125 Jahre Schweizer Taschenmesser Ein Dosenöffner für die Mir

Genf · Mit einem Schweizer Taschenmesser haben zwei Astronauten einst die Luke der Raumstation geöffnet. Nur eine von vielen Anekdoten aus 125 Jahren. Am 12. Juni 1897 ließ Karl Elsener sein Offiziers- und Sportmesser gesetzlich schützen. 

 Die Vielseitigkeit des Taschenmessers ist legendär (Symbolbild).

Die Vielseitigkeit des Taschenmessers ist legendär (Symbolbild).

Foto: picture alliance / dpa/Patrick Seeger

Als der kanadische Astronaut Chris Hadfield und sein Kommandant mit der Raumfähre Atlantis die Raumstation Mir erreichten, konnten sie die Einstiegsluke nicht öffnen. Die Tür war zu fest verschlossen. „Wir brachen in die Mir ein, indem wir ein Schweizer Taschenmesser benutzten“, erinnerte sich Hadfield später. Dann gab Hadfield noch einen Tipp zu dem berühmten Multifunktionswerkzeug: „Verlasse den Planeten nie ohne eines.“ Selbstredend gehört das Schweizer Taschenmesser inzwischen zur Ausrüstung für Astronauten der US-Raumfahrtagentur Nasa.

Die Anekdote vom November 1995 gehört zu den vielen nahezu unglaublichen Erzählungen, die sich um das Schweizer Taschenmesser ranken. Das kleine Instrument genießt nicht nur bei Astronauten Kultstatus, sondern auch bei Millionen anderer Menschen rund um den Globus. Nur wenige andere Produkte können es in puncto Bekanntheit, Unverwechselbarkeit, Nützlichkeit und Multifunktionalität mit dem „Swiss Army Knife“ aufnehmen. Das Klappgerät schaffte es sogar in etliche Museen, etwa das New Yorker Museum of Modern Art. Und fast scheint es so, dass jenes Image des präzisionsvernarrten Schweizers, der immer perfekte Arbeit abliefern will, auch durch das Taschenmesser entstand.

Am Sonntag feiern die Fans das Jubiläum der helvetischen Ikone. Genau vor 125 Jahren, am 12. Juni 1897, ließ der Schweizer Karl Elsener sein „Offiziers- und Sportmesser“ gesetzlich schützen. Das elegante Werkzeug, eigens für das Führungspersonal der Schweizer Armee konstruiert, war sogar mit einem Korkenzieher ausgestattet. Der Genuss eines edlen Tropfens war den Offizieren somit stets ermöglicht, in der Kaserne oder im Feld. Inzwischen lassen auch andere Armeen ihre Soldaten mit Schweizer Messern ausrüsten. Bei den Schweizer Streitkräften gibt es übrigens kein „Offiziersmesser“ mehr. Alle Uniformierten erhalten dasselbe Modell.

Die Erfindung bescherte dem Messerschmied Elsener aus Ibach im Kanton Schwyz grenzenlosen Ruhm und ein florierendes Unternehmen, Victorinox, das seine Familie noch heute steuert und besitzt – in vierter Generation. Die drei Nachfolger Karl Elseners hießen und heißen Carl Elsener. Für den Konzern arbeiten weltweit 2100 Menschen. Jeden Tag fertigt Victorinox 45.000 Taschenmesser und Taschenwerkzeuge – damit stehen die Eidgenossen im Weltmarkt oben. Anfang März aber fiel ein Markt weg: Victorinox zog sich – wie viele andere Schweizer Unternehmen – aus Russland zurück.

„Die Grundfunktionen unserer Sackmesser kennen Sie bestimmt“, sagt Claudia Mader-Adams, Sprecherin von Victorinox und zählt sie auf: „Klinge, Dosenöffner, Kapselheber, Schraubendreher, Korkenzieher, Pinzette und Zahnstocher.“ Auch bieten die Geräte eine Holzsäge, Schere und Inbusschlüssel. „Wussten Sie, dass einige unserer Sackmesser auch noch ganz andere Dienste erfüllen?“ fragt die Sprecherin. „Zum Beispiel können Sie damit einen Draht abisolieren. Wollen Sie es dabei sehr genau nehmen, unterstützt sie die integrierte Lupe.“

Elsener gründete 1884 eine Werkstatt für Messerschmiede in Ibach, wo die Firma noch immer ihren Sitz hat. Seine Mutter Victoria unterstützte ihn mit Hingabe. In Gedenken an sie wählte Elsener ihren Vornamen Victoria als Markennamen und ließ auch das Emblem mit Kreuz und Schild gesetzlich schützen. Heute ist es in mehr als 120 Ländern als Markenzeichen eingetragen. Die Erfindung des rostfreien Stahls, Inox, 1921 war für die Messerschmiede ein Quantensprung.

Die Wörter „Victoria“ und „Inox“ wurden zum Markennamen verschmolzen. In Ibach wurde 1931 die erste vollelektrische Härterei der Welt eingerichtet. Der Zweite Weltkrieg hatte auch für die Firma aus der neutralen Schweiz seine Folgen – und zwar positive. US-Soldaten, die in Europa stationiert waren, erwarben massenweise die Klappmesser aus dem Alpenland und machten sie in ihrer Heimat bekannt. In der Folge expandierte Victorinox und wurde zur globalen Marke.

 Im schweizerischen Luzern sind in einem Victorinox-Museum auch Taschenmesser aus den ersten Tagen des Unternehmens zu sehen.

Im schweizerischen Luzern sind in einem Victorinox-Museum auch Taschenmesser aus den ersten Tagen des Unternehmens zu sehen.

Foto: picture alliance / Udo Bernhart/Udo Bernhart

2005 wurde dann der alte Rivale Wenger, eine Messerschmiede aus Delsberg im Kanton Jura übernommen, blieb aber zunächst eine eigenständige Marke. Seit 2013 stammen alle Soldatenmesser der Schweizer Armee aus dem Victorinox-Verbund. Zuvor hatten Victorinox und Wenger die Armee teils gemeinsam und teils abwechselnd beliefert. Ein typisch schweizerischer Kompromiss – praktisch wie das Taschenmesser.

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