Tarifverhandlungen noch vor Landtagswahl Krankenhaus-Mitarbeiter setzten NRW ein Ultimatum

Düsseldorf · Rund 700 Beschäftigte der Unikliniken in NRW stellen der Landesregierung und dem Arbeitgeberverband ein Ultimatum: Noch vor den Landtagswahlen müsse es Tarifverhandlungen geben. Die Rede ist von einem regelrechten „Notruf“. Was die Mitarbeitenden genau fordern.

 Symbolbild: Die Forderungen beziehen sich nicht nur auf die Pflegekräfte, sondern auf alle Beschäftigten im Krankenhaus.

Symbolbild: Die Forderungen beziehen sich nicht nur auf die Pflegekräfte, sondern auf alle Beschäftigten im Krankenhaus.

Foto: dpa/Robert Michael

Alexa Schumann sagt, in ihrem ersten Ausbildungsjahr in der Uniklinik Düsseldorf sei sie auf die kardiologische Station gekommen und sofort für zwölf Patienten gleichzeitig zuständig gewesen. Genau sechs Monate habe sie zu diesem Zeitpunkt in der Klinik verbracht, erst zwei Schulblöcke hinter sich gebracht. „Man kann sich vorstellen, wie viel Wissen zu diesem Zeitpunkt in mir war“, sagt Schumann. Wenn die 24-Jährge von ihrer Ausbildung in der Pflege spricht, dann spricht sie von „Ausbeutung“, von einer Verantwortung, die aus ihrer Sicht nicht von Azubis getragen werden könne. Dass sich ihr Kurs innerhalb eines Jahres um die Hälfte reduziert habe, wundere sie deshalb überhaupt nicht. „Da hat das ganze Klatschen auch nicht mehr gereicht“, sagt Schumann. Sie fordert darum: Bedingungen, unter denen Azubis wie sie auch als qualifizierte Arbeitskräfte erhalten werden können. Eine Perspektive. Und vor allem: Entlastung.

Die 24-Jährige ist eine von rund 700 Beschäftigten aus den sechs Unikliniken in NRW (Aachen, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln und Münster), die am 19. Januar gemeinsam ein Ultimatum beschlossen haben. Sie fordern die NRW-Landesregierung und den Arbeitgeberverband des Landes (AdL) auf, sofort Maßnahmen gegen den Personalnotstand in den Kliniken einzuleiten. Das Ultimatum sieht eine Frist von hundert Tagen vor und endet am 1. Mai – also noch vor der Landtagswahl. Der Termin ist absichtlich gewählt. Die Beschäftigten erwarten bis dahin den Abschluss eines Tarifvertrags zur Entlastung, der „Mindestpersonalausstattungen für alle Bereiche der Unikliniken festlegt und angemessene Belastungsausgleiche vorsehen soll.“ So steht es in einer Mitteilung von Verdi, welche die Gewerkschaft unter dem Stichwort „Notruf NRW“ am Donnerstag veröffentlicht hat.

Die Forderungen der Beschäftigten sollen dabei explizit nicht nur für die Pflegekräfte gelten, sondern für alle Beschäftigten im Krankenhaus. „Genügend Personal muss nicht nur in der Pflege vorhanden sein, sondern in allen Berufsgruppen“, sagte Katharina Wesenick,  Leiterin des Fachbereichs Gesundheit bei Verdi NRW. Die Arbeit im Krankenhaus sei Teamarbeit. Gebe es zum etwa zu wenige Reinigungskräfte, könne auch das Auswirkungen auf die Überlebenschancen der Patienten habe, wenn dadurch zum Beispiel die Klinik-Hygiene leide. Auch andere Mitarbeitendende – wie Krankentransporter, Servicekräfte oder Handwerker – seien essentiell für die Versorgung im Krankenhaus.

Den rund 700 Beschäftigten geht es bei ihren Forderungen nicht um mehr Gehalt. Es geht ihnen vor allem um einen Ausgleich für ihre Belastungen in Form eines Freizeitausgleichs, sollte der in den Kliniken festgelegte Personalschlüssel an mehreren Tagen nicht eingehalten werden können. Die Unikliniken seien laut Verdi-Mitteilung „das Rückgrat der Versorgung in NRW“– sowohl die Landesregierung als auch Arbeitgeberseite hätten durch die im Ultimatum geforderten Tarifverhandlungen nun die Möglichkeit, ein „Vorbild für alle Kliniken“ zu schaffen. Neben der Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist auch die Qualität der Ausbildung ein Teil des Ultimatums. „Wir wollen, dass die Auszubildenden tatsächlich lernen können  und nicht als Personal-Lückenbüßer herhalten müssen“, sagte Wesenick. Bundesweit verlasse aktuell rund jeder vierter Auszubildende das Gesundheitswesen noch vor seinem Abschluss.

Die Beschäftigten seien laut Verdi entschlossen, ihre Forderungen „mit allen betrieblichen, gewerkschaftlichen und politischen Aktionsformen durchzusetzen“. Die Landespolitik müsse die konkrete Finanzierung der Kliniken sicherstellen und den Arbeitgeberverband des Landes zu Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft auffordern. Bessere Bedingungen seien möglich: In 16 Kliniken bundesweit gebe es schon entsprechende Verträge zur Entlastung der Beschäftigten. Der letzte wurde erst im vergangenen Jahr nach Streiks an der Berliner Uniklinik Charité und den dortigen Vivantes Kliniken vereinbart.

„Es gibt keinen Personalmangel und auch keinen Fachkräftemangel, sondern eine Berufsflucht, die politisch erzeugt wurde“, sagte Wesenick. Laut einer Studie der Hartmann Gruppe könnte sich rund die Hälfte der Pflegekräfte, die aus dem Beruf ausgestiegen sind, einen Wiedereinstieg vorstellen. Die Zahl der potenziellen Rückkehrer liege damit geschätzt bei 120.000 bis 200.000 Personen – vorausgesetzt, die Arbeitsbedingungen verändern sich. Das Gesundheitswesen in NRW sei jedoch bereits vor der Pandemie chronisch unterfinanziert gewesen. Den Preis dafür zahlten neben den Beschäftigten auch die Patienten.

Welche Auswirkungen die aktuelle Situation an den Kliniken auf die Mitarbeitenden dort haben kann, das zeigt sich, sobald man ihnen zuhört. Wie Alexa Schumann sind viele schon längst am Ende ihrer Kräfte angelangt. „Nach einem Arbeitstag bin ich oft so erschöpft, dass ich Verabredungen mit Freunden wieder absagen muss“, sagt Yvonne Düber, Pflegekraft auf der Schlaganfallstation der Uniklinik Bonn. Den Job, für den sie sich einst entschieden habe, könne sie schon lange nicht mehr so ausüben, wie sie sich es wünschen würde. „Ich bin ausgebrannt.“

Auch Lisa Schlagheck, Pflegekraft in der Chirurgischen Notaufnahme der Uniklinik Münster, berichtet von unterbesetzten Schichten und der Gewissheit, den Belastungen in der Klinik unter den aktuellen Umständen nicht länger standhalten zu können. „Die Arbeit laugt mich aus“, sagt sie. Die Streiks der Kollegen in Berlin im vergangenen Jahr hätten ihr jedoch Hoffnung gemacht, dass sich auch für sie etwas verändern könne.

Sollte die Frist des Ultimatums nicht eingehalten werden, seien laut Schlagheck auch die 700 Krankenhaus-Beschäftigten zu Streiks bereit. Ziel sollte es jedoch sein, noch vor dem Ablauf zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. „Wir haben in den vergangenen zwei Jahren außerordentliches geleistet für die Gesundheitsversorgung. Jetzt erwarten wir auch von der Politik eine außerordentliche Kraftanstrengung, um die Arbeitsbedingungen in den Unikliniken zu verbessern.“

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