"Ehrenmord"-Prozess in Detmold Arzus Vater: "Ich habe nichts damit zu tun"

Detmold · Vor dem Landgericht Detmold hat am Montag der Prozess gegen den Vater der ermordeten Arzu Ö begonnen. Die Anklage wirft dem 53-jährigen Körperverletzung und Anstiftung zum Mord vor. Fendi Ö. bestreitet jedoch, seine fünf erwachsenen Kinder zum "Ehrenmord" aufgefordert zu haben.

 Der Vater der von ihren Geschwistern getöteten Arzu, Fendi Ö. (l.), sitzt im Landgericht Detmold neben seinem Anwalt Torsten Giesecke.

Der Vater der von ihren Geschwistern getöteten Arzu, Fendi Ö. (l.), sitzt im Landgericht Detmold neben seinem Anwalt Torsten Giesecke.

Foto: dapd, Thorsten Ulonska

Im Prozess um Anstiftung zum Mord an der 18-jährigen Kurdin Arzu Ö. hat der angeklagte Vater die gegen ihn erhobenen Vorwürfe im Kern zurückgewiesen. In einer von seinem Anwalt verlesenen Erklärung betonte Fendi Ö.: "Ich habe nichts mit dem Mord zu tun."

Er habe seinen fünf bereits verurteilten Kindern nicht den Auftrag gegeben, Arzu Ö. umzubringen, sagte er am Montag zum Prozessauftakt am Landgericht Detmold. Die fünf verurteilten Geschwister wollen in dem Verfahren nicht aussagen.

Der Vater von Arzu Ö. muss sich wegen Anstiftung zum Mord und Körperverletzung vor Gericht verantworten. Die Eröffnung eines Hauptverfahrens gegen die Mutter lehnte das Gericht mit der Begründung ab, dass eine Verurteilung nicht wahrscheinlich sei. Die Frau habe aufgrund des kulturellen Hintergrunds der Familie "keine reale Möglichkeit" gehabt, das von dem Vater und einem der Söhne geplante Verbrechen zu verhindern.

Angeklagter gesteht Körperverletzung

In der Erklärung räumte Fendi Ö. ein, seine Tochter geschlagen und unter anderem auch mit einem Stock verprügelt zu haben. Das tue ihm leid, erklärte der 53-Jährige. Mit dem Mord habe er aber nichts zu tun. Nachdem seine Tochter aus der Familie ausgestoßen worden sei, sei die Sache für ihn erledigt gewesen.

Für den Prozess gegen den Vater sind zunächst vier Verhandlungstage angesetzt. Da der Angeklagte keine weiteren Angaben zu den Vorwürfen machen will und auch weitere Familienmitglieder nicht aussagen werden, wird ein Indizienprozess erwartet. Das Urteil könnte Anfang Februar verkündet werden.

Der Prozess dürfte für manchen zum Déjà-vu werden: Der gleiche Fall, der gleiche Richter, der gleiche Saal. Auch viele der 23 Zeugen und die drei Sachverständigen sind schon im ersten Prozess aufgetreten. Am Ende wurden damals die fünf angeklagten Geschwister zu langen Haftstrafen verurteilt, an der Spitze der 22-jährige Osman, der die tödlichen Schüsse gestanden hatte.

Die Geschwister hatten zugegeben, Arzu entführt zu haben. Die Tötung sei aber nicht geplant gewesen. Das Gericht sprach dagegen von einem "Ehrenmord". Denn Arzu hatte eine verbotene Liebesbeziehung zu einem Deutschen, einem Bäckergesellen. Die Familie gehört zur Glaubensgemeinschaft der Jesiden. Und die dürfen eigentlich nur Partner haben, die ebenfalls Jesiden sind.

Fendi Ö. drohen bis zu 15 Jahre Haft

Fendi Ö. kam 1985 nach Deutschland, mit seiner Frau und dem ersten Kind, der Tochter Sirin. In Detmold galt die Familie mit den zehn Kindern als vorbildlich integriert. Sirin stand bei der Stadtverwaltung vor einer Karriere. Dann in der Nacht zum 1. November 2011 das Unfassbare: Die fünf Geschwister dringen in die Wohnung von Arzus Freund ein, schlagen ihn nieder und entführen die kleine Schwester. Erst Monate später wird ihre Leiche bei Hamburg gefunden.

Staatsanwalt Christopher Imig geht davon aus, dass Vater Fendi Ö. sie dazu angestiftet hat. Selbst wenn es am Ende "nur" zu Beihilfe zum Mord reichen sollte, müsse Fendi Ö. mit drei bis 15 Jahren Haft rechnen, sagt er. Einige offene Fragen wird Fendi Ö. zu erklären haben. Was hat es mit der Pistole auf sich, die die Polizei unter Fendis Matratze fand? Und der Revolver im Schuppen? Was wurde wirklich in der Tatnacht zwischen Sirin und ihrem Vater per Mobiltelefon besprochen? Und warum hat Fendi den Polizisten, die in der Tatnacht an seiner Tür klingelten, gesagt, seine Kinder seien auf einer Party?

Der Psychologie-Professor Jan Ilhan Kizilhan ist wie im ersten Prozess als Sachverständiger geladen. "In traditionellen, patriarchalen Strukturen wird die Familie als Kollektiv gesehen, fühlt sich verantwortlich - besonders in Fragen der Ehre." Eine besondere Rolle komme dem Vater als Familienoberhaupt zu. Wenn sich ein Familienmitglied nicht an die Regeln halte, gelte er als schwach.

Detmold könnte Rechtsgeschichte schreiben

Die Menschenrechtlerin Serap Cileli hebt hervor, dass es um die Ehre des Clan-Chefs gehe. Sie fordert ein harte Bestrafung, das Detmolder Gericht könne Rechtsgeschichte schreiben: "Denn es wäre das erste Mal, dass in Deutschland ein Familienoberhaupt wegen Anstiftung zum Ehrenmord verurteilt wird." Sie schätzt, dass in den letzten 20 Jahren in Deutschland 100 Frauen im Namen der Ehre umgebracht wurden.

Arzu, die vor dem gewalttätigen Vater ins Frauenhaus geflüchtet war, kannte offenbar die Gefahr: Im Chat mit einer Freundin ermahnte sie diese, mit niemandem aus der Familie Ö. über sie zu sprechen. "Wenn die mich finden, bin ich eine tote Frau." Und weiter: "Die wollen, dass ich zurückkomme. Du weißt schon, die Ehre der Familie."

Und sie erwähnt das Lied des Rappers Eko Fresh "Köln-Kalk Ehrenmord". Darin erschießt ein Türke seine Schwester und deren Freund, im Namen der Ehre. Wenige Wochen später war Arzu tot.

Arzu hat ihren Freund wenige Meter von ihrem Elternhaus entfernt in der Bäckerei kennengelernt, in der sie aushalf. Bäckermeister Johannes Müller ist heute noch erschüttert. "Wir hatten ein enges Verhältnis zu Arzus Familie." Fendi sei streng zu seinen Kindern gewesen. "Ohne Zustimmung des Vaters, vielleicht auch der Mutter, wäre das mit Arzu nie passiert."

(dapd/dpa/csi)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort