BKA-Lagebericht „Die organisierte Kriminalität kommt an der Haustür an“

Wiesbaden · Das Bundeskriminalamt gibt einen Überblick über die organisierte Kriminalität in Deutschland. Behördenleiter Münch warnt davor, die Bedrohung zu unterschätzen - und berichtet von einem ungewöhnlichen Fund.

 Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes.

Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes.

Foto: dpa/Boris Roessler

Wie groß war der Schaden durch die Organisierte Kriminalität? Deutlich geringer als in den Vorjahren. Der polizeilich erfasste Schaden lag 2017 bei rund 210 Millionen Euro, wie aus dem Bericht über die organisierte Kriminalität hervorgeht, den das Bundeskriminalamt (BKA) am Mittwoch in vorstellte. 2016 hatte die gesamte Schadenssumme noch rund eine Milliarde Euro betragen. Ursache waren einige wenige Fälle der Wirtschaftskriminalität mit dreistelligem Millionenschaden. Solche Ausreißer gab es 2017 nicht. BKA-Präsident Holger Münch warnte dennoch, dass das Bedrohungs- und Schadenspotenzial durch die organisierte Kriminalität unverändert hoch bleibe.

Worauf konzentrieren sich die Banden? Die Ermittler hatten im vergangenen Jahr 572 Fälle auf den Schreibtischen, neun mehr als 2016. Die Zahl lag damit im Schnitt der vergangenen zehn Jahre.

  • Wichtigstes Feld für organisierte Banden bleibt das Drogengeschäft, das rund ein Drittel aller Fälle ausmacht. Wichtigstes Herkunftsland sind dabei die Niederlande.
  • An zweiter Stelle folgt die Eigentumskriminalität. Schwerpunkt sind hier Autodiebstähle, die vorwiegend von osteuropäischen Banden begangen werden. Als Erfolg wertet das BKA den Rückgang bei Wohnungseinbrüchen, der sich auch in der allgemeinen Kriminalitätsstatistik widerspiegelt. Allerdings würden auch Kriminelle, die sich auf Wohnungseinbrüche spezialisiert haben, stärker in Netzwerken agieren. „Da kommt die organisierte Kriminalität an der Haustür an.“
  • Verfahren gegen Schleuserbanden nahmen deutlich zu - von 38 auf 51. Die meisten Tatverdächtigen kommen dabei aus Deutschland, Syrien und Nigeria. Die meisten geschleusten Personen kamen aus den Krisenregionen Afghanistan, Irak, Iran und Syrien.

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Wer dominiert den deutschen Rauschgiftmarkt? Der Drogenhandel ist zu einem Drittel in deutscher Hand, weit abgeschlagen folgen türkische und albanische Banden. Geschmuggelt und verkauft werden hauptsächlich Kokain und Cannabis - wobei das Kokain auf teils abenteuerlichen Wegen nach Deutschland gelangt. Überwiegend in Kolumbien angebaut wird die Droge oft auf dem Seeweg nach Europa geschmuggelt. Dazu wird das Kokain teils in wasserdichten Behältern von den großen Schiffen aus vor den Häfen ins Meer geworfen und dann von kleinen Schnellbooten eingesammelt, wie Ermittler berichten. An Land erfolgt der Transport mit Autos - manchmal in perfiden Verstecken, die sich nur mit Hilfe mehrere Magnete öffnen lassen. Deutschen Drogenfahndern gelangten 2017 zwei Großfunde von Kokain: 4,7 Tonnen in Hamburg und 1,5 Tonnen in Bremerhaven.

Was wurde noch so alles in Autos versteckt? Einen ganz besonderen Fund machten Fahnder im Motor eines Geländewagens. Hier entdeckten sie 2017 - neben mehreren Kilos Rauschgift - drei Maschinenpistolen „VZ61 Skorpion“, sechs Pistolen „Tokarev TT-33“, sieben Pistolen „Baikal 442“ und jede Menge Patronen. Das Verfahren gegen die Tatverdächtigen läuft derzeit in Großbritannien. „Die Skorpion ist deshalb so gefährlich, weil sie vollautomatisch schießen kann“, sagt BKA-Waffenexperte Christoph Becker. Es sei eine typische Waffe der organisierten Kriminalität. Um den Rückstoß abzumildern, habe die Skorpion einen speziellen Schulterbügel.

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Was gibt es Neues aus der Rockerszene? In Deutschland zählt das BKA rund 700 Ortsvereine (Chapter) mit ungefähr 10.000 Rockern. Etwa 20 der Verfahren gegen die Organisierte Kriminalität im Jahr 2017 richteten sich gegen diese Gruppen. Erst vor kurzem verhängte die Bundesregierung ein deutschlandweites Verbot gegen die rockerähnlichen „Osmanen Germania“. Hilft so ein Verbot den Ermittlern? „Es ist ein Baustein von vielen Maßnahmen. Aber es ist ein wichtiges Mittel“, sagt der Leiter für die Analyse schwerer OK, Michael Nagel. Denn die Menschen gebe es natürlich weiter, auch nach dem Verbot ihrer Organisation. Allerdings sei es sehr wirksam, dass die Behörden das Vermögen der Gruppen einziehen dürften - dazu zählten Immobilien, Waffen, Geld oder auch Motorräder. Auch das Kutten-Verbot sei sehr effektiv, da es Rockern sehr wichtig sei, sich nach außen zu präsentieren.

Welche Rolle spielen Smartphone und Computer bei der organisierten Kriminalität? Eine riesige, nicht nur bei der Cyberkriminalität. Die organisierte Kriminalität sei insgesamt immer stärker von der Digitalisierung geprägt, sagt BKA-Chef Münch. Straftäter kommunizierten mehr und mehr verschlüsselt, etwa über Messenger-Dienste auf dem Smartphone. „Auch die Datenmengen werden immer größer.“ Das bedeutet auch eine Herausforderung für die Kriminaltechnik. Der Computer-Forensiker Janusch Rolnik ist beim BKA für die Rekonstruktion von Handydaten zuständig, wenn das Gerät beispielsweise bewusst zerstört wurde. Rolnik sagt, mit bestimmten Methoden „bekomme ich alle Daten zurück“.

Welche Herausforderung sieht das BKA? Münch befürchtet die Bildung neuer krimineller Clans. Als einen Grund nannte der BKA-Chef, dass sich Zuwanderer ohne Bleibeperspektive an bestimmten Orten ansiedelten, dort abgeschottet lebten und ohne hinreichende Konsequenzen vielfach kriminell wurden. Der BKA-Chef plädierte deshalb für gute Integrationsangebote - und konsequente Ermittlungen gegen Mehrfach- und Intensivtäter, die ihr Aufenthaltsrecht auch verlieren müssten. In Berlin wird aktuell gegen 16 Beschuldigte einer arabischstämmigen Großfamilie sowie deren Umfeld ermittelt. Der Vorwurf: Geldwäsche. Die Polizei beschlagnahmte vorläufig 77 Immobilien im Wert mehr als neun Millionen Euro. Das sei natürlich ein „Schlag ins Kontor“ gewesen, sagte Münch. „Wir sind da sehr wachsam.“

(wer/dpa/AFP)
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