Coronavirus Die meisten Masken-Atteste sind ein Skandal

Analyse | Düsseldorf · Wer sich von der Maskenpflicht befreien lassen will, braucht einen per ärztlicher Untersuchung nachgewiesenen Grund. Doch nicht alle Atteste sind berechtigt. Täuschungen fallen unter das Strafgesetzbuch.

 Dünne OP-Masken wie diese erschweren die Atmung kaum.

Dünne OP-Masken wie diese erschweren die Atmung kaum.

Foto: dpa/Jens Kalaene

Jedes Ding hat bekanntlich zwei Seiten, das gilt auch für den Mund-Nasen-Schutz. In unseren Corona-Zeiten ist er ein nachgewiesen effektives Mittel, um vor allem andere Menschen, bei richtigem Gebrauch und guter Qualität auch sich selbst besser vor Viren zu schützen, als wenn man keine Maske trüge. Andererseits sagen manche Leute: Mit der Maske bekomme ich weniger Luft. Ich fühle mich schlapp. Sie bereitet mir Beklemmungen. Ihre Schlussfolgerung: Ich besorge mir ein Attest.

Bei strenger Indikationsstellung stehen allerdings hohe Hürden vor einem solchen Attest. Was nämlich passiert hinter der Maske, wenn jemand atmet? Ein wirklich relevanter sogenannter Kohlendioxid-Tot­raum zwischen Mund und Maske ist nur schwer denkbar. „Selbst bei einer engen Maske findet immer ein Austausch mit der Außenluft statt“, sagt Winfried Randerath, Professor für Lungenheilkunde und Chefarzt am Krankenhaus Bethanien in Solingen. Allerdings kann sich der Atemwiderstand erhöhen, sagt Manuel Streuter, Chefarzt am Helios-Klinikum in Krefeld: „Vor allem schwerer erkrankte COPD-Patienten leiden oft unter dieser Erhöhung des Atemwiderstands, die Atemarbeit ist forciert, das Zwerchfell muss mehr ziehen, was aber für solche Patienten schwer ist, weil die Kraft ihrer Atemmuskulatur oft abgeflacht ist.“ Und je enger und dichter eine solche Maske ist, desto schwerer kann die Atmung fallen.

Der Bundesverband der Pneumologen stellt jedenfalls fest: „Die hohe Dichtigkeit und Filterfunktion von FFP2- und FFP3-Masken kann dazu führen, dass das Atmen deutlich schwerer fällt und auch der Gasaustausch behindert wird.“ Dagegen sieht der Verband den professionellen OP-Mundschutz oder Stoffmasken aus der Eigenproduktion als weitgehend unproblematisch an. Auch für die meisten Asthma- oder chronisch Lungenkranken sei die Atmung mit diesen Masken kaum erschwert, da sie ohnehin nicht dicht abschließen. Sie schützen einen selbst zwar nicht so gut wie FFP2-Masken, doch auch hier gilt: besser eine dünne Maske als gar keine.

Nun gibt es Ärzte, die weniger aus medizinischen, sondern aus ideologischen Gründen eine Maskenpflicht ablehnen und mit der Ausstellung eines Attestes spendabel sind. Bei ihnen stellt sich die Frage nach berufs- und strafrechtlichen Konsequenzen, wenn sie Gefälligkeits-Atteste zur Vermeidung eines Mund-Nasen-Schutzes ausstellen. Wie die ARD recherchiert hat, sollen einige Ärzte, die als Unterstützer der Initiative „Ärzte für Aufklärung“ auftreten, auf Wunsch Atteste ausstellen. „Ärzte für Aufklärung“ sind organisierte Kritiker der öffentlichen Corona-Schutzmaßnahmen, insbesondere der Maskenpflicht.

Sie berufen sich bei ihrem Tun auf Paragraf 2 der Coronaschutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen. Laut dieser Verordnung sind Personen von der Maskenpflicht befreit, „die aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen können“. Vergleichbare Formulierungen finden sich auch in den Corona-Verordnungen anderer Bundesländer.

Aber was wären denn überhaupt medizinische Gründe? Asthma, sagen Lungenärzte, ist sicher kein Grund, eine Maske nicht zu tragen. Und bei der COPD (einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung) handelt es sich um Menschen, deren Lungenfunktion je nach Schweregrad der Erkrankung so eingeschränkt ist, dass sie allein zu ihrem eigenen Schutz eine (etwas dünnere) Maske tragen oder daheim in Quarantäne bleiben sollten. Bei COPD-Patienten, die nebenbefundlich eine Hyperkapnie entwickelt hat, ist das unstrittig. Unter Hyperkapnie versteht man einen erhöhten Gehalt an Kohlendioxid (CO2) im Blut. Dieses Abfallprodukt des Zellstoffwechsels wird normalerweise über die Lunge abgeatmet. Meist liegt es an mangelnder Belüftung der Lunge (Hypoventilation), wenn sich das Gas im Blut anreichert. Das kann etwa bei COPD passieren.

Wenn nun ein Hausarzt ein pneumologisch grundiertes Attest ausstellt, bewegt er sich auf medizinisch sehr dünnem Eis. Diese Blutwerte lassen sich nämlich nur durch eine Blutgasanalyse (BGA) nachweisen; das Equipment dazu dürfte aber kaum ein Hausarzt besitzen. Lungenarzt Streuter beschreibt, was da bei ordnungsgemäßer Untersuchung passieren muss: „Man misst die Blutgase einmal mit Maske, einmal ohne Maske – und dann sieht man, ob und inwieweit sich ein Patient verschlechtert.“ Andersherum und zugespitzt formuliert heißt das: Ohne eine solche Messung und deren Dokumentation in der Krankenakte ist das Attest das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt ist.

Es ist Aufgabe des Arztes, den Patienten ausführlich zu untersuchen und etwa die Unterscheidung zu treffen, ob es sich um subjektive oder objektive Luftnot handelt. Findet die Untersuchung nicht statt, besitzt die Angelegenheit eine weitere Dimension. Gut möglich, dass manche Ärzte in den Attesten, die in der Regel keine Kassenleistung sind, eine Möglichkeit zur Geldmacherei sehen. Wie die ARD in einer verdeckten Recherche von „Report Mainz“ herausgefunden hat, haben Reporter – zunächst ohne sich als Journalisten zu erkennen zu geben – auch in mehreren Praxen persönlich vorgesprochen „und erhielten allein aufgrund der vermeintlichen Ablehnung der Maskenpflicht ein Attest zur Befreiung von eben dieser“. Zwei Ärzte hätten „nicht einmal mit den vermeintlichen Patienten“ gesprochen, „geschweige denn untersuchten sie sie“. Ein weiterer Arzt soll per Mail angeboten haben, nach Überweisung von 50 Euro das Attest zuzuschicken. „Die Diagnose solle der Patient ihm selbst vorab schriftlich mitteilen.“

Das freilich berührt das Standes- und das Strafrecht. Gegenüber der „Ärzte-Zeitung“ hat der Berliner Medizinrechtler Martin Stellpflug die Lage eruiert. Neben dem Strafrechtsparagrafen 278 („Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse“) drohen dem Arzt berufsrechtliche Sanktionen. Der Medizinrechtler Daniel Geiger weist darauf hin, dass bereits ein Anfangsverdacht ausreicht, um den Staatsanwalt auf den Plan zu rufen. „Sobald es Hinweise gibt, dass eine Straftat vorliegen könnte, kann das ein Ermittlungsverfahren auslösen.“ Es kann einen Arzt sogar die Approbation kosten. Paragraf 25 der Musterberufsordnung besagt, dass Gesundheitszeugnisse „mit der notwendigen Sorgfalt“ und „nach bestem Wissen“ auszustellen sind. So stellt die Kassenärztliche Vereinigung Bremen klar: „Wenn der Arzt ein Attest ausstellt, muss dies medizinisch begründet sein. Der Arzt muss anhand seiner Dokumentation bescheinigen können, dass bei seinem Patienten eine gesundheitliche Beeinträchtigung vorliegt.“

Wer dagegen etwa im Bus oder im Intercity ein Attest mitführt, das einer medizinischen Grundlage entbehrt, macht sich sogar selbst strafbar (§ 279 StGB, „Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse“); hier drohen ebenfalls Haft- oder Geldstrafe. Wer sich also mit hanebüchenen Gründen von der Maskenpflicht befreien lassen will, sollte diesen Paragrafen 279 kennen. Darüber hinaus gilt ohne Einschränkung: Ein infizierter COPD-Patient ohne Maske kann nicht nur andere anstecken, sein eigener Zustand kann sich verschlechtern, wenn er sich Sars-CoV-2 einfängt.

Die lungenärztlichen Kategorien scheinen als Grundlage also nicht zu verfangen. Die Ärztekammer Nordrhein formuliert zurückhaltend, dass es keine „einfache Kausalität“ zwischen Lungenerkrankungen und Belastung durch eine Maske gebe. Ärzte sollten in jedem Fall darauf achten, eine „unzumutbare psychische Belastung von einer subjektiven Befindlichkeitsstörung“ zu unterscheiden.

Anders ist es allerdings im engen Indikationsraum der Traumabelastungen. Ein Mensch, der einmal gewürgt, vergewaltigt oder dem der Mund zugehalten wurde, kann als Folge eine psychiatrisch relevante Störung entwickeln, die ihm das Tragen einer Maske unmöglich macht. Das bedarf aber ebenso einer wasserdichten Bescheinigung. Auch Menschen, die unter einer nachgewiesenen Taubheit oder Schwerhörigkeit leiden, müssen ebenso wie ihre Begleitung keine Maske tragen.

Maskenverweigerer sollten sich also gut überlegen, ob sie mit einem unseriösen Attest zwei Menschen in Kontakt mit dem Staatsanwalt bringen wollen – abgesehen davon, dass sie nun andere Menschen mit dem Virus infizieren können.

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