Wie Pandemien enden Von Viren und Menschen

Ein Blick auf einige der bekanntesten Infektionskrankheiten und darauf, wie die Menschheit mit ihnen fertig wurde – oder auch nicht. Eine Geschichte von Niederlagen, Siegen und medizinischen Glanzleistungen.

 Krankenpfleger bereiten sich 1918 auf Grippe-Opfer vor.

Krankenpfleger bereiten sich 1918 auf Grippe-Opfer vor.

Foto: dpa

Diese Geschichte gibt es auch zum Hören - exklusiv für Sie. Kostenpflichtiger Inhalt Abonnieren Sie jetzt unsere RP Audio-Artikel in Ihrer Podcast-App!

Wir sehen Viren erst seit 90 Jahren. Sie waren schon immer da, gaben sich aber nicht zu erkennen. Es brauchte Ernst Ruska und Max Knoll. Die deutschen Ingenieure entwickelten 1931 das Elektronenmikroskop. Mit dessen Hilfe konnten Forscher plötzlich sehen, was sie Jahre zuvor schon versucht hatten zu beschreiben. Ruska und Knoll ermöglichten den Blick auf das Kleine, das Großes auslösen kann. Viruspandemien verursachten in der Vergangenheit Millionen Todesfälle und brachten mitunter ganze Wirtschaftssysteme zum Einsturz. Als ein Ausbruch vorbei war, atmete die Menschheit auf. Der Erreger allerdings war dann meist nicht verschwunden.

Koexistenz

Herbst 1918. Die Spanische Grippe hatte weltweit bereits mehrere Tausend Menschen getötet. Aber in den kalten Monaten jenes Jahres schlug die Krankheit noch härter zu. In Deutschland meldete die „Tägliche Rundschau“ am 26. September ein erhöhtes Auftreten der Grippe. Wenig später fehlte es an Platz für die Toten. Die zweite der insgesamt drei Grippewellen wurde die schlimmste. In Großbritannien kamen etwa 64 Prozent aller Grippeopfer von 1918/19 während der zweiten Welle ums Leben. „Bei den größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts denken die Wenigsten an die Spanische Grippe, sondern vielmehr an die beiden Weltkriege. Dabei forderte die Spanische Grippe mehr Tote als der Erste Weltkrieg, vielleicht sogar mehr als beide Weltkriege zusammen“, sagt Malte Thießen, Medizinhistoriker und Leiter des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte in Münster. Schätzungen gehen von mehr als 50 Millionen Toten aus.

 Das nachgezüchtete Virus der Spanischen Grippe von 1918.

Das nachgezüchtete Virus der Spanischen Grippe von 1918.

Foto: picture alliance / -/Centers for/dpa

Der Erreger der Spanischen Grippe war damals noch nicht bekannt: ein Abkömmling des H1N1-Influenzavirus. Vermutlich war er kurz zuvor vom Tier erstmals auf den Menschen übergesprungen. Im Deutschen Reich gaben die oberen Behörden keine Anweisungen, welche Maßnahmen nun zur Eindämmung der Krankheit zu vollziehen sind. Sie überließen die Entscheidung den Regionalverwaltungen. Während zum Beispiel Dresden Schulen und Museen schloss, reagierte Leipzig erst nach heftigem Protest der Bürger einige Wochen später. Zu drastischen Maßnahmen, die de facto einen Stillstand des öffentlichen Lebens bedeutet hätten, konnte sich kein Teilstaat durchringen. Niemand wollte der Schuldige dafür sein, dass die Stimmung der vom Krieg Geplagten noch weiter sank. In einem Bericht von 1920 über die Pandemie in Preußen hieß es: „Die Influenzapandemie ist demnach bei uns ohne wesentliche Beeinflussung durch systematische Bekämpfungsmaßnahmen verlaufen; hieraus könnte den Behörden ein Vorwurf gemacht werden.“

Die dritte Welle der Spanischen Grippe setzte um den Jahreswechsel 1918/19 ein und reichte bis ins Frühjahr. Im Vergleich zu den vorangegangenen Wellen war die dritte die mildeste. „Zahlreiche Infizierte waren zuvor schon gestorben, und die Überlebenden waren nach überstandener Krankheit immun“, sagt Malte Thießen. Das Virus fand immer weniger Wirte. Die Reproduktionzahl sank. Die Spanische Grippe entwickelte sich zur saisonalen Krankheit, die ab Mitte der 20er Jahre kaum noch auftrat und schließlich verschwand. Die Pandemie endete. Das Influenzavirus aber blieb.

Noch heute sind Viren des H1N1-Stamms für 41 Prozent aller Grippefälle verantwortlich. Influenzaviren mutieren sehr schnell, weshalb es jährlich neue Impfstoffe braucht. Meistens machen die Mutationen das Virus nicht gefährlicher. Es gibt aber Ausnahmen. Der Erreger der Spanischen Grippe war so eine Ausnahme, ebenso jener der Hongkong-Grippe (1968), an der weltweit rund eine Million Menschen starben. Bilder aus jenen Tagen erinnern an Zustände, wie wir sie jetzt in Italien erlebt haben. In West-Berlin herrschte Bestattungsnotstand. Einheitliche Eindämmungsmaßnahmen gab es nicht. „Die Behörden reagierten mit einem erstaunlichen Pragmatismus, der ganz im Gegensatz zu heute steht“, sagt Medizinhistoriker Thießen: „Damals lautete das Argument zum Teil sogar, dass die Grippe nur Alte und Vorerkrankte treffe, was als Beruhigung gedacht war.“ Die Hongkong-Grippe erregte im Allgemeinen kein großes Aufsehen. Als Strategie wurde das Erreichen einer Herdenimmunität verfolgt, woran auch rigoros festgehalten wurde. Die Ausbreitung des Virus wurde erst zwei Jahre später gestoppt, als tatsächlich genug Menschen Antikörper gegen den Erreger entwickelt hatten und eine Impfung vorlag.

Bei der Schweinegrippe-Pandemie 2009/10 waren die Eindämmungsmaßnahmen deutlich aggressiver – der Erreger war es allerdings nicht. Die Pandemie verlief viel glimpflicher, als Experten befürchtet hatten. Es starben nicht mehr Menschen als ohnehin. Spätestens mit der Weiterentwicklung des jährlichen Grippeimpfstoffs war die Virusausbreitung beendet.

In der zurückliegenden Grippesaison identifizierte das Robert-Koch-Institut 916 Influenzaviren, die meisten vom Stamm H3N2, der auch für die Hongkong-Grippe verantwortlich war. Es zeigt das breite Spektrum der Influenzaviren. Zum Vergleich: Bei Coronaviren sind den Forschern bisher lediglich sieben bekannt. Weil die Grippeerreger zu wandelfreudig sind, wird es der Menschheit vorerst auch nicht gelingen, die Krankheit auszurotten. Das glückte bisher nur bei einer durch Viren verursachten Seuche und dauerte Jahrtausende.

Ausrottung

Ali Maow Maalin war etwas Besonderes. 1954 in Somalia geboren, erkrankte er 1977 an den Pocken. Das Besondere? Er war der letzte Mensch, bei dem die Krankheit ausbrach.

 Aufnahme eines Pockenvirus.

Aufnahme eines Pockenvirus.

Foto: picture alliance / Photoshot/dpa

Als Geißel der Menschheit gingen die Pocken in die Geschichte ein. Schon in altägyptischen Gräbern fand man ihre Opfer. Zu den ersten bekannten Pockentoten zählt Pharao Ramses V. Die Hunnen schleppten die Krankheit durch die noch unfertige Chinesische Mauer, die römischen Legionen verbreiteten sie in Europa, ebenso die Kreuzritter, die europäischen Eroberer infizierten die Neue Welt. Mozart steckte sich an, ebenso Beethoven und Haydn, Goethe erkrankte, George Washington, Abraham Lincoln und Josef Stalin auch. Ludwig XV. und Zar Peter II. starben an der Seuche. Die Pocken waren der besonders grausam anzusehende tödliche Begleiter der Menschheit. Beispiellos.

„Das meiste, das wir heute über Eindämmungsmaßnahmen wissen, resultiert aus dem Kampf gegen die Pocken“, sagt Malte Thießen: „Die Pest war vermutlich die schillerndste Seuche, doch die Pocken stellten alles in den Schatten.“ Vereinzelt konnten Ausbrüche durch die Isolierung Betroffener gestoppt werden. Doch weil die Krankheit aufgrund des Warenaustauschs nicht zu kontrollieren war, brach sie immer wieder aufs Neue aus. Pandemie folgte auf Pandemie.

Über die Jahrhunderte unternahmen Mediziner mehrfach den Versuch, die Pocken zu beseitigen. Schon etwa 1000 v. Chr. führten Heiler sogenannte Variolationen durch. Eine eklige Angelegenheit, die allerdings tatsächlich einen kleinen Erfolg versprach. Dabei übertrug man den Inhalt der Pockenpusteln von Genesenen in kleine Wunden von gesunden Menschen. Mit der Methode schuf man quasi den ersten rudimentären Impfstoff. Bereits im 10. Jahrhundert schabten die Chinesen Schorf von trockenen Pockenpusteln, zermahlten die Kruste zu einem Pulver und bliesen es Gesunden in die Nasenlöcher, bei Jungen ins rechte, bei Mädchen ins linke. Die Variolation war lange Zeit die vorherrschende Impfmethode.

 Edward Jenners erste Pockenimpfung 1796.

Edward Jenners erste Pockenimpfung 1796.

Foto: picture-alliance / akg-images/akg-images

Erst als der englische Arzt Edward Jenner 1796 die Schutzimpfung mit für den Menschen harmlosen Kuhpockenviren entdeckte, war der Untergang der Pocken besiegelt. Nach Jenners Erfindung der Vakzination (von lateinisch „vacca“, Kuh) starteten überall auf der Welt Impfkampagnen. Napoleon ließ die Hälfte seines Heeres impfen. Selbst die Japaner verwendeten Jenners Kuhpockenviren. Von den 1960er Jahren an kamen die Pocken im Westen nahezu nicht mehr vor.

Doch global gab es immer noch jährlich Millionen Fälle. Die Weltgesundheitsorganisation ließ mit 200.000 Helfern aktiv nach Erkrankten suchen. Sie wurden isoliert und deren Bekannten und Verwandten geimpft. 1980 erklärte die WHO die Pocken für besiegt.

Die letzten Pockenviren lagern offiziell nur noch in Laboren der US-Seuchenbehörde CDC und ihres russischen Pendants. Eigentlich sollten die Erreger zerstört werden, doch die USA und Russland weigern sich. Die Gründe liegen irgendwo zwischen übertriebenem Nationalstolz, der Furcht vor Bio-Terrorismus und dem Wissensdurst der Forscher.

Endspurt

Was bei den Pocken gelungen war, war ein einzigartiges medizinisches Meisterwerk. Doch es könnten bald weitere Erfolge verkündet werden. Auf der Liste der bedrohten Viren stehen das Poliovirus, das Kinderlähmung hervorruft, und das Masernvirus. Beide Viren gelten nicht als besonders mutationsfreudig, gegen beide gibt es einen Impfstoff. Und trotzdem sind beide noch da. „Eine Infektionskrankheit verliert ihren Schrecken, sobald es einen Impfstoff gibt“, sagt Malte Thießen. Besiegt ist die Krankheit dann meist noch nicht.

 Ein philippinisches Kind, das an Masern leidet.

Ein philippinisches Kind, das an Masern leidet.

Foto: dpa/Alejandro Ernesto

Kinderlähmung tritt in Deutschland nicht mehr auf, aber in einigen wenigen Regionen der Welt schon. Die Weltgesundheitsorganisation WHO startete 1988 erneut eine weltweite Initiative gegen das Poliovirus. Bis zum Jahr 2000 sollte der Erreger ausgemerzt sein. Das Ziel ist nicht erreicht worden. „Politische und religiöse Spannungen sorgten immer wieder für eine Verschiebung des Zeitfensters“, sagt Thießen.

Gleiches gilt für die Masern. Auch hier legte die WHO eine großangelegte Initiative auf, konnte bisher aber nicht die Ausrottung des Virus verkünden. In Deutschland hat sich die Bundesregierung deshalb jüngst zu einem Masernschutzgesetz durchgerungen: Seit diesem März müssen alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr beim Eintritt in die Schule oder den Kindergarten eine Masern-Impfung vorweisen.

Derzeit gibt es gegen das Coronavirus noch keinen Impfstoff. Doch das Mainzer Biotechunternehmen Biontech steht mit seinem potenziellen Impfstoff offenbar vor dem Durchbruch. Es wäre das erste Vakzin gegen ein Coronavirus. Ob der Erreger dadurch ausgerottet werden kann, ist unklar.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort