Infos für Eltern Sollte man Kinder zum Schutz vor Long Covid impfen lassen?

Düsseldorf · Die akute Corona-Infektion ist ausgestanden - doch manche Patienten haben auch danach noch mit Beschwerden zu kämpfen. Auch bei sehr jungen Menschen können Langzeitfolgen auftreten. Was weiß man über Long Covid bei Kindern - und ist das ein Grund für eine Impfung?

Viele Eltern sind unsicher, ob sie ihr Kind impfen lassen sollten.

Viele Eltern sind unsicher, ob sie ihr Kind impfen lassen sollten.

Foto: picture alliance / Laci Perenyi/Laci Perenyi

Durch die Ausbreitung der Delta-Variante und das bevorstehende Ferienende wird für viele Eltern eine Frage immer drängender: Soll ich mein Kind impfen lassen oder nicht?

In den Überlegungen spielt auch die Frage nach einer Impfung von Kindern zum Schutz vor Long Covid eine Rolle. Aus Sicht einiger Experten findet dieses Thema bislang zu wenig Beachtung.

Die Meinungen dazu sind geteilt. Das Kernproblem: Zwar gibt es erste Untersuchungen dazu, wie häufig und wie schwer Long-Covid-Verläufe bei Kindern sind, doch ist die Datenlage dünn. Für einige Experten ist es zu früh für eine klare Aussage zur Inzidenz von Long Covid bei Kindern. Zu früh also, um deshalb die Impfung zu empfehlen. Doch es gibt auch Mediziner und Wissenschaftler, die jetzt Handlungsbedarf sehen.

„Wir wissen, dass nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder leider in erheblichem Maß von Langzeitfolgen nach einer Covid-19-Infektion betroffen sein können. Und das nicht nur nach schweren Verläufen, sondern auch nach milden oder sogar symptomlosen Erkrankungen, wie es gerade bei Kindern oft der Fall ist“, sagt Daniel Vilser, Kinderherzspezialist und Oberarzt in der Jenaer Spezialambulanz für Long-Covid-Fälle bei Kindern und Jugendlichen am Uniklinikum Jena.

Aus diesem Grund halten es manche Fachleute für nötig, die Zehn- bis 20-Jährigen auf breiter Basis durchzuimpfen. Sie würden die Infektion durchlaufen und dann „mit langfristigen Schäden zu kämpfen haben“, sagt Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung im Deutschlandfunk.

Dieser Auffassung ist auch Frauke Mattner, Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie und Infektionsforscherin an der Universität Witten/Herdecke. Ihrer Meinung nach stehe zu häufig nur die Angst vor schweren Verläufen im Vordergrund. „Dabei ist Long-Covid das echte Risiko für die Bevölkerung“, betont sie. Nach ersten Studien sehe man, dass rund zehn Prozent der Corona-Erkrankten durch Long Covid zu chronisch Kranken würden. Diese Auswirkungen seien desaströs. Erst recht, wenn sie Kinder betreffen.

„Kinder entwickeln Long-Covid häufiger, je älter sie sind“, sagt Mattner. Müssten sie im Krankenhaus behandelt werden, leide fast die Hälfte unter lang anhaltenden Symptomen, so die Infektionsforscherin. Wie viele Minderjährige jedoch konkret von Long Covid betroffen sind, lässt sich nicht genau sagen.

In einer Umfrage, die britische Forscher machten, zeigten zehn bis 15 Prozent der Kinder fünf Wochen nach der akuten Infektion noch mindestens ein Symptom. Eine italienische Untersuchung legt auf Basis von Daten von 510 Kindern dar, dass nur zehn Prozent der Kinder sieben Monate nach ihrer Corona-Erkrankung wieder so fit waren wie davor. Eine jüngst vorgestellte kanadische Studie beziffert die Zahl infizierter Kinder mit Long Covid auf sechs Prozent.

Die Aussagekraft solcher Studien ist jedoch begrenzt. Ein Beispiel: In einer schwedischen Fallstudie berichteten fünf Kinder sechs bis acht Monate nach Durchlaufen einer Corona-Infektion noch über Müdigkeit. Welche Aussagekraft aber haben Untersuchungen an fünf Kindern? Genau um dieses Problem geht es Experten wie Burkhard Rodeck, Chefarzt am Christlichen Kinderhospital Osnabrück und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). Was nach Auffassung seiner Fachgesellschaft und auch der Deutschen Gesellschaft Pädiatrische Infektiologie (DGPI) fehlt, sind kontrollierte Studien.

Für solche wäre es notwendig, nicht nur Kinder zu untersuchen, von denen man weiß, dass sie eine Corona-Infektion durchgemacht haben. Man brauche eine Kontrollgruppe, von der man zum Zeitpunkt des Vergleichs noch nicht wisse, ob sie eine Infektion durchgemacht hat oder nicht, sagt Rodeck. Daneben müssten auch die Symptome nach festen Standards erfasst werden und nicht nach lockeren Fallberichten. Diese methodischen Kriterien erfülle jedoch kaum eine Studie.

Auch ohne genaue Datenlage sind Experten wie Vilser davon überzeugt, dass die Folgen von Long Covid bei Kindern unterschätzt werden. Wenn man dabei bleibe, Kinder nicht zu impfen, werde die Zahl derer mit Langzeitfolgen nicht geringer. Täglich sieht der Kinderkardiologe in seiner Long-Covid-Ambulanz für Kinder im großen Stil Folgeverläufe, die die Statistik noch nicht richtig erfassen kann.

Was ebenso in diese Kategorie fällt: „Wir wissen auch noch nichts darüber, was das Virus auf lange Zeit hervorrufen kann. Was passiert bei Menschen – also auch bei Kindern – die Covid durchgemacht haben?“, fragt Kinder- und Jugendarzt Ralph Köllges aus Mönchengladbach, der auch im Impfzentrum arbeitet. Möglicherweise zeige sich in zehn Jahren, dass sie vermehrt mit Spätfolgen wie Herzinfarkten oder Schlaganfällen zu rechnen haben. Es sei eine gute Tradition, Infektionen und damit auch Spätfolgen durch Impfungen zu verhindern, sagt Köllges.

In seltenen Fällen (0,1 Prozent der Kinder mit Covid) entwickeln Kinder mit einigen Wochen Verzögerung nach einer Corona-Infektion beispielsweise ein schweres Entzündungssyndrom, kurz PIMS (Paediatric Inflammatory Multisystem Syndrome) genannt. Dessen Charakteristikum – die überschießende Immunreaktion - ist lebensgefährlich. Es kommt zu Symptomen wie Bauchschmerzen, Durchfall, Fieber - bis hin zu schweren Herz-Kreislaufproblemen, Hautausschlag oder neurologischen Ausfällen. Bisher gibt es in Deutschland keinen bekannten Todesfall, da alle Kinder erfolgreich behandelt werden konnten.

Daneben gibt es Kinder, die noch bis zu drei Monate nach der akuten Infektion über Symptomen wie extreme Abgeschlagenheit (Fatigue), Atemnot, Herzklopfen, Kreislaufprobleme, Schlafstörungen, schlechte Konzentrationsfähigkeit oder Kopfschmerzen klagen. Das Problem: Auch Kinder ohne Infektion zeigen in vergleichbarer Häufigkeit solche Symptome, wie eine kontrollierte Studie von Schweizer Wissenschaftlern belegt.

Dies deckt ein weiteres Kernproblem auf: Die Symptome des Long-Covid-Syndroms sind diffus und treten auch bei vielen anderen Krankheiten auf. Entsprechend schwierig sind sie zu diagnostizieren, sagt Rodeck. Schildern Kinder oder Jugendliche bleierne Müdigkeit, kann diese tatsächlich seine Ursache in einem Long-Covid-Verlauf haben. Ursächlich dafür könnten aber ebenso psychosomatische Probleme oder psychische Belastungen durch den Lockdown sein. „Wir kennen Symptome, die denen eines Long-Covid-Syndroms ähneln auch von anderen Viruserkrankungen, zum Beispiel einer EBV-Infektion“, sagt der Osnabrücker Kindermediziner. Mit EBV ist das Epstein-Barr-Virus gemeint, das häufig harmlos verläuft, aber auch schwerwiegende Folgen haben kann. Auch das RKI weist darauf hin, dass die „Symptomatik und das Auftreten von Long Covid bei Kindern noch nicht eindeutig geklärt“ sei.  

Die Suche nach der wahren Ursache gestalte sich auch deshalb schwierig, weil sich durch Blutuntersuchungen nicht sicher sagen lasse, ob ein Kind eine Corona-Infektion durchlaufen habe oder nicht. Zwar lässt sich eine akute Infektion über einen PCR-Test nachweisen, zurückliegende Infektionen bestimmt man hingegen über Antikörper im Blut. „Diese können mit der Zeit allerdings wieder verschwinden“, sagt Rodeck.

Solange es keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz gebe, sind nach Auffassung verschiedener Fachgesellschaften wie der DGKJ und der DGPI keine endgültigen Aussagen über das tatsächliche Risiko einer Long-Covid-Erkrankung bei Kindern möglich. „Befürchtungen und Spekulationen sollten keine Leitschnur für wissenschaftlich basierte Handlungsempfehlungen sein“, sagt Rodeck. Auch die DGKJ befürworte Maßnahmen zur Verhinderung der Pandemieausbreitung und zur Verhinderung von Infektionen bei Kindern und Jugendlichen. Dies müsse jedoch in sorgfältiger Abwägung erfolgen.

Köllges verweist hingegen auf Daten aus den USA. Im Gegensatz zur Stiko sei die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC zu der Empfehlung gekommen, Kinder ab zwölf Jahren zu impfen. So könne man auch die junge Altersgruppe vor schweren Verläufen, Langzeitschäden wie beispielsweise dem Post-Covid-Syndrom oder dem Tod bewahren. Seiner Überzeugung nach gebe es genug Daten auf Basis, derer man handeln könne. Man verspiele jetzt unendlich viel Zeit.

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