger trifft er auf einen japanischen Zen-Mönch mit dem Gefühl, an jenem Tag werde es etwas Großes geschehen – doch dann lädt dieser Mönch ihn bloß ein, gemeinsam zu sitzen. Wortlos. Verkatert und benebelt, wie er vom Vorabend noch ist. Zwanzig schier endlose Minuten lang. Doch er hält durch und findet Gefallen an jener strikten Variante des Zen-Buddhismus. Wenig später gibt er seine letzten paar Mark für einen Flug nach Japan aus, in der Tasche eine Empfehlungsschreiben für das Heimatkloster des japanischen Missionars in Kyoto, wo man ihn tatsächlich aufnimmt. Rund zweieinhalb Jahre später aber komplimentiert man ihn von einem auf den anderen Tag auch wieder hinaus; so will es das japanische Gesetz.

Er wird Franziskaner sowie Altenpfleger, Suchtberater und Sterbebegleiter. Eine spirituelle wie geografische Heimat findet er im Lazarus-Orden in Remscheid, der sich aber bald auflöst. Schließlich wird der Rastlose Eremit mit einer Klause in Wolfach, nur rund 40 Kilometer von seinem Geburtsort Vöhrenbach entfernt. Nicht einsam, sondern oft unter Menschen, die seinen Rat suchen und mit ihm Ukulele spielen.

Und dieser Mann, der nicht nur wegen seines weichen Dialekts an den herrlich eigenen Fußballtrainer Christian Streich erinnert, hat viel zu erzählen etwa über das Stellen der richtigen Fragen.

Man möchte ihn dort unten im Schwarzwald besuchen und ihm all die großen Fragen stellen, die einen selbst so umtreiben. Doch leider ist das nicht mehr möglich. Bruder Otto erlebte zwar die Fertigstellung seines Buchs, nicht aber dessen Erscheinen. Am 25. September 2022 starb er im Alter von 63 Jahren an Lungenkrebs, genau wie sein Opa vor ihm. Seine Internetseite www.bruder-otto.de ist bereits abgeschaltet, früher stand dort „Der etwas andere Eremit“, und: „Der Tod kommt plötzlich.“

Zum Glück bleibt uns dieses Buch, und Dokus wie der halbstündige SWR-Film „Bruder Otto - erst Punk, dann Einsiedler“ bei Youtube.

Bruder Otto Stahl mit Daniel Oliver Bachmann: Fern der Welt und doch mittendrin – Mein Leben als Eremit: Wegweisende Impulse für alle Lebenslagen. Integral Verlag, 208 Seiten, 20 Euro.

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