Umwälzungen durch Corona Verlierer und Gewinner der Pandemie

Die Umbrüche der vergangenen 18 Monate haben historische Ausmaße. Corona hat viele ärmer, andere reich gemacht. Schon gar nicht lässt sich jeder Gewinn oder Verlust in Geld bemessen.

Das starke Wachstum im Online-Handel hat den Konzerngewinn der Deutschen Post nach oben schnellen lassen (Symbolbild).

Das starke Wachstum im Online-Handel hat den Konzerngewinn der Deutschen Post nach oben schnellen lassen (Symbolbild).

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Jede Krise produziert Gewinner und Verlierer. Die Pandemie hat den Alltag und das Konsumverhalten der Deutschen massiv verändert. Doch während den Verlierern auf dem weiten Feld des Angebots und der Nachfrage eher Mitgefühl zuteil wird, haftet „Krisengewinnlern“ ein „Gschmäckle“ an. In manchen Fällen mag das gerechtfertigt sein. Doch haben von den Folgen durch Corona nicht nur viele Unternehmen profitiert, sondern eben auch unzählige ihrer Kunden. Wo Märkte quasi über Nacht umgekrempelt werden, geraten traditionelle Player aber auch ins Hintertreffen. Bei anderen wiederum geht buchstäblich die Post ab.

Pharmaunternehmen Ein schönes Beispiel für ein Produkt, von dem in schwierigen Zeiten alle etwas haben, ist der Impfstoff von Biontech/Pfizer. Er hat seine Entwickler Özlem Türeci und Ugur Sahin reich und berühmt gemacht. Rund 80 Millionen Impfdosen wurden allein bis Ende August in die Oberarme von Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland versenkt. Nicht nur für das Mainzer Unternehmen macht sich das bezahlt: Verkaufserlöse von 16 bis 17 Milliarden Euro werden bis Ende des Jahres prognostiziert. Gewinner ist auch die Stadt Mainz, die durch die mehr als eine Milliarde Euro an Gewerbesteuern von Biontech bis Jahresende erwarten kann. 2022 könnte die mit 1,5 Milliarden Euro in der Kreide stehende Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz schuldenfrei sein. Dem Hildener Diagnostikunternehmen Qiagen bescherte das Geschäft mit Corona-Tests eine Sonderkonjunktur. Ebenfalls gefragt: Beatmungsgeräte des Dräger-Werks. Verlierer bleiben Millionen Impfverweigerer, die mit schweren Krankheitsverläufen rechnen müssen, und das bis zur Erschöpfung schuftende Personal auf den Intensivstationen.

Arbeits- und Kapitalmarkt Ausgerechnet China, das Land, von dem aus sich das Virus in die Welt verbreitete, ist es – wenngleich mit rabiaten Mitteln – gelungen, die Seuche am schnellsten unter Kontrolle zu bringen und bis Ende 2020 schon wieder ein deutliches Wirtschaftswachstum zu generieren. Derartiges hat der Westen nicht geschafft. Besitzer schwerer Aktienpakete von großen Unternehmen wiederum konnten in der Krise durchaus reicher werden, da zahlreiche Firmen nicht nur, aber auch dank staatlicher Interventionen wie Kurzarbeitergeld überraschend hohe Gewinne einfuhren und in der Folge beachtliche Dividenden ausschütteten. Einer Studie von Oxfam zufolge nahmen 32 der international profitabelsten Unternehmen 2020 zusammen 109 Milliarden Dollar zusätzlich ein, während weltweit 400 Millionen Jobs verloren gingen. Schwer getroffen sind der Kunst- und Kulturbetrieb, die Gastronomie- und Reisebranche, der stationäre Einzelhandel und viele weitere Dienstleister. Die allein in Deutschland durch Corona angefallenen Staatsschulden von 1,5 Billionen Euro werden noch für nachfolgende Generationen zur Hypothek. Die gesellschaftliche Kluft zwischen Arm und Reich auf der Welt, sei im Verlauf der Pandemie größer geworden, bilanziert der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze.

Familie Emotionaler Gewinner ist gegenwärtig ein knapp vier Minuten langer Weihnachts-Werbespot des Discounters Penny. Dabei handelt der Clip gerade von den Verlierern der Pandemie und hat manche seiner Betrachterinnen und Betrachter bereits zu Tränen gerührt: In „Der Wunsch“ fragt ein Junge seine Mutter, wonach sie sich zum Fest am meisten sehne. Die Antwort: dass der Sohn seine Jugend zurück bekommen möge, mit wilden geheimen Partys, der großen Liebe, gebrochenem Herzen, so betrunken, dass er irgendwo abgeholt werden muss – alles Sachen, die Jugendlichen in dieser wichtigen Phase nicht so leicht erleben konnten. Viele leiden an Depressionen und Essstörungen. Familien mit betreuungsbedürftigen Kindern, die nicht in die Kita oder Schule gehen dürfen, erleben harte Zeiten. Immerhin: Zuhause wurde in der Pandemie bislang mehr gespielt. Das bescherte dem Spielwarenmarkt 2020 ein Umsatzplus von rund neun Prozent. Brettspiele und Puzzles legten gar um 21 Prozent zu.

Lebensmittel „Durch Corona hat der Online-Kauf von Lebensmitteln einen starken Schub erfahren, obwohl die Supermärkte durchweg geöffnet waren“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Digitalverbands Bitkom, Bernhard Rohleder. Vor allem 16- bis 29-Jährige nutzten Express-Lieferanten. 40 Prozent der Bürgerinnen und Bürger würden Bestellungen in Anspruch nehmen, wenn diese möglich seien. Das könnte für klassische Lebensmittelhändler eine ernste Bedrohung werden, glaubt Rohleder. Der Wert der Aktie des in Deutschland gegründeten Lieferservices Delivery Hero hat sich im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt – weil zahlreiche Restaurant geschlossen bleiben mussten. Kräftige Zuwächse verzeichnen Tiefkühllieferanten wie Eismann oder Bofrost. Pizza aus dem Gefrierschrank war der Renner der Corona-Hochsaison. Essen selber kochen ist es aber auch: 7,7 Millionen Kunden ordern inzwischen die Kochboxen des Versenders Hellofresh. Vor einem Jahr waren es noch 4,2 Millionen.

Online-Handel Dass der Online-Handel insgesamt zu den großen Krisengewinnern gehört, lässt sich jeden Tag am Paketaufkommen beobachten. Das freut nicht nur die Hersteller von Kartonagen. Wer die Ware ausliefert, profitiert allerdings nicht unbedingt vom Boom. Die Arbeitsbedingungen von Paketboten sind hart, der Lohn oft karg. Die Deutsche Post konnte ihren Konzerngewinn mehr als verdoppeln. Das Umsatzplus von Online-Shops für Bekleidung betrug zu Jahresbeginn mehr als ein Drittel. Glänzend schnitt auch der Online-Riese Amazon ab, der im ersten Quartal dieses Jahres mehr als drei Mal so viel Kasse machte wie im Vorjahreszeitraum. Zuletzt liefen die Geschäfte wegen Lieferprobleme, hoher Frachtkosten und Personalknappheit deutlich schlechter.

Home, sweet Home „Cocooning“, nennt man den Rückzug ins Private, der durch das Virus zwangsläufig verstärkt worden ist. Entsprechend gaben viele Haushalte mehr Geld für Einrichtung, Balkon und Garten aus. Nicht nur der Gartenbaubranche bescherte das zeitweise Rekordumsätze, sondern auch den Bau- und Heimwerkermärkten. Geschäfte und Aktienkurse erlebten allerdings eine rasante Berg- und Talfahrt, entsprechend den Verschärfungen bzw. Lockerungen der Beschränkungen, was etwa der Online-Versandhändler für Wohnaccessoires Home24 deutlich zu spüren bekam.

Haustiere Viele Deutsche, die im Lockdown zu vereinsamen drohten, legten sich ein Haustier zu. Ob Letztere allesamt als Gewinner zählen, ist fraglich, denn zahllose „Corona“-Hunde und -Katzen landeten nach kurzer Zeit im Tierheim. Der Handel mit ihnen lohnte indes: Ob Vierpfotler, Meerschweinchen, Wellensittich oder Hamster: Die Zahl der tierischen Mitbewohner in deutschen Haushalten stieg innerhalb eines Corona-Jahres um fast eine Million auf knapp 35 Millionen. Leider boomte auch der illegale Welpenhandel. Weil die Besitzer ihre Lieblinge stärker verwöhnten, strebte der Umsatz der Heimtierbranche um gut fünf Prozent auf 5,5 Milliarden Euro nach oben.

Digitale Kommunikation Die Verlagerung des Arbeitsplatzes vom Büro nach Hause hat eine enorme Nachfrage nach Software für Videokonferenzen ausgelöst. Einer der größten Gewinner des Umbruchs in der Arbeits- und Lernwelt ist der US-Videodienst Zoom, der beim Umsatz kürzlich die Milliarden-Dollar-Marke knackte. Konkurrenten wie Cisco, Microsoft oder Slack verdanken der Ausweitung des Homeoffice ebenfalls einen Schub. Und weil ohne Computer- und Notebooks mittlerweile nichts mehr geht, haben Hersteller wie Lenovo oder Apple deutlich mehr Geräte als vor der Pandemie verkauft. Zudem lag der durchschnittliche Verkaufspreis pro Computer in Deutschland 2021 um durchschnittlich 150 Euro über dem des Vorjahres.

Fitness Während viele Fitnessstudios geschlossen wurden, machte die Branche mit Sportartikeln für Zuhause gute Geschäfte. Die Nachfrage nach Business-Kleidung rauschte in den Keller, die nach T-Shirts, Jogginghose und Hoodie hingegen schoss durch die Decke. Adidas und Konkurrent Puma kamen mit der Lieferung kaum hinterher. Ebenso die Fahrradbranche:  Weil viele Menschen aufs Zweirad umstiegen, wurden  2020 in Deutschland so viele Exemplare verkauft wie noch nie – insgesamt fünf Millionen Stück, davon zwei Millionen E-Bikes.

Unterhaltung Bitter für Kinobetreiber, süß für Anbieter von Streamingdiensten und PC-Spielen: Jeder zweite Befragte gab aktuell an, Netflix, Amazon Prime & Co noch stärker als im ersten Corona-Jahr genutzt zu haben. Zudem entdeckten mehr Menschen Videospiele für sich. Rund die Hälfte der Deutschen spielt zumindest hin und wieder am Computer – Frauen (47 Prozent) fast so viel wie Männer (53 Prozent). Lag die durchschnittliche Spieldauer pro Woche  vor der Pandemie laut Bitcom noch bei fünf Stunden, so verdoppelte sie sich zuletzt auf zehn Stunden.

Sexspielzeug Aufwärts ging es ebenfalls für die Erotik-Branche. Der Online-Shop eis.de etwa berichtet von einem Plus von 300 Prozent bei den Bestellungen eines beliebten Vibrator-Modells. „App-gesteuerte Vibratoren sind auch im zweiten Lockdown noch immer die Kategorie mit dem stärksten Anstieg“, so eine Unternehmenssprecherin zu Beginn dieses Jahres. Der Kondomfabrikant Ritex verzeichnete ebenfalls einen drastischen Umsatzsprung, der aber auch den Hamsterkäufen zu Beginn der Pandemie geschuldet war, die auch für reißenden Absatz bei Klopapier gesorgt hatten.

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