Infektwelle überlastet Kliniken Bundesweit nur 83 Betten frei auf Kinderintensivstationen

Hamburg · Eine Umfrage unter Kinderkliniken in Deutschland zeigt ein erschreckendes Bild: Vielerorts müssen die jungen Patienten abgelehnt werden. Überall fehlt es an Personal. Die Hintergründe, Perspektive und Forderungen.

Eine Intensivpflegerin hält auf der Kinder-Intensivstation in einer Klinik den Fuß eines jungen Patienten, der beatmet wird.

Eine Intensivpflegerin hält auf der Kinder-Intensivstation in einer Klinik den Fuß eines jungen Patienten, der beatmet wird.

Foto: dpa/Marijan Murat

Die Lage auf den Kinderintensivstationen ist weiter dramatisch. Nach einer Umfrage der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) hatten von bundesweit 110 Kinderkliniken zuletzt 43 Einrichtungen kein einziges Bett mehr auf der Normalstation frei. Lediglich 83 freie Betten gibt es generell noch auf pädiatrischen Kinderintensivstationen in ganz Deutschland – das sind 0,75 freie Betten pro Klinik, also weniger als eines pro Standort.

„Das ist eine katastrophale Situation, anders ist es nicht zu bezeichnen“, sagte Divi-Generalsekretär und Kinder-Intensivmediziner Professor Florian Hoffmann am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Hamburg zur Lage der Kinder-Intensivmedizin. Er fordert die sofortige Optimierung von Arbeitsbedingungen in den Kinderkliniken, den Aufbau telemedizinischer Netzwerke zwischen den pädiatrischen Einrichtungen und den Aufbau von spezialisierten Kinderintensivtransport-Systemen. „Kinder brauchen eine kompetente und liebevolle Pflege“, sagte Hoffmann. „Sie müssen bei der medizinischen Betreuung an erster Stelle stehen.“

Die Divi-Zahlen belegen die alarmierende Situation der Kinderkliniken in Deutschland: Die 110 rückmeldenden Häuser weisen insgesamt 607 aufstellbare Betten aus, von denen aber lediglich 367 Betten betrieben werden können. Grund für die Sperrung von 39,5 Prozent der Intensivbetten für Kinder ist hauptsächlich der Personalmangel. An 79 Häusern, also 71,8 Prozent der Befragten, ist der Pflegepersonalmangel konkreter Grund für die Bettensperrungen.

47 Kliniken meldeten null verfügbare Betten, 44 Kliniken ein freies Bett. 51 Kliniken berichteten von abgelehnten Patientenanfragen. Heißt konkret: 46,4 Prozent der an der Umfrage teilnehmenden Kliniken berichteten von insgesamt 116 abgelehnten Patientinnen und Patienten – an nur einem Tag. Für diese Kinder musste also weiter nach einem adäquaten Behandlungsplatz gesucht werden.

Besonders oft aufgenommen wurden zuletzt Kinder, die sich mit dem respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) infiziert haben, 138 insgesamt. „Die RSV-Welle baut sich immer weiter auf und macht bei vielen Kindern die Behandlung mit Atemunterstützung notwendig. Wir können Stand heute davon ausgehen, dass es zu dieser Behandlung nicht genügend Kinder-Intensivbetten gibt“, sagte Professor Sebastian Brenner, Divi-Kongresspräsident und Bereichsleiter der interdisziplinären Pädiatrischen Intensivmedizin im Fachbereich Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin der Unikinderklinik Dresden.

Genauer angeschaut haben sich die Divi-Experten auch die größeren Kinderkliniken mit acht oder mehr Intensivbetten. Diese Stationen sind deshalb von großer Bedeutung, da sie in der Regel für viele Kinder die letzte Anlaufstelle sind, wenn kleinere Kinderkliniken eine weitere Behandlung nicht mehr gewährleisten können. Darunter fallen insgesamt 32 Häuser. Diese melden 363 aufstellbare Betten, von denen am Stichprobentag 221 betrieben werden konnten. Heißt: 39,1 Prozent der Kindern-Intensivbetten sind gesperrt – dies sind im Durchschnitt 4,4 Betten pro Intensivstation. 17 freie Betten bei diesen 32 Kliniken bedeuten im Durchschnitt nur noch 0,5 freie Betten pro Klinik.

„Gefragt nach den Intensivkapazitäten zeichnet sich ein Bild, dass deutschlandweit durchschnittlich 40 Prozent der Kinder-Intensivbetten wegen Personalmangel gesperrt sind. Bei rund 80 Prozent der Befragten fehlt Pflegepersonal, es fehlen teilweise aber auch Ärzte“, sagte Brenner.

Gefordert werden von den Medizinern bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen, vor allem durch eine bessere Bezahlung. Auch Fortbildungen während der Arbeitszeit müssten vergütet werden. Außerdem gelte es, die hochqualifizierten Pflegekräfte bei pflegefernen Aufgaben wie etwa dem Putzen von Patientenzimmern durch zusätzliches Personal zu entlasten, sagte Sasse, leitender Oberarzt Kinderintensivmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover.

Außerdem sei es notwendig, den Aufbau telemedizinischer Netzwerke für den Austausch der behandelnden Teams untereinander voranzutreiben, um allen Kindern die gleiche Versorgungsqualität zukommen lassen zu können. „Wenn sich der Beruf von Medizinern sowie Pflegenden mit der Familie vereinbaren lässt, und wenn die stetige Dauerbelastung in den Kliniken aufhört, dann schaffen wir es auch, uns wieder um alle schwer kranken Kinder mit der notwendigen höchsten Versorgungsqualität kümmern zu können“, sagte Hoffmann.

Eine kurzfristige Verbesserung der Situation halten die Mediziner aber für unwahrscheinlich. Sasse: „Wir müssen uns auf einige schwierige Jahre einstellen.“

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