ARD-Doku „Wer beherrscht Deutschland?“ Schonungslose Analyse der politischen Situation

Düsseldorf · Ein Beitrag im Ersten fragt auf provokante Art und Weise: „Wer beherrscht Deutschland?“. Der Autor Jan Lorenzen ist durch das ganze Land gereist. Er hat mit kämpferischen Gewerkschaftlern und wütenden Nichtwählern gesprochen.

 Bei einer Kundgebung der Gewerkschaften am 1. Mai in Leipzig demonstrieren Bürger für ihr Recht. In diesem Fall geht es um die Lohngleichheit zwischen West- und Ostdeutschland.

Bei einer Kundgebung der Gewerkschaften am 1. Mai in Leipzig demonstrieren Bürger für ihr Recht. In diesem Fall geht es um die Lohngleichheit zwischen West- und Ostdeutschland.

Foto: MDR/Hoferichter&Jacobs/Foto: MDR

Wer beherrscht Deutschland? Schon die Frage provoziert, und sie soll provozieren. Wie ist es bestellt um die Machtverhältnisse hier? Ist Angela Merkel mächtiger als der Chef eines Dax-Unternehmens? Nicken die gewählten Volksvertreter nur noch ab, was ihnen einflussreiche Lobbyisten einflüstern? Wer bestimmt die Geschicke einer Stadt stärker: der gewählte Bürgermeister oder der einflussreiche Unternehmer, der mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen droht und sein Sponsoring einstellt, wenn die Stadt seine Forderungen nicht erfüllt? Ist eine Bürgerinitiative in der Lage, sich gegen einen scheinbar übermächtigen Konzern zu wehren? Wie kann eine Gewerkschaft in Zeiten der Globalisierung noch Druck auf einen Arbeitgeber ausüben und die Interessen der Arbeitnehmer durchsetzen? Wer hat die Macht, und wer fühlt sich machtlos?

Mit der Demokratie sei die beste Regierungsform gefunden, das war lange der Grundkonsens in der Bundesrepublik. 30 Jahre nach der friedlichen Revolution in der DDR und der anschließenden Vereinigung scheint es, als würde sich dieser Konsens in Auflösung befinden. Zwar ist die Zustimmung zur Idee der Demokratie immer noch hoch, doch die Zufriedenheit mit den politischen Verhältnissen in Deutschland bröckelt.

Der Autor Jan Lorenzen ist durch das ganze Land gereist. Er hat mit kämpferischen Gewerkschaftlern und wütenden Nichtwählern gesprochen. Er hat eine sich machtlos fühlende Bürgerinitiative begleitet und einen ernüchterten Bürgermeister. Er hat mit nachdenklichen Spitzenpolitikern und besorgten Politologen gesprochen. Die einzelnen Beispiele fügen sich zu einer tiefgreifenden Analyse der derzeitigen politischen Situation: Hat der Staat in den vergangenen Jahren zu viel Macht abgegeben? Wie wirkt sich die zunehmende soziale Ungleichheit auf die politische Machtverteilung aus? Gibt es in Deutschland ein grundsätzliches Demokratiedefizit?

Der Beitrag zeigt ein in seinem politischen Selbstverständnis verunsichertes Land. In ihm stellt sich die Frage, welche grundsätzlichen Veränderungen nötig sind, jenseits tagespolitischer Debatten, um auch in Zukunft zu gewährleisten, was der ehemalige Bundesinnenminister im Film als sein wichtigstes Credo ausgibt: „Ich möchte, dass in diesem Land gewählte Politiker entscheiden und das letzte Wort haben. Nicht die Wirtschaft, nicht das Geld.“

Der Beitrag markiert allerdings nur den Auftakt zu einem Abend, der sich mit Themen beschäftigt, die die Deutschen aktuell oder in der jüngeren Vergangenheit besonders stark bewegt haben. Nach „Hart aber fair“ und den Tagesthemen geht es um 22.45 Uhr in „Der Mordfall Lübcke und rechter Terror in Deutschland“ um eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik. Denn mit dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke tötet im Nachkriegsdeutschland zum ersten Mal ein Rechtsextremer wohl gezielt einen Politiker. Die Doku beleuchtet unter anderem die Verbindungen, die der mutmaßliche Haupttäter in die rechtsextreme Szene hatte.

Außerdem tauchen die Filmautoren tief ein in die seit Jahrzehnten existierende rechtsextreme Szene und zeigen, wie heute Hass und Hetze im Netz und auf der Straße für eine politische Stimmung sorgen, in der sich Rechtsextreme in ihren Gewaltfantasien bestärkt fühlen.

Um 23.30 Uhr beschäftigt sich „Unser Deutschland“ abschließend mit Einigkeit und Recht und Freiheit. Die ersten Worte der Nationalhymne sind zugleich drei zentrale Werte, die mit dem Land, mit seiner Demokratie fest verbunden sind. Wie haben sie sich im Laufe der deutschen Nachkriegsgeschichte entwickelt? Wie beurteilen Menschen in Ost und West ihren Wert? Wie steht es um Einigkeit, um Recht und um Freiheit in Deutschland, und welche Herausforderungen gab und gibt es, um diese Werte immer wieder zu leben und zu verteidigen?

Wer beherrscht Deutschland? 20.15 Uhr, ARD

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