129 Fälle vergangenes Jahr Zahl der Beihilfen zur Selbsttötung stark angestiegen

Laut Bundesverfassungsgerichts haben 2021 insgesamt 129 Menschen eine assistierte Selbsttötung in Anspruch genommen - so viele wie nie zuvor. Nach Angaben des Vereins „Sterbehilfe Deutschland“ sind unter den Verstorbenen auch mehrere Menschen ohne gravierende Krankheiten.

 Im Jahr 2021 kam es zu so vielen Suizidbeihilfen wie nie zuvor (Archivfoto).

Im Jahr 2021 kam es zu so vielen Suizidbeihilfen wie nie zuvor (Archivfoto).

Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Der Verein „Sterbehilfe Deutschland“ hat nach eigenen Angaben in zwölf Jahren insgesamt 470 Mitgliedern beim Suizid geholfen. Die Zahl der assistierten Selbsttötungen stieg dabei nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidbeihilfe vom Februar 2020 stark an: Im Jahr 2021 kam es zu 129 Suizidbeihilfen, so vielen wie nie zuvor. Dies ergibt sich aus dem Jahrbuch des Vereins, das am heutigen Montag in Berlin vorgestellt werden soll und über das der „Spiegel“ vorab berichtet. Unter den Verstorbenen sind laut dem Verein auch mehrere Menschen ohne gravierende Krankheiten.

Im Februar 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht die „geschäftsmäßige“, also die auf Wiederholung angelegte Förderung der Selbsttötung für straflos erklärt und ein weitreichendes Grundrecht auf Suizid formuliert.

Zunächst hatten die Suizidbeihilfen durch den Verein 2015 mit 92 Fällen einen Höchststand erreicht, bis sie durch ein Gesetz des Bundestags unter Strafe gestellt wurden. 2020, im Jahr des Karlsruher Richterspruchs, stieg die Zahl wieder auf 75 und im vergangenen Jahr sogar auf 129 an.

Zu den 470 Suiziden kommen 236 Fälle, in denen der Verein einer Sterbebegleitung zustimmte, diese aber nicht oder noch nicht in Anspruch genommen wurde. Nach Vereinsangaben lag in allen Fällen „ein ärztliches Gutachten vor, das die Freiverantwortlichkeit des sterbewilligen Mitglieds bejaht, in schwierigen Fällen auch zwei Gutachten, in Einzelfällen sogar drei“. In elf Prozent der geprüften Fälle habe man eine Sterbebegleitung abgelehnt.

Der Verein, 2010 vom ehemaligen Hamburger Justizsenator Roger Kusch (CDU) gegründet, hat nun auch deutlich mehr Mitglieder als vor dem Karlsruher Richterspruch. Von 613 Mitgliedern im Jahr 2014 ging die Zahl zunächst zurück. Im Jahr 2020 stieg sie auf 664, und im vergangenen Jahr verdoppelte sie sich nahezu auf 1.201 Mitglieder.

Der Kusch-Verein stellt bei der von ihm praktizierten Sterbehilfe einen Mix tödlicher wirkender Medikamente bereit - entweder über Sterbehelfer oder indirekt über Angehörige. Da der sterbewillige Mensch diese Mittel selbst nimmt oder zumindest eine Infusion selbst in Gang setzt, handelt es sich rechtlich um eine Selbsttötung; Beihilfe dazu ist in Deutschland als solche nicht strafbar.

Das neue Jahrbuch des Vereins zeigt, dass Suizidbeihilfe auch bei jungen, nicht chronisch kranken Menschen geleistet wurde. So war das zweitjüngste Mitglied eine Jurastudentin, die 2018, nach einem grippalen Infekt, am Chronischen Erschöpfungssyndrom erkrankte und schließlich bettlägerig wurde. „Ihr Dasein bestehe nur noch aus Atmen, Essen, Erholung von den Anstrengungen des Essens und Nachdenken über sich und das Leben“, heißt es über die junge Frau. Im Mai 2021 nahm sie sich mithilfe des Vereins das Leben.

(kna)
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