Kanzlerin fordert Zurückhaltung Auch Brüssel verfolgt den Fall Marco W.

Brüssel/Berlin/Ankara (RPO). Der Fall des Schülers Marco W. erregt auch in Brüssel Aufmerksamkeit. "Die EU-Kommission verfolgt diesen Fall sehr genau, was seine menschenrechtliche Dimension angeht", sagte die Sprecherin von EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn, Krisztina Nagy. Angela Merkel forderte derweil zur Zurückhaltung auf.

Der Fall Marco W. - eine Chronik
Infos

Der Fall Marco W. - eine Chronik

Infos
Foto: ddp

Man werde "erst einmal das tun", was dem 17-Jährigen möglicherweise helfen könne, "und ich glaube, das sollten wir lieber nicht mit einer großen politischen Diskussion verknüpfen", sagte Merkel.

Olli Rehn, der als Erweiterungskommissar die Beitrittsverhandlungen mit Ankara führt, sprach am Nachmittag mit EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering über Marco W., der seit sieben Monaten in der Türkei in Untersuchungshaft sitzt. Pöttering erklärte anschließend, er hoffe auf eine "menschliche Lösung". Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte angesichts der sensiblen Lage zur Zurückhaltung in dem Fall.

Der 17-jährige Schüler Marco wird in der Türkei beschuldigt, eine 13-jährige britische Schülerin sexuell misshandelt zu haben. Angesichts der langen Untersuchungshaft forderten die Fraktionsvorsitzenden im Europaparlament Pöttering auf, Rehn ihre Besorgnis über die Angelegenheit zu übermitteln.

Nach dem Gespräch mit dem Erweiterungskommissar erklärte Pöttering nach Angaben seiner Sprecherin, er vertraue darauf, dass sich Rehn bei seinen Kontakten mit den türkischen Behörden "für eine menschliche Lösung einsetzt". Mehr wolle der Parlamentspräsident zu dem Fall nicht sagen, weil Marcos Anwälte ausdrücklich um Zurückhaltung gebeten hätten, sagte Pötterings Sprecherin, Katrin Ruhrmann.

Merkel sagte in der Sendung "RTL aktuell": "Wir werden jetzt erst einmal das tun - wenn wir überhaupt was tun können - was dem Jungen hilft, und ich glaube, das sollten wir lieber nicht mit einer großen politischen Diskussion verknüpfen, über die man unterschiedlicher Meinung sein kann." Für Marco W. hatte sich unter anderem schon SPD-Fraktionschef Peter Struck eingesetzt, aus dessen Wahlkreis Uelzen der Schüler kommt.

Wegen der wiederholten Vertagung des Prozesses gegen Marco W. in Antalya hat dessen Anwalt eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg angekündigt. Die Bundesregierung will dies möglicherweise unterstützen.

Allerdings stelle sich die Frage nach einem Beitritt der Bundesregierung zu einem Verfahren erst dann, wenn ein Antrag auf eine Rüge wegen Verletzung der Menschenrechte in Straßburg eingegangen sei, erläuterte die Sprecherin des Bundesjustizministeriums, Eva Schmierer. Danach werde der Gerichtshof die Bundesregierung fragen, ob sie dem Verfahren beitreten wolle. "Sollte es dazu kommen, so wird die Bundesregierung dies prüfen und erwägen", sagte die Sprecherin.

Die nächste Verhandlung in Antalya ist für den 14. Dezember angesetzt. In der türkischen Öffentlichkeit wird vielfach gemahnt, in dem Fall dürfe die Staatsangehörigkeit des Angeklagten keine Rolle spielen. Die Studentin Cansu Uysalel sagte am Donnerstag in Ankara: "Andere Länder müssen sich da heraushalten. Das Urteil sollte nicht nach der Nationalität einer Person gefällt werden."

Der 50-jährige Produzent Fide Özbay sagte, die Entscheidung liege allein bei den Richtern. Bei einem Schuldspruch müsse der Jugendliche bestraft werden. In einem umgekehrten Fall würde das in Deutschland auch nicht anders gesehen.

(ap)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort