Gerhart-Hauptmann-Schule 40 Menschen harren in besetzter Schule aus

Berlin · Auch rund 24 Stunden nach Beginn eines massiven Polizeieinsatzes rund um eine besetzte Schule in Berlin-Kreuzberg ist es den Behörden bis zum Mittwochmorgen nicht gelungen, das Gebäude vollständig zu räumen.

Gerhart-Hauptmann-Schule: Räumung mit Hindernissen
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Foto: dpa, fs soe

Über Nacht harrten rund 40 Menschen, darunter viele Flüchtlinge, in dem Haus aus. Hingegen sind 190 Flüchtlinge und rund 40 Roma-Familien schon freiwillig in andere Unterkünfte umgezogen, wie Baustadtrat Hans Pandorf (Grüne) am Mittwoch im rbb-Inforadio sagte. Die verbliebenen Besetzer wollen mit Innensenator Frank Henkel (CDU) direkt über ein Bleiberecht verhandeln. Der Bezirk will keine gewaltsame Räumung, sondern eine einvernehmliche Lösung.

Im November 2012 hatten afrikanische Flüchtlinge das leerstehende Schulgebäude besetzt. Sie kamen zum Teil aus Süddeutschland nach Berlin und protestierten gegen die europäische Flüchtlingspolitik. "Bleiberecht für alle", lautete ein Slogan. Zudem protestierten sie gegen die sogenannte Residenzpflicht und das Arbeitsverbot für Asylbewerber. Alles Forderungen, die das Bundesland Berlin nicht erfüllen konnte.

Manche Flüchtlinge wohnten in Zelten auf dem nahen Kreuzberger Oranienplatz. Andere zogen in die Schule. Nach und nach kamen andere Bewohner hinzu, darunter Obdachlose und Roma-Familien.

Bald kursierten erste Berichte über unwürdige Zustände in den früheren Klassenzimmern. Fenster fehlten, im Winter war es eiskalt. Es gab viel zu wenig Duschen und Toiletten. Auch deswegen eskalierten Streitereien unter den rund 200 Bewohnern, von denen viele in ihren Heimatländeren oder auf der Flucht traumatisiert wurden. Mehrmals gab es Messerstechereien und Verletzte. Auch afrikanische Drogenverkäufer aus dem benachbarten Görlitzer Park nutzten die Schule als Unterkunft und rekrutierten Nachwuchs unter den Flüchtlingen.

In der Politik fühlte sich zunächst niemand richtig zuständig. Die Bezirksbürgermeisterin, die Grünen-Politikerin Monika Herrmann, beteuerte immer wieder, eine gewaltsame Räumung sei nicht vorgesehen. Appelle der im Bezirk politisch dominierenden Grünen an die Bewohner, die Schule zu verlassen, wirkten hilflos und verhallten ungehört. Ein Grund dürfte auch gewesen sein, dass viele Bewohner keinen gesicherten Aufenthaltsstatus und keine alternative Bleibe hatten.
Trotzdem einfach die Polizei mit der Räumung zu beauftragen, kam für die meisten Kreuzberger Politiker zunächst nicht in Betracht - auch mit Rücksicht auf ihre Wähler.

Ein Bewohner sagte vor Monaten, er würde gern ausziehen. Aber nicht in irgendein Heim am Stadtrand, sondern nur, wenn er auch in der Innenstadt bleiben könne. In Kreuzberg und den umliegenden Stadtteilen finden sich Restaurants und Imbisse, wo Flüchtlinge illegal arbeiten können. Außerdem Parks und wilde Strandbars als Treffpunkte. Wohnheime in den Außenbezirken wirken dagegen wenig attraktiv.

Erst im April kam es bei den Grünen in Kreuzberg unter dem Druck der Ereignisse zu einem Kursschwenk. Erst bewog die SPD-Integrationssenatorin Dilek Kolak die Flüchtlinge auf dem Oranienplatz zum Abbau ihrer Zelte. Dann starb am 25. April in der Schule ein 29-jähriger marokkanischer Flüchtling nach einem Streit durch die Messerstiche eines anderen Bewohners.

Bezirk und Senat setzten nun alles in Bewegung, freie Heimplätze für die Menschen in dem Schulgebäude zu finden. Noch bis zuletzt wurde aber eine bevorstehende Räumung bestritten.

Doch am Dienstagvormittag fahren dann die Mannschaftswagen der Polizei vor. Während sich Unterstützer und Demonstranten auf der Straße Scharmützel mit der Polizei liefern, verhandeln auf dem Schulhof Kreuzberger Stadträte mit Flüchtlingen über einen freiwilligen Umzug nach Charlottenburg und Spandau - weit weg von der Innenstadt.

Es gibt genug Zeit für jeden, seine Sachen zu packen. Aber klar ist:
In der Schule soll niemand bleiben. Die Stimmung ist aufgeheizt. Auf dem Schuldach skandieren Protestierende: "We will fight!" Trotzdem steigen als erstes Roma-Familien in Busse Richtung neuer Unterkunft. Am Nachmittag sagt ein Sprecher: "Das wird noch ein langer Tag."

Auch wenn der Oranienplatz und die Schule geräumt sind - das Flüchtlingsproblem in Berlin und speziell in Kreuzberg ist lange nicht gelöst. Nur einen Kilometer weiter etablierte sich inzwischen auf einem großen Brachgelände zwischen Häusern an der Spree eine Hüttensiedlung, gebaut von Aussteigern und Flüchtlingen. Eine Zeitung sprach bereits mit Blick auf die brasilianischen Slums von "Berlins erster Favela". Der Grundstücksbesitzer des Geländes an der Ausgehmeile Schlesische Straße will endlich bauen. Doch die Politik hält sich bisher zurück.

(dpa)
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