Über die Liebe im Allgemeinen im Rheinland Blind ja, taub nein

Düsseldorf (RP). Aphorismen helfen nicht weiter. Goethe immerhin ein bisschen. Die Philosophie auch. Doch das Risiko bleibt. Das Rheinland ist die Welt, die Welt ist das Rheinland: Wer über Liebe redet, riskiert die maximale Entgrenzung.

"Liebe", notierte der Dichter Novalis, "ist das Amen des Universums". "Liebe", gab sein britischer Kollege George Bernhard Shaw zu Protokoll, "macht blind, aber nicht taub - daran ist schon manche Beziehung gescheitert." Womit in etwa der Horizont abgesteckt ist, vor dem über Liebe zu reden ist: Er beginnt bei Hempels unterm Sofa und reicht bis ins All.

Das zwingt zu methodischer Disziplin: Vor Aphorismen sei gewarnt. Man kann sich daran besaufen, man kann darin ertrinken - nur erhellend sind sie kaum, denn es ist, als ob jemand im Dunkeln mit einer Taschenlampe herumfuchtelt. Hilfreich ist nur Weniges: "Liebe ist auch so ein Problem, das Marx nicht gelöst hat", spottete der Dramatiker Jean Anouilh - und gab den Fingerzeig, dass in Sachen Theorie der Liebe die Gesamtausgabe von Karl Marx im Regal bleiben kann.

Kurz: Der erkenntnistheoretische Notfall tritt ein. Hilfreich in solchen Fällen ist immer der Griff zum Lexikon - und siehe: Das "Historische Wörterbuch der Philosophie" wartet mit 40 Spalten auf, vor allem aber mit einer Definition am Beginn: "Liebe meint die einheitsstiftenden Beziehungen zwischen beseelten oder als beseelt gedachten Wesen." Ein schönes Wort: "als beseelt gedachte Wesen" - die US-Schauspielerin Farah Fawcett muss in etwa dies im Sinn gehabt haben, als sie sagte: "Frauen lieben die einfachen Dinge des Lebens. Also Männer."

Spaß beiseite. Liebe ist eine seltsame Sache. Eine Mischung aus Ergriffenheit und Ergreifen, aus Selbstaufgabe und Selbstfindung - eine Grenzüberschreitung, die nur in der Begrenzung glückt: Politisch artete es stets in Diktatur aus, wenn jemand vorgab, die ganze Menschheit zu lieben. Meist gingen Diktatoren dann - ein Lied von der Liebe auf den Lippen - über Leichen.

Liebe, die diesen Namen verdient, entzündet sich immer an einzelnen Menschen, Orten und Dingen. So dauert ein Kuss vielleicht eine gefühlte Ewigkeit. Jemand zum Küssen und zehn Minuten Ruhe braucht man aber schon.

Die Philosophie kreiste stets um die Paradoxien des Begriffs. Liebe sucht Teilhabe - aber es ist eine zarte, eine respektvolle, eine von sich absehende, eine das Andere feiernde Teilhabe. Man könnte sich eine Welt ohne Liebe vorstellen. Ehen könnte man kalten Herzens schmieden. Fortpflanzung ließe sich wissenschaftlich steuern. Sex wäre psycho-sozial so zu optimieren, dass jeder nach Maßgabe seiner Bedürfnisse zu Potte kommt. Kunst ließe sich leidenschaftslos sammeln, gutes Essen geschmackssicher anrichten. Nur: Wer will in solch einer Welt leben, wenn man einmal vom Becher der Liebe gekostet hat?

Teilhabe am Universum

Liebe ist eben Teilhabe am Universum plus das beglückende Gefühl für die Fülle des Seins. In der Antike wurde die Grenze zwischen Gier und Liebe (auch der Gierige will nichts als Teilhabe) mit Begriffen der Ästhetik gezogen: Wer liebt, sieht das Schöne und Gute am Geliebten. Sammler etwa: wollen Dinge haben, ohne sie anzutasten (darum wurden Vitrinen erfunden). Auf Menschen übertragen: Liebe will besitzen, ohne die Freiheit des Geliebten anzutasten. Ein schwieriges Unterfangen, vor allem wenn man die Verhältnisse bei Hempels unterm Sofa kennt.

Freiheit - ein gutes Stichwort. So sehr sich Philosophen und Theologen um den Begriff der Liebe gemüht haben, so sehr steckte die Liebe lange Zeit in einem Panzer aus politischen, sozialen und religiösen Regeln. Dass Liebe eine Ehe stiften kann, ist eine vergleichsweise junge Entdeckung. Immanuel Kant hat die Ehe noch als "Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften" definiert. Man muss schon die Romane Fontanes lesen, um zu hören, was im Hause dieser kühlen Aufklärersprache alles nicht über Zwänge und Nöte im preußischen Eheleben des 19. Jahrhunderts gesagt wird.

Apropos Zwang: Liebe als mächtiges Gefühl hat stets die Kreise der Herrschenden gestört. Geschichtsmächtig wurde diese Störung spätestens seit der Aufklärung. Kants Ruf nach dem Ausgang des Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit sprach auch die Liebe frei.

Nie so frei wie heute

Und nie war sie so frei wie heute - mit allen guten wie bedenklichen Folgen. Die Liebe ist - wohl noch vor Macht und Reichtum - ein einsamer Maßstab für gelingendes Leben geworden: also schwer befrachtet mit so viel Hoffnung und Sehnsucht, dass ein einzelner Geliebter all das immer schwerer erfüllen kann. Die Folge: hektischer Wechsel. Oder hektisches Justieren an den Stellschrauben des Beziehungsgetriebes. Darin ist die TV-Serie "Sex and the City" überaus aufschlussreich: Auf jeden Tropfen Liebe kommen 100 Eimer Therapie und Analyse. Wir Beziehungskundigen sind manchmal drauf und dran, die Liebe zu Tode zu verstehen.

Paradoxer Befund: Die Freiheit macht die Liebe nicht einfacher. Ehen und Beziehungen scheitern zuhauf - manche müssten wohl mit etwas mehr Geduld nicht scheitern. "Liebe ist langmütig", schrieb Paulus in seinem Hohelied der Liebe (sensationell: 1.Korintherbrief, Kapitel 13). Es ist wohl schwierig für uns Menschenkinder, frei und zugleich langmütig zu lieben. Selbst Kinder leiden zunehmend unter unserer ungeduldigen Welt: Die Kleinen haben immer weniger Ruhe, immer weniger Zeit; und eigentlich müssten Kinder rascher erwachsen werden, um die Sehnsuchts-Wendungen bei Erwachsenen zu verkraften. Geht aber nicht: Kinder brauchen Langmut. Oder sie leiden.

Dennoch: Nie ist die Bürde der Freiheit größer als ihr Glück und ihre Chancen. "Heut ist mir alles herrlich, wenn's nur bliebe!/ Ich sehe heut durch's Augenglas der Liebe", jubilierte Goethe, und von diesem Jubelruf ist kein Jota zurückzunehmen. Wohlan: Ihr dürft lieben. Also tut es.

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