Im Zweifel für den Angeklagten Anwalt von erfundenem NSU-Opfer freigesprochen

Aachen · Ein Anwalt hat ein Opfer des NSU vertreten, das es gar nicht gab. Das Landgericht Aachen hat ihn jetzt vom Betrugsvorwurf freigesprochen – es konnte keinen Vorsatz feststellen.

 Der  Anwalt hat im NSU-Prozess eine Nebenklägerin vertreten, die es in Wahrheit gar nicht gab.

Der Anwalt hat im NSU-Prozess eine Nebenklägerin vertreten, die es in Wahrheit gar nicht gab.

Foto: dpa/Henning Kaiser

Das Landgericht Aachen hat den Anwalt eines erfundenen NSU-Opfers vom Vorwurf des Betrugs freigesprochen. Die Kammer habe keinen vorsätzlichen Betrug feststellen können, sagte die Vorsitzende Richterin der neunten großen Strafkammer am Montag. Der Anwalt habe „so ziemlich gegen alle anwaltlichen Sorgfaltspflichten verstoßen“ - es gelte aber der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“.

Der Anwalt aus Eschweiler bei Aachen war im Münchner NSU-Prozess im Namen eines Opfers des Nagelbombenanschlags der Rechtsterroristen in der Kölner Keupstraße aufgetreten - das vermeintliche Opfer gab es jedoch gar nicht. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung, die Verteidigung Freispruch gefordert.

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Das Gericht befand, entscheidend sei der Informationsstand des Angeklagten, als er 2013 Nebenklagevertreter in dem Münchner Prozess wurde. Damals wurde ihm das Mandat von einem anderen Anwalt angetragen. Ein Nebenkläger in dem Prozess hatte das angebliche Opfer mit Namen Meral Keskin vermittelt und dafür eine Provision verlangt.

Dieser inzwischen gestorbene Anwalt habe sich das Opfer ausgedacht und „alle Schilderungen selbst gelogen“, erklärte das Gericht am Montag nach knapp vier Monaten Prozessdauer. Die nicht existierende Meral Keskin war auch zu einem Treffen bei Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeladen worden und hatte eine Entschädigung vom Bundesamt für Justiz über 5000 Euro erhalten. Diesen Betrag leitete ihr Anwalt an den Mann weiter, der das Opfer laut Gericht erfunden hatte. Diesem Mann habe er zu sehr vertraut, hatte der Angeklagte eingeräumt.

Als die Phantom-Nebenklägerin nicht auftauchte und Post nicht zugestellt werden konnte, kamen Zweifel auf. Der angeklagte Anwalt sei wohl bis zuletzt gutgläubig gewesen, stellte das Gericht fest. Er habe Nachlässigkeiten begangen, doch führe das nicht dazu, dass man strafrechtlich belangt werde. Kritik übte das Gericht nicht nur an seiner Arbeitsweise, sondern auch an anderen Institutionen. Denn in den Prozessakten tauchte der Name des angeblichen Opfers nicht auf. Auch anderen Widersprüchen sei nicht nachgegangen worden.

Für die Nebenklagevertretung in dem Münchner Prozess hat der heute 53-Jährige mehr als 200 000 Euro aus der Staatskasse erhalten. Den Betrag stottert er in monatlichen Raten von 1500 Euro ab. Ihm drohen auch berufsrechtliche Konsequenzen vor einem Anwaltsgericht.

Über fünf Jahre waren am Oberlandesgericht München die rassistischen Morde des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) sowie der Mord an einer Polizistin verhandelt worden. 2018 wurde Beate Zschäpe wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

(sed/dpa)
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