Rio Der Fluss des Grauens

Rio de Janeiro · Im brasilianischen Rio Doce ist eine giftige Schlammlawine auf dem Weg in den Atlantik. Es droht die größte Umweltkatastrophe des Landes.

Die Luftaufnahmen verheißen nichts Gutes. Ungehindert fließen riesige Schlammmassen in den Atlantik, das blaue Wasser färbt sich braun. Die Folge eines Bergwerksunglücks, das sich aus Sicht von Umweltschützern zu einer der schlimmsten Umweltkatastrophen in Brasiliens Geschichte entwickeln kann.

Denn in den rot-braunen Schlammmassen könnten sich massenhaft Giftstoffe wie Arsen, Quecksilber, Blei und toxische Chemikalien befinden. Es ist ein Drama in Raten: Am 5. November brechen in der Eisenerzmine des Betreibers Samarco in der Stadt Mariana (Bundesstaat Minas Gerais) zwei Dämme eines Rückhalte- und Klärschlammbeckens. Ein leichtes Erdbeben wird als Ursache vermutet. Eine Schlammlawine überrollt die 600-Einwohner-Ortschaft Bento Rodrigues, 250 Kilometer nördlich von Rio de Janeiro. Zerstörte Häuser und Autos zeugen von der Wucht. Durch den Unfall starben 13 Menschen, zehn gelten noch als vermisst. Der Schlamm kontaminiert auf mehr als 800 Kilometern Länge den Fluss Rio Doce und fließt bis in den Atlantischen Ozean.

Rio Doce heißt übersetzt "Süßer Fluss". Im Moment ist es eher ein Fluss des Grauens. Es gibt Berichte über neun Tonnen verendete Fische, Fotos zeigen verwüstete Landschaften und Ökosysteme. Riesige Mengen an Trinkwasser stehen plötzlich nicht mehr zur Verfügung.

Der australisch-britische Rohstoffkonzern BHP, dem die Betreiberfirma Samarco zusammen mit dem brasilianischen Bergbaukonzern Vale gehört, wiegelt ab: Alles wohl nicht giftig. Die Vale-Direktorin für Gesundheit und Sicherheit, Vania Somavilla, räumt zwar ein, dass giftige Elemente wie Arsen und Nickel im Rio Doce festgestellt worden seien, diese aber nicht von dem Bergwerk stammten, sondern schon im Fluss oder am Ufer waren und vielleicht von den Schlammmassen losgelöst worden sind.

Die Aussage zeigt: Der Kampf gegen Schadenersatzforderungen ist bereits in vollem Gange. Der BHP-Konzern betont ergänzend, Proben des Instituts SGS Geosol hätten ergeben, der Schlamm aus dem Reinigungsprozess der eisenerzhaltigen Erde sei "nicht gefährlich für die menschliche Gesundheit".

Aber ob alles so harmlos ist, zweifelt inzwischen auch die Regierung an. Im Bundesstaat Espírito Santo, wo der Fluss in den Atlantik fließt, sind Naturschutzgebiete, Fische und Schildkröten akut bedroht. Brasiliens Regierung hat zunächst wenig getan, um die Krise in den Griff zu bekommen, holt aber nun zum großen Schlag aus: Sie will 20 Milliarden Reais (etwa fünf Milliarden Euro) für einen Fonds zur Säuberung des Rio Doce und Entschädigung der Opfer fordern. Bundesgeneralanwalt Luís Inácio Adams will heute eine Zivilklage gegen das Bergbau-Konsortium erheben.

Die Vereinten Nationen hatten die Regierung nach eigenen Untersuchungen zuletzt zu energischerem Handeln aufgerufen. "Das Ausmaß der Umweltschäden entspricht 20.000 olympischen Schwimmbecken gefüllt mit giftigem Schlamm", mahnte der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Umwelt, John Knox - 50 Millionen Tonnen mit Eisenerz, toxischen Schwermetallen und Chemikalien seien in den Rio Doce geflossen. Dennoch wird kaum versucht, den Schlammfluss etwa mit Barrieren einzudämmen.

BHP entschuldigt sich in einer Mitteilung zum Unglück übrigens mit keinem Wort für das Desaster.

(RP)
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