ARD-Dokumentarspiel Hermann Görings guter Bruder

Düsseldorf · Das ARD-Dokumentarspiel "Der gute Göring" widmet sich einer historisch wenig beachteten Figur – dem Bruder des zweitmächtigsten Mannes des NS-Staates. Denn Albert Göring nutzte seinen einflussreichen Namen, um Juden zu retten.

Die ungleichen Brüder: Hermann Göring (l.) war im NS-Staat Oberster Befehlshaber der Luftwaffe und Stellvertreter Hitlers, der zwei Jahre jüngere Albert Göring war Ingenieur. Er wollte mit den Nazis nichts zu tun haben.

Die ungleichen Brüder: Hermann Göring (l.) war im NS-Staat Oberster Befehlshaber der Luftwaffe und Stellvertreter Hitlers, der zwei Jahre jüngere Albert Göring war Ingenieur. Er wollte mit den Nazis nichts zu tun haben.

Foto: dpa

Das ARD-Dokumentarspiel "Der gute Göring" widmet sich einer historisch wenig beachteten Figur — dem Bruder des zweitmächtigsten Mannes des NS-Staates. Denn Albert Göring nutzte seinen einflussreichen Namen, um Juden zu retten.

Niemand zweifelt daran, dass Hermann Göring ein böser Mensch gewesen ist. Als zweitmächtigster Mann des Dritten Reiches betrieb er gnadenlos die nationalsozialistische Vernichtungspolitik. Dass es einen "guten Göring" gegeben haben soll, wie es der Titel eines ARD-Dokumentarspiels nahelegt, erstaunt daher zunächst.

Allerdings geht es nicht um möglicherweise positive Züge des Reichsmarschalls, sondern um dessen zwei Jahre jüngeren Bruder Albert. Der nicht nur äußerlich und charakterlich aus der Reihe tanzte — Hermann war klein, übergewichtig und ein selbstverliebter Machtmensch, Albert groß, schlank und ein kultivierter Charmeur — sondern auch politisch: Mit den Nazis wollte Albert nichts zu tun haben. Stattdessen rettete er Juden, indem er seinen einflussreichen Namen nutzte.

Allerdings ist die Quellenlage dünn. Nur wenige Dokumente beleuchten das Wirken Albert Görings, das meiste fußt auf den Verhören in amerikanischer Gefangenschaft, auf Interviews mit Zeitzeugen und deren Nachkommen sowie den Vernehmungsprotokollen der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse. Dort findet sich auch eine von Albert Göring erstellte Liste mit 34 Menschen, die er vor dem Zugriff der Nazis gerettet hat. William Hastings Burke nutzte diese Auflistung als Grundlage für sein Buch "Hermanns Bruder", das wohl auch die ARD-Produktion ausgewertet hat.

Demnach kämpften beide Brüder zwar im Ersten Weltkrieg, gingen danach aber getrennte Wege. Hermann machte Karriere in der NSDAP, wurde preußischer Ministerpräsident, Befehlshaber der Luftwaffe und Stellvertreter Hitlers. Albert ging als Maschinenbau-Ingenieur nach Österreich, wurde aber von den Nazis eingeholt. Also beschloss er zu helfen.

Er fälschte Papiere, um Menschen die Ausreise zu ermöglichen, gab Flüchtlingen Geld, schüchterte Behörden mit seinem Namen ein. Als der Filmproduzent Oskar Pilzer, ein Jude, verhaftet wurde, sorgte Albert für seine Freilassung. Als SA-Männer in Wien einer Frau das Schild "Ich bin eine Saujüdin" umhängten, befreite Albert sie und schlug die SA-Männer nieder. Er wurde festgenommen, aber sofort wieder freigelassen — aus Angst vor dem großen Bruder.

Auch aus dem KZ Theresienstadt soll Albert Göring Inhaftierte gerettet haben. Als Exportleiter der Skoda-Werke in Brünn verlangte er im KZ nach Arbeitern, bekam sie und ließ sie im Wald frei. Für Hermann Göring wurde es immer schwieriger, seine schützende Hand über seinen Bruder zu halten, zumal Albert Heinrich Himmler einen "Lustmörder" nannte, den Hitlergruß verweigerte und offen gegen das System rebellierte. Das Dokumentarspiel zeigt diese Entwicklung anhand von fünf Begegnungen der Brüder, in denen sich der Konflikt zwischen ihnen zuspitzt, aber auch Verbindendes gezeigt wird. So sprach Albert nach seiner Verhaftung nur gut über Hermann, lobte dessen Warmherzigkeit, wollte die furchtbare Realität nicht wahrhaben.

Zudem erwies sich der Name Göring, der Albert im NS-Staat alle Türen geöffnet hat, nach dem Krieg als Fluch. "Selber Name, selbes Blut", hieß es, er wurde an die Tschechen ausgeliefert, die ihn wegen Kriegsverbrechen anklagen wollten. Erst als sich ehemalige Skoda-Mitarbeiter für ihn einsetzen, wurde er freigelassen. Doch der Name klebte an ihm wie das Blut an den Händen seines Bruders, der sich 1946 durch eine Blausäurekapsel der Justiz entzogen hatte. Albert Göring fand im Nachkriegsdeutschland keine Anstellung mehr, litt an Depressionen und starb 1966 mit 71 Jahren in München.

George Pilzer, der Sohn des Filmproduzenten Oskar Pilzer, hat bei der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem einen Antrag gestellt, Albert Göring den Ehrentitel "Gerechter unter den Völkern" zu verleihen. Die Holocaust-Gedenkstätte zögert damit noch. "Es werden nur Retter geehrt, die ihr Leben riskiert haben", sagt Abteilungsleiterin Irena Steinfeldt. Nach Überzeugung der Macher des Dokumentarspiels und der darin zu Wort kommenden Nachfahren von Nazi-Verfolgten hat er das zweifellos. "Etlichen Menschen hat er das Leben gerettet, sein eigenes riskiert", resümiert Sandra Maischberger, deren Firma den Film für den NDR und den BR produziert hat. Vielleicht steht also eines Tages auf einer Gedenktafel in Israel der Name Göring.

(jig)
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