Proteste gegen Corona-Einschränkungen „Hygiene-Demos“ erwecken Misstrauen in der Politik

Unter Schlagworten wie „Widerstand 2020“ sammeln sich vielerorts Bürger zu Protesten. Zu den Treffen kommen ganz gewöhnliche Menschen mit zunehmendem Misstrauen gegenüber den Corona-Auflagen, aber auch Verschwörungstheoretiker und Neonazis.

 Protestkundgebung der Initiative «Querdenken» gegen Corona-Auflagen am 2. Mai in Stuttgart.

Protestkundgebung der Initiative «Querdenken» gegen Corona-Auflagen am 2. Mai in Stuttgart.

Foto: dpa/Christoph Schmidt

Die Polizei war auch an diesem Freitag in Berlin und mehreren anderen Orten wieder auf Demonstrationen der besonderen Art vorbereitet. Unter Devisen wie „Nicht ohne uns“, „Hygiene-Demonstration“ oder „Widerstand 2020“ finden sich immer mehr Menschen zusammen, die mit den Freiheitseinschränkungen in der Corona-Krise nicht einverstanden sind und zu Hunderten auf die Straße gehen, ohne die Zusammenkunft auch stets als Demonstration anzumelden. Am Freitag fanden die Vorhaben nur geringe Resonanz. Mehr Teilnehmer werden an diesem Samstag erwartet. Teilweise werden die Treffen als „Spaziergang“ oder „Verteilen von Zeitungen“ bemäntelt.

Diese Zeitungen sammeln den Protest, trommeln für Initiativen überall im Land und treffen auf den Straßen auf ein ungewöhnliches Spektrum. Darin finden sich ganz gewöhnliche Menschen mit zunehmendem Misstrauen gegenüber den Corona-Auflagen genauso wie Klima-Leugner, Corona-Leugner und sogar Holocaust-Leugner sowie Anhänger von Verschwörungstheorien vom rechten bis zum linken Rand der Gesellschaft.

„Die Versammlungsfreiheit ist in einer Demokratie ein hohes Gut“, betonte CDU-Vize Thomas Strobl. Dieses Recht gelte selbstverständlich auch für diejenigen, denen die bisher getroffenen Maßnahmen zum Eindämmen der Corona-Pandemie nicht gefallen. Allerdings sei der Infektionsschutz und der Schutz von Leib und Leben ebenfalls von hoher Bedeutung. „Wenn behördliche Auflagen zum Infektionsschutz nicht eingehalten werden, muss eine Demonstration mit der Auflösung rechnen“, unterstrich Strobl, der auch Innenminister in Baden-Württemberg ist.

„Diese Gruppen als Spinner abzutun, greift mir zu kurz“, hob Unions-Innenexperte Armin Schuster hervor. Stattdessen will er sich vor allem inhaltlich mit dem Protest auseinandersetzen. „Wir müssen sie mit ihrem Unsinn politisch stellen und als Saboteure unseres weltweit beachteten Infektionsschutzerfolges entlarven“, lautet die Empfehlung des CDU-Politikers. Außerdem hätten die Sicherheitsbehörden aufzuklären, inwieweit rechte und linke Gruppierungen diese Bewegungen unterwanderten und für ihre verfassungsfeindlichen Zwecke instrumentalisierten.

Erkenntnisse in dieser Richtung scheinen an einzelnen Orten bereits vorzuliegen. So warnte Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange die Teilnehmer einer für diesen Samstag geplanten Corona-Demonstration, dass diese von Rechtsextremisten unterwandert werden solle. Darüber lägen „gesicherte Erkenntnisse“ vor. „Rechtsextremisten nutzen eine öffentlich deutlich wahrnehmbare Kritik an den Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie, um zur Abschaffung der Freiheit und der Grundrechte anzustacheln.“, erklärte Lange.

Umgekehrt geht FDP-Innenexperte Benjamin Strasser an das Phänomen heran: „Ich wäre besorgt, wenn sich angesichts der massiven Beschränkungen von Grundrechten keine Bürger kritisch äußern würden“, betonte Strasser. Die „Hygiene-Demos“ zeigten aber auch, dass es besorgniserregende Proteste gebe, bei denen sich AfD-Politiker, Neonazis, Reichsbürger, Antisemiten, Verschwörungstheoretiker und Esoteriker tummelten. „Ich habe Sorge, dass sich aus diesen Gruppen ein unheilvoller, extremistischer Zusammenschluss bilden könnte“, erläuterte Strasser. Darauf müssten die Sicherheitsbehörden ein genaues Auge werfen.

Die Grünen wollen ihre Bedenken im Bundestag thematisieren und eine genaue Analyse mit einer Anfrage an die Bundesregierung beginnen. Natürlich gebe es in Zeiten wie diesen auch berechtigte Sorgen, dass Bürgerrechte geschliffen würden, merkte Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic an. Aber „Hygiene-Demos“ oder „Widerstand 2020“ müsse man sich ganz genau anschauen. „Da scheint sich ein bedenkliches Gemisch aus Verschwörungstheorien und gezielter Desinformation zu bilden mit hoher Anschlussfähgkeit nach rechts“, lautet die Befürchtung von Mihalic.

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