Klinikskandal vor Gericht Arzt soll für Tod von sechs Patienten verantwortlich sein

Wegberg (RP). Einer der größten Klinikskandale beschäftigt ab morgen das Landgericht Mönchengladbach: Der Wegberger Ex-Chefarzt Dr. Arnold Pier (53) ist angeklagt. 106 Zeugen sind geladen.

 Das Gebäude der Sankt Antonius Klinik.

Das Gebäude der Sankt Antonius Klinik.

Foto: ddp

106 Zeugen, sechs angeklagte Mediziner, zwei Staranwälte: Vor dem Landgericht Mönchengladbach beginnt morgen der Prozess in einem der größten Medizinskandale Deutschlands. Im Zentrum steht der Chirurg Dr. Arnold Pier (53). Er muss sich wegen des Todes von sechs Patienten verantworten.

Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach klagte den Mediziner wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung mit Todesfolge an. Der frühere Chefarzt soll seinen Patienten im Wegberger Krankenhaus unnötig Organe entnommen und frisch gepressten Zitronensaft statt steriler Lösung in den Bauchraum gespritzt haben -­ womöglich aus Profitstreben, wie die Staatsanwaltschaft mutmaßt. Pier hat die Vorwürfe stets bestritten. Seine Verteidigung übernehmen mit Egon Geis (78) und Rolf-Werner Bock (52) zwei der populärsten Rechtsanwälte Deutschlands. Geis vertrat den Erpresser der BMW-Milliardärin Susanne Klatten. Der Staranwalt ist für seine ellenlangen Plädoyers bekannt. Rolf-Werner Bock gilt als einer der besten Medizinanwälte. Er hat sich auf Behandlungsfehler spezialisiert und ist Autor von etlichen Fachbüchern.


Nachdem Pier die wirtschaftlich angeschlagene Sankt Antonius Klinik am 1. Februar 2006 für 26.000 Euro von der Stadt Wegberg gekauft hatte, soll er nach den Feststellungen der Staatsanwaltschaft sämtliche Abteilungen des 93-Bettenhauses einem strengen Wirtschaftlichkeitspostulat unterworfen haben. Der Chirurg habe auf die Gabe von Blutkonserven und teuren Medikamenten wie Antibiotika und Heparin verzichtet.

In mehreren Fällen soll er angeordnet haben, zur Wunddesinfektion statt einer teureren sterilen Lösung frisch gepresster Zitronensaft zu verwenden. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass am Wegberger Krankenhaus etliche Operationen vorgenommen wurden, für die aus medizinischer Sicht keine Veranlassung bestand. Darmteile, Gallenblasen, Nieren, Blinddärme und Brustfelle seien unnötig entfernt worden. Pier habe sich eine medizinische Fachkompetenz angemaßt, über die er nicht verfügte.

Pier war Eigentümer, Chefarzt und ärztlicher Direktor des Wegberger Krankenhauses in einer Person. Hartwig Bauer, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, bezeichnet diese Machtfülle als völlig untypisch für die deutsche Krankenhauslandschaft. Nach Meinung des Gesundheitspolitikers Karl Lauterbach offenbart der Wegberger Klinikskandal eine Sicherheitlücke im deutschen Versorgungssystem.

Neben Pier sind fünf weitere Ärzte des Wegberger Krankenhauses angeklagt. Wegen unterlassener Hilfeleistung. "Niemand operiert alleine", sagt Oberstaatsanwalt Lothar Gathen. Der Vorsitzende Richter der Schwurgerichtskammer, Lothar Beckers, gilt als umsichtiger Mann mit viel Erfahrung. Ein Gerichtsverfahren in dieser Größenordnung hat der 54-Jährige aber noch nicht erlebt.

24 Prozesstage hat das Landgericht Mönchengladbach angesetzt. Vorerst. Der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Karlheinz Rabe geht davon aus, dass frühestens in einem Jahr ein Urteil gesprochen wird. Rabe und seine Kollegin Hiltrud Hören vertreten die Nebenkläger. Angehörige litten unter massiven seelischen Problemen, berichtet er.

Von Pier und seinen Kollegen sei kein einziges Wort des Bedauerns geäußert worden. Ab Mittwoch wird jeden Donnerstag verhandelt. Gleich zum Auftakt dürfte es eng werden vor dem Richtertisch: Elf Rechtsanwälte vertreten die sechs angeklagten Mediziner. Über 30 Journalisten und sieben Kamerateams berichten vom Prozessauftakt.

(RP)
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