Bilanz zum 1. Mai in Berlin Die „Revolution“ verletzt 39 Polizisten

Berlin · Die Polizei befürchtete neue Mai-Krawalle nach dem Umzug der Revolutionären Antifa-Maidemonstration von Kreuzberg nach Friedrichshain. Tausende von Polizisten behielten das Geschehen im Griff. Allerdings wurden 39 Beamte verletzt.

 Polizisten und Teilnehmer der „Revolutionären 1. Mai-Demonstration“ stehen sich gegenüber.

Polizisten und Teilnehmer der „Revolutionären 1. Mai-Demonstration“ stehen sich gegenüber.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Es fliegen Flaschen und Steine, Greiftrupps der Polizei dringen in die Menge ein und fischen sich einzelne auf Krawall gebürstete Personen heraus. Es kommt zum Gerangel. Über mehr als eine Stunde droht die Stimmung am Ende der „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ an der Warschauer Straße immer wieder zu eskalieren. Aber die befürchteten schweren Auseinandersetzungen, wie sie früher in Kreuzberg üblich waren, sind in Berlin dieses Mal ausgeblieben. Allerdings zieht die Polizei am nächsten Tag nur eine „überwiegend“ positive Bilanz. Sei verweist auf 92 überprüfte Tatverdächtige, 39 Festnahmen, 85 Strafverfahren und vor allem auf 39 verletzte Beamte, vier davon schwer. Aus diesem Grund, stellt CDU-Oppositionsführer Burkhard Dregger fest, „können wir nicht von einem friedlichen 1. Mai reden“.

Zumindest lässt sich sagen, dass die früher in Kreuzberg zu bürgerkriegsähnlichen Szenen ausartenden Aufmärsche mit einer dreistelligen Zahl von Verletzten und Festnahmen erneut ausgeblieben sind. Die Bürger haben sich dort mit ihrem „Myfest“ ihre Straßen von den Krawalltouristen und Antifa-Abfacklern zurückerobert. Daraus hatten die Organisatoren dieses Mal zwei Konsequenzen gezogen: Sie versammelten sich im Nachbarstadtteil Friedrichshain, um dort durch „ihre“ Straßen zu ziehen, wo die linksextremistische Szene mit besetzten Häusern die Kämpfe der 80er Jahre weiterführt. Und sie meldeten erst gar keine Demo an, sagten nur im Internet, durch welche Straßen sie ziehen wollten.

Und sie verkündeten einen Plan „B“, wenn die Polizei sie nicht ihren Weg machen lassen würde: Treffpunkt am Hassobjekt Nummer 1 in der Rigaer Straße, jener Baustelle, wo gerade 133 Luxus-Appartements gebaut werden. Angesichts der lebhaften Enteignungsdebatte, die bis hinein in den Berliner Senat geführt wird, setzten die „Revolutionäre“ auf größeren Rückhalt als in den Vorjahren – und hatten damit Erfolg.

18 Uhr, Wismarplatz. Er füllt sich immer mehr. Der schwarze Block mit vermummten Aktivisten hat bereits Aufstellung genommen. Bald soll es losgehen. Es laufen ein paar Aufrufe, aber die Lautsprecher sind so leise, dass sie kaum einer mitbekommt. Polizisten versuchen Kontakt zu Veranstaltern zu bekommen, verkünden über deutlich vernehmlichere Lautsprecher, gesprächsbereit zu sein. Insgesamt 5500 Beamte sind aus Berlin, mehreren Bundesländern und von der Bundespolizei zusammen gezogen worden. Aber sie folgen der in Jahren erprobten Berliner Linie: Alle gewähren lassen, so lange es friedlich bleibt, massiv zuschlagen, wo es gewalttätig wird.

Um 19.10 Uhr kracht es über einem Haus am Platz. Grünes und rotes Feuerwerk wirbelt durch die Luft. Das Zeichen für den Start. Vorneweg Vermummte mit einem Transparent: „Gegen die Stadt der Reichen“. Die „Revolutionäre“ wollen zeigen, wie man „Enteignen richtig“ macht. Gut 1500 Menschen setzen sich in Bewegung. Es sind viele der typischen Bestandteile der linken und linksextremistischen Szene. Sie ist international. Auch eine verbotene Fahne mit PKK-Führer Öcalan wird geschwenkt. Syrien ist ein Anliegen aus unterschiedlichen Perspektiven. „Nieder mit Assad“ und „Hände von Syrien“. Antimilitaristen rufen dazu auf, „Rheinmetall zu Altmetall“ zu machen. Gesänge und Schlachtrufe preisen immer wieder den Antifaschismus und den Antikapitalismus. Und wiederholt: „Leute lasst das Glotzen sein, reiht Euch in die Demo ein.“

Das machen immer mehr. Und so gibt es Eltern mit Kindern, Mütter mit Kinderwagen, die an dem Transparent vorbeigehen „Es gibt keine Alternative außer die Revolution.“ Immer wieder sind viele hundert Meter Protestmarsch lang keine Polizisten zu sehen. Dann wieder stehen sie massiv mit Helm und heruntergeklapptem Visier und versperren Straßen, die die Demo nach der Polizeitaktik nicht passieren soll. Weil alles überwiegend friedlich bleibt, gibt die Polizei auch einen Teil der Rigaer Straße frei. Die umstrittene Baustelle lässt der Protestzug links liegen. Zahlreiche Polizisten mit Scheinwerfern signalisieren, dass sie an dieser Stelle kein Pardon kennen. Ein paar Böller explodieren. Und dann feiert die Szene sich selbst, als sie an den besetzten Häusern vorbeischlendert. Vermummte winken von den Balkonen herunter, schwenken Fahnen auf den Dächern, zünden Bengalos und fackeln Feuerwerk ab.

Zwei Polizeihubschrauber kreisen jederzeit über der Szene. Einer relativ tief für die Nahbeobachtung, einer in größerer Höhe für den Überblick. Die Rigaer Straße ist lang, aber außer an der Baustelle ist kein einziger Polizist zu sehen. „Viva, viva Palästina“ ruft ein Sprechchor. Am Eingang eines Hauses steht ein älterer Mensch, Typ Altrevoluzzer, und murmelt: „Ihr seid arg viele, Leute ich bin verdammt stolz auf Euch.“ Tatsächlich hat sich die Zahl inzwischen mindestens vervierfacht: Gut 6000 Menschen schwenken nun nach und nach Richtung Frankfurter Tor. Vorbei an aufgesprühten Parolen. „Fight Gentrification“, also Kampf der Verdrängung der weniger durch mehr verdienende Mieter. Daneben die Übersetzung: „Reiche entern.“

Es ist nun 20.08 Uhr. Die Spitze des Zuges ist längst an der Warschauer Straße angekommen und drängt Richtung Kreuzberg. Das verhindern massive Polizeikräfte. Ein Teilnehmer raunt einem anderen zu: „Noch eine Stunde.“ Es wird dunkel. Er zieht den Kapuzenpulli hoch und die Sonnenbrille an. Die Parole: „Ganz! Berlin! Hasst die Polizei!“ Doch nach einer Reihe von Festnahmen zerstreuen sich immer mehr Demonstrationsteilnehmer, streben in die Spätis und die Kneipen. Aber ein harter Kern von einigen Hundert, offenbar gewaltbereiten Aktivisten will nicht hinnehmen, dass die Polizei die Brücke Richtung Kreuzberg nicht frei macht. Über mehr als eine Stunde fliegen Steine, Flaschen, holen sich Polizisten „erkannte Straftäter“ aus der Menge.

In der Rigaer Straße werden Müllcontainer angezündet. Als Polizisten die Flammen löschen wollen, werden sie von Balkonen mit Steinen beworfen. Doch für sie ist im großen und ganzen das Konzept aufgegangen, die „Revolution“ selbst zu lenken und den Weg vorzugeben, um schwere Ausschreitungen zu verhindern.

(may-)
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