Studie zur Jugend im 21. Jahrhundert Das sind die Werte der "Generation Ego"

Düsseldorf · Junge Menschen leben heute nicht in einem Wertevakuum, wie ein unsinniges Lamento vieler Älterer lautet. Sie haben andere, neue Werte angenommen. Was immer zählt, ist der Wunsch nach familiärer Stabilität und Solidarität.

 Beruflicher Erfolg steht für viele ganz weit oben auf der Prioritätenliste.

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Foto: dpa, Tobias Kleinschmidt

Die Klage über den Werteverfall der Jugend ist so alt wie die Menschheit, jedenfalls schon aus antiken Schilderungen überliefert. Bei Licht betrachtet ist die Klage Unsinn, ein sich von Generation zu Generation schleppendes Lamento der Älteren über die Jüngeren.

Die Jugend- und Freizeitforscher Bernhard Heinzlmaier und Philipp Ikrath schreiben in ihrer Untersuchung "Generation Ego" über die Werte der Jugend im 21. Jahrhundert: "Die jungen Leute leben heute nicht, wie es so oft suggeriert wird, in einem Wertevakuum, sondern sie haben andere, neue Werte angenommen." Entscheidend ist also nicht Werteverlust, vielmehr Wertewandel. Triebe man die Diagnose auf die Spitze, ließe sich nicht vielleicht mephistophelisch mit Bezug auf Werte sagen: Denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht?

So radikal denkt die junge Generation nicht über Werte und deren Befristung. Aber sie macht und versteht notwendigerweise vieles anders als die Erwachsenen. Das wiederum kränkt die Älteren als Angehörige der abtretenden Generation. Sie, deren Herz an der alten Welt hängt, sehen mit Schaudern, wie diese von den Nachwachsenden umgekrempelt wird. Und es ist ja so: Das langsame Verschwinden der alten Welt geht dem eigenen existenziellen Verschwinden bloß ein kleines Stück voraus. Das deprimiert die Älteren verständlicherweise; manche reagieren darauf mit Anti-Jugend-Aggressionen.

Es gibt auch Ältere — sie bezeichnen sich stolz als Angehörige der 68er-Protest-Generation und sind heute oft Großeltern — , die nach einem bekannten Spott ihre eigene damalige Postpubertät für die bedeutendste Wende der Weltgeschichte halten; und die sich, ihre ergrauten Köpfe schüttelnd, fragen, wo denn das Aufbegehren der politisch braven Jugend von heute bleibe.

Jugend und Politik - eine verkorkste Affäre?

Wie steht es also um den Komplex "Jugend und Politik"? Handelt es sich dabei um eine verkorkste Affäre? Die Forschung belegt, dass politische Fragestellungen in jugendlichen Szenen kaum eine Rolle spielen. Mode, Musik, Sport, Medien zählen mehr.

Als große Vorbilder der Jugend gelten Spitzensportler, Pop-Musiker, Schauspieler, Models und — eher ausgeprägt bei bildungsfernen Schichten — die Stars und Sternchen von Castingshows. Aus mehreren Jugendstudien der vergangenen Jahre ist zudem belegt, dass Eltern und Großeltern unter den Jugendvorbildern nach wie vor stark vertreten sind, dass Familien-Zusammenhalt hoch im Kurs steht, Letzteres nicht zuletzt deshalb, weil heute immer mehr Jugendliche erleben, wie Ehen zerbrechen und Familienbande sich lockern, wenn nicht sogar auflösen.

Zurück zu "Jugend und Politik": Das politische Engagement der 68er, die heute im Wir-waren-Helden-Habitus als "Alt-68er" firmieren, macht auf deren pragmatisch-individualistisch veranlagte Kinder und Enkel geringen Eindruck. Zum politischen Betrieb, zu Gewerkschaften und Parteien beispielsweise, wahren junge Menschen kritisch Distanz, obwohl sie nicht völlig desinteressiert auf Politik reagieren. Aber auch das gehört laut Heinzlmaier/Ikrath zur Wahrheit: Selbst in den späten 60er-Jahren war eine große Mehrheit der Jugendlichen angepasst und unauffällig.

Und: Während sich die aufständischen studentischen Bildungseliten der 68er-Bewegung kaum Sorgen um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt machten (zu machen brauchten), steht im Pflichtenheft der heute Jungen beim Rennen um die Pole-Position am Arbeitsmarkt: lückenloser Lebenslauf, Fremdsprachenkenntnis, Zusatzqualifikation, das alles vor dem Hintergrund eines zunehmend verschulten Studiums mit mehr Anwesenheitspflichten und eng getakteten Ausbildungsplänen. Jugendforscher resümieren: Alles das erschwere gesellschaftspolitisches Engagement. Wenn überhaupt, dann sorgen sich heutige junge Protestler als enttäuschte Pragmatiker weniger um eine bessere Welt als vielmehr darum, dass man sie um ihre Zukunft betrügen könnte.

"Der Erwerbsarbeit haben sich alle Lebensbereiche unterzuordnen"

Auffallend ist die Diskrepanz zwischen dem Wunsch junger Menschen nach familiärer Stabilität und verlässlicher Freundschaft einerseits und der Lebenslage in einer weitgehend ökonomistischen und individualistischen Wirklichkeit andererseits. In "Generation Ego" heißt es: "Der Erwerbsarbeit haben sich alle Lebensbereiche unterzuordnen. Gemeinschafts- und Familienverpflichtungen dürfen das Arbeitsleben der Menschen nicht stören."

Um Störungen zu minimieren, werden ursprünglich private Tätigkeiten in kommerzielle Dienstleistungen verwandelt, die am Dienstleistungsmarkt erworben werden können. Das Ergebnis: Kinderkrippen, Ganztagsschulen, Lebensmittel-Lieferservice, Hunde- und Katzensitter, Altenpfleger. Die junge Generation läuft Gefahr, sich zu Einzelwesen zu entwickeln, beschäftigt mit Karriere, Konsum und der Arbeit am Ich.

Laut Institut für Jugendkulturforschung meinen fast 70 Prozent der unter 30-Jährigen, heute sei jeder so mit sich selbst beschäftigt, dass er nicht mehr an andere denke. Umso mehr setzen sie ihre Hoffnung in die eigene Familie, in der sie Verständnis, Solidarität und Aufgehobensein erfahren. Doch wehe, wenn die kleine heile Welt entzweigeht. Das Zerbrechen hat mehr noch als früher das Potenzial für emotionale Katastrophen. Paradox klingt die Konsequenz: dass heute mehr denn je persönliche Freundschaften an Kriterien wie Effizienz, Nützlichkeit, Verwertbarkeit ausgerichtet werden.

Verrücktes Ergebnis: Viele Jüngere fühlen sich allein, auch wenn sie mit Freunden oder jenen, die sie dafür halten, zusammen sind. "Generation Ego" präsentiert eine Befragung von 2013 unter jungen Deutschen und Österreichern nach dem Sinn ihres Lebens. Die typische Antwort könnte nüchterner kaum sein: "Mein Lebenssinn besteht darin, täglich weiterzuleben."

(RP)
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