Bestatter an Belastungsgrenze „Wir bekommen keinerlei Unterstützung durch das Land“

Interview · Der Vorsitzende des Bestatterverbands NRW spricht über die Branche in der Corona-Krise und seine Forderungen an die Landespolitik. Der organisatorische Aufwand für die Bestattungen sei deutlich gestiegen, sagt Frank Wesemann.

 Ein Mitarbeiter eines Krematoriums bereitet einen Sarg für die Einäscherung in einem Ofen des Krematoriums vor.

Ein Mitarbeiter eines Krematoriums bereitet einen Sarg für die Einäscherung in einem Ofen des Krematoriums vor.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Herr Wesemann, zu Beginn der Pandemie haben uns Bilder aus Bergamo aufgeschreckt. Mit Militärlastwagen mussten Särge weggeschafft werden. In den USA wurden Verstorbene notdürftig in Kühlhäusern gelagert. Sind solche Verhältnisse auch bei uns vorstellbar?

Wesemann So eine Entwicklung sehe ich derzeit in Nordrhein-Westfalen nicht. Aber wir haben alle die Bilder aus Sachsen gesehen. Von solch einer Situation sind wir momentan weit entfernt. Aber wenn bei uns in großem Ausmaß Bestatter ausfallen würden, könnte uns das natürlich auch drohen. Wir arbeiten an der Belastungsgrenze.

Sie haben Sachsen angesprochen. Es kursieren Fotos aus Meißen von unordentlich übereinander gestapelten Särgen im Krematorium? Es heißt, im Hotspot Meißen seien die Krematorien überfordert?

Wesemann Die Bilder, die man da sieht, können einem schon Sorgen machen. Vielleicht sind das auch die Folgen davon, dass Meißen sich seit Jahren als eines der billigsten Krematorien positioniert. Die Probleme sind teilweise hausgemacht, darauf weisen wir seit Jahren hin. Wir haben Sachsen als Verband unsere Hilfe angeboten, aber dort sagte man uns, man sehe kein Problem und habe die Lage im Griff. Die Stadt Meißen beschwichtigt da nur.

 Frank Wesemann, Vorsitzender des Bestatterverbands NRW.   Foto: Privat

Frank Wesemann, Vorsitzender des Bestatterverbands NRW. Foto: Privat

Foto: Privat

Kann man als Bestatter seine Aufgaben überhaupt noch mit der notwendigen Sorgfalt und Pietät wahrnehmen?

Wesemann Das wird zunehmend schwieriger. Im Winter gibt es ohnehin mehr Sterbefälle, jetzt kommen die Corona-Opfer noch dazu. ich kann Ihnen heute nicht sagen, welche Regeln für Bestattungen nächste Woche gelten. Wir werden teilweise von heute auf morgen mit neuen Bestimmungen konfrontiert …

… das hört sich nach Kritik an der Politik an.

Wesemann Wenn die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten sich dienstags treffen und sich auf neue Regeln einigen, die neue Cororna-Schutzverordnung des Landes aber erst am Freitag kommt und dann ab Montag gilt, ist das nicht nachzuvollziehen. Das könnte anders gehen.

Wie sehr hat sich Ihre Arbeit durch Corona verändert? Gibt es besondere Schutzmaßnahmen und Schutzkleidung für Bestatter?

Wesemann Unsere Arbeit ist deutlich schwieriger geworden. Wir müssen viele Vorsichtsmaßnahmen einhalten, um uns und andere zu schützen. Wir brauchen jede Menge Schutzausrüstung. Das fängt bei doppelten Handschuhen an. Außerdem tragen wir Überzieher über die Schuhe, dazu Schutzanzüge, die abwaschbar sein und abklebbare Reißverschlüsse haben müssen. Und mindestens FFP2-Masken natürlich. Wir teilen Mitarbeiter auf verschiedene Schichten und Büros auf, damit nicht alles stillstehen muss, wenn ein Mitarbeiter ausfällt.

Das kostet wie viel Geld?

Wesemann Pro Mitarbeiter können Sie allein für die Schutzausrüstung einer Beerdigung 40 bis 50 Euro zusätzlich kalkulieren.

Wie hilft Ihnen das Land NRW?

Wesemann Wir bekommen keinerlei Unterstützung durch das Land. Seit zehn Monaten kämpfen wir darum, dass unsere Branche als systemrelevant anerkannt wird, aber es ist nichts passiert. Die Landesregierung hat da völlig versagt. Wir haben das NRW-Gesundheitsministerium im ersten Lockdown angeschrieben, aber erst nach drei Wochen eine Antwort bekommen, und da hieß es kurz, man könne uns eine ausreichende Versorgung mit Schutzausrüstung nicht garantieren.

Halten Sie eine schnelle Corona-Impfung der Bestatter für erforderlich?

Wesemann Es ist selbstverständlich, dass alte Menschen und das medizinische Fachpersonal als erste geimpft werden. Aber danach sollten auch baldmöglichst unsere Mitarbeiter dran sein. Es macht schon einen Unterschied, ob ich am Ende der ersten Gruppe oder erst mit allen anderen im Sommer oder Herbst geimpft werde. Wir fordern, dass wir bei der Priorisierung berücksichtigt werden. Die Gefährdung ist erheblich. Wir können im Einzelfall nicht einmal sicher abschätzen, ob ein Verstorbener an Covid 19 erkrankt war. Das Ansteckungsrisiko aber besteht auch nach dem Tod.

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein? Erwarten Sie einen Höchstwert an Beerdigungen?

Wesemann Die Zahl der Toten wird weiter steigen. Die Erfahrung lehrt, dass die Zahl der Sterbefälle etwa sechs Wochen nach dem Anstieg der Infektionszahlen auch deutlich gestiegen sind. Aber was die reinen Zahlen angeht, muss man das auch mal in Relation zu anderen Jahren setzen. Während der Grippewelle 2017/2018 hatten wir 25.000 zusätzliche Todesopfer innerhalb von drei Monaten.

Haben sich in der Pandemie Ablauf und Kultur der Bestattungen verändert?

Wesemann Ja. Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 gab es ja nicht mal mehr Trauerfeiern in geschlossenen Räumen und auch nur fünf bis zehn Teilnehmer bei einer Beerdigung. Das hat sich im Sommer zunächst normalisert, aber im Winter ist es wieder schwieriger geworden. Wie viele Menschen dabei sein dürfen, hängt auch von der Größe der Kapelle ab. Und eine Alltagsmaske ist Pflicht. Das gilt auch auf dem Friedhof, wenn es mehr als 25 Teilnehmer gibt. Generell ist deren Zahl aber eher klein, weil viele das Infektionsrisiko scheuen, aber auch, weil Trauergäste, die von weit entfernt anreisen müssten, keine Übernachtungsmöglichkeiten haben.

Ist Abschiednehmen im behördlich verordneten kleinen Kreis ein organisatorisches Problem für Bestatter oder eher ein emotionales für die Angehörigen?

Wesemann Das emotionale Problem für die Angehörigen ist weitaus größer, weil womöglich nahestehende Verwandte, Freunde und Weggefährten nicht kommen können, die Angehörige in dieser Ausnahmesituation dringend als Stütze und zum Trost brauchen. Es fehlt vielen Trauernden die Möglichkeit, in den Arm genommen zu werden oder einfach nur zu sprechen.

Wird der Bestatter dadurch auch immer mehr zum Seelsorger?

Wesemann Das ist so. Neben der wachsenden körperlichen Belastung, sind wir auch seelisch stark gefordert. Die Kirchen sind ja nicht mehr so nah bei den Menschen wie früher. Gleichzeitig fehlt uns dafür aber oft auch die Zeit, weil für uns in der Pandemie der organisatorische Aufwand auch deutlich größer geworden ist. Wir müssen Anwesenheitslisten am Friedhof führen, Protokolle erstellen, die Menschen über die Regeln bei den Trauerfeiern aufklären. Das bedeutet 20 bis 30 Prozent mehr Aufwand für uns.

Werden Beerdigungen dadurch teurer?

Wesemann Wenn man wegen des zusätzlichen Aufwands, auch durch die Schutzausrüstung, deutliche Mehrkosten hat, muss man das natürlich auch teilweise an die Kunden weitergeben. Das passiert aber nirgendwo in großem Stil.

Hat die Pandemie den Trend zur Feuerbestattung verstärkt?

Wesemann Ja, auf jeden Fall. Den Trend gibt es ohnehin schon seit einigen Jahren. Darauf sind schon vor der Corona-Krise 60 bis 70 Prozent aller Bestattungen entfallen. Durch die Pandemie ist der Anteil auf 80 bis 85 Prozent gewachsen. Vor 30 Jahren lag er noch bei fünf Prozent.

Häufig ist die Rede vom Krematoriumstourismus in die Niederlande die Rede - weil es da billiger ist?

Wesemann Die Krematorien in den Niederlanden gelten als preiswerter, aber bei uns in der Region ist das beispielsweise nicht so. Dass so viele ins Nachbarland gehen, hat einen anderen Grund. In den Niederlanden gibt es keine Friedhofspflicht, das heißt: Nach der Bestattung kann man mit der Asche machen, was man will.

Woher kommt bei uns der Trend zur Urnenbestattung?

Wesemann Wir sind alle mobiler und flexibler geworden. Das heißt: Oft sind keine Angehörigen vor Ort, die sich nach einer Erdbestattung um das Grab kümmern können. Und die professionelle Pflege eines solchen Grabes ist manchen zu teuer. Es gibt aber auch andere Formen der Bestattung, die weniger Fläche brauchen und so kleinere und damit preiswertere Gräber möglich machen und keine individuelle Pflege benötigen.

Wie groß ist der Preisunterschied?

Wesemann Im Schnitt ist eine Feuerbestattung 500 Euro günstiger als eine Erdbestattung. Der Unterschied hängt aber vom Einzelfall ab. Und er macht sich auch weniger bei den Kosten für den Bestatter bemerkbar, sondern vor allem bei den Friedhofskosten.

Von welcher Größenordnung reden wir da?

Wesemann Bei einem Einzelgrab liegen wir da bei Kosten für eine Beerdigung von 4000 bis 5000 Euro für Friedhof und Bestatter. Da kommen dann aber noch beispielsweise Grabstein und Grabpflege dazu. Und in normalen Zeiten natürlich der sogenannte Leichenschmaus, den es derzeit ja nicht geben kann. Wenn man alles zusammenrechnet, können so insgesamt auch mehr als 10.000 Euro an Kosten zusammenkommen. Wer eine erste Übersicht über die regionalen Preise haben möchte, kann sich kostenlos über www.bestatter.de informieren. 

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