Klimaschutz Wie die Corona-Krise die Verkehrswende gefährdet

Analyse | Düsseldorf · Durch die Pandemie sind bei Bus und Bahn die Fahrgastzahlen massiv gesunken, Milliardeneinnahmen sind weggebrochen. Eine Erholung ist nicht in Sicht. Für den Klimaschutz ist das ein bitterer Rückschlag. Ideen sind gefragt.

 Fahrgäste steigen am Berliner U-Bahnhof Amrumer Straße ein- bzw. aus.

Fahrgäste steigen am Berliner U-Bahnhof Amrumer Straße ein- bzw. aus.

Foto: dpa/Christoph Soeder

Ein Virus bremst derzeit die Mobilitätswende aus. Weil öffentliche Verkehrsmittel wie Bus und Bahn von einer Mehrzahl der Bürger als potenziell gefährliche Infektionszonen betrachtet werden, erreichen die Fahrgastzahlen noch nicht das Niveau vor Ausbruch der Corona-Krise. Zeitweilig sind in deutschen Städten gar 70 bis 90 Prozent weniger Personen mit dem ÖPNV unterwegs gewesen, wie eine Studie des McKinsey Center for Future Mobility ergab. Lieber setzen die Menschen auf das Auto, steigen aufs Fahrrad oder gehen zu Fuß. Diese Phase einer veränderten Nachfrage könnte laut einer Untersuchung des Mobility Institute Berlin (MIB) rund 18 Monate dauern. Für die angestrebte Abkehr vom klimaschädlichen Individualverkehr hin zu einer Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs sieht es also vorerst schlecht aus.

Erschwerend hinzu kommt, dass den Verkehrsunternehmen bis zum Jahresende alleine fünf Milliarden Euro an Einnahmen aus Ticketverkäufen wegbrechen, wie der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) errechnete. Die Hälfte davon will der Bund über einen Rettungsschirm zuschießen, den Rest sollen, so der Wunsch des VDV, die Länder übernehmen. Ansonsten sei es wirtschaftlich nicht zu stemmen, trotz geringerer Nachfrage rund 80 Prozent des regulären Angebots aufrechtzuerhalten, erklärte VDV-Präsident Ingo Wortmann. Sollten die Gelder nicht fließen, drohen die Fahrpläne des ÖPNV weiter reduziert zu werden – was möglicherweise weitere Kunden abschrecken könnte, weil sie eine Infektion fürchten, und die Einnahmen weiter sinken lassen würde.

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Unklar ist auch, ob die Nachfrage im ÖPNV überhaupt wieder das Vorkrisen-Niveau erreichen wird. Laut der MIB-Studie spricht einiges dagegen. Eine hohe Arbeitslosigkeit aufgrund wirtschaftlicher Schieflage etwa oder die zunehmende Digitalisierung könnten die Menschen davon abhalten, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. In Deutschland etwa gaben zwei Drittel der Befragten einer Studie an, künftig öfter von zu Hause arbeiten zu wollen. Andererseits würde eine breite Immunisierung der Bevölkerung durch einen Impfstoff verlorenes Vertrauen wettmachen. Ob und wie sich das Mobilitätsverhalten nachhaltig verändern wird, ist also nicht ausgemacht. Verkehrsforscher fürchten aber, dass, je länger die Krise dauert, es immer schwieriger werden wird, alte Verhaltensweisen wieder aufzunehmen – also zum Beispiel statt mit dem eigenen Auto wieder mit dem Bus zu fahren.

Für die Verkehrsunternehmen bedeutet das, einem sich verändernden Kundenverhalten früh gegenzusteuern. Etwa mit umfangreichen Hygienemaßnahmen. Die Taktung von Bussen und Bahnen in Stoßzeiten um ein Vielfaches zu erhöhen, um größere Abstände unter den Fahrgästen zu ermöglichen, ist laut Experten aber nicht so einfach realisierbar. Weil die Kapazitäten es nicht hergeben – weder, was Finanzen, noch was Fahrzeuge oder Personal angeht. Dennoch empfiehlt die MIB-Studie perspektivisch eine Erweiterung des ÖPNV-Angebots. Dies sei im Sinne einer ökologischen Verkehrswende „elementar wichtig“, helfe dabei, auch nach der Lockerung der Corona-Regeln Kunden, zurückzugewinnen, und wirke nicht zuletzt als „städtisches Konjunkturprogramm“. Würde man sich im Gegenzug vorstellen, dass die Hälfte der verlorenen Fahrgäste auf das Privatauto umsteige, würde das zu hoffnungslos überlasteten Innenstädten führen. Dem gelte es entgegenzuwirken.

Darüber hinaus rät die Studie den Verkehrsunternehmen, auf einfache und flexible Preisgestaltung zu setzen sowie auf digitale Angebote, etwa beim Ticketkauf oder der Kundenkommunikation – etwa mit Push-Benachrichtigungen. Dazu könnten sogenannte multimodale Angebote, also eine Kombination mit privaten mobilen Dienstleistern, die Kundenbindung stärken. Bieten sie doch Ausweichmöglichkeiten bei steigenden Infektionszahlen oder bei höherem Nachfragedruck. Auch Erwartungen hinsichtlich flexibler Verkehrsmittelwahl könnten so erfüllt, mithin der ÖPNV attraktiver werden.

Auch alte Finanzierungsmodelle werden in Krisenzeiten neu diskutiert – etwa das solidarische Bürgerticket. Die Idee ist einfach: Alle zahlen, alle dürfen fahren. Wie bei der Krankenversicherung will eine Initiative in Wuppertal auch den ÖPNV auf eine solidarische Basis stellen. Jeder Bürger zahlt in diesem Modell einen monatlichen Beitrag, der sich am Einkommen orientiert (Härtefälle werden entlastet), und erhält dafür ein Ticket, mit dem er Busse und Bahnen kostenfrei nutzen darf.

Ein ähnliches steuerbasiertes Modell hat der Verein Einfach Einsteigen für die Stadt Bremen entwickelt. Die Kommunen bräuchten neue Finanzierungssysteme für den Nahverkehr, argumentieren die Ideengeber. Verkehrsforscher sehen darin jedoch nur einen Sinn, wenn die Städte flankierend Autos aus den Zentren verbannen sowie die Verkehrsunternehmen auch Randbezirke mit einer gewissen Taktung abdecken. Die Betriebe selbst lehnen solche Modelle ab. Sie seien nicht realisierbar, heißt es.

Ob das Auto als Gewinner aus der Krise hervorgeht, ist aber nicht ausgemacht. Bei einer Umfrage dazu, welches Transportmittel künftig häufiger genutzt werde, rangiert das Fahrrad noch vor dem ÖPNV und eigenem Pkw. Denn eins ist klar: Ohne öffentlichen Nahverkehr sind Probleme wie das wachsende Stauaufkommen, verstopfte Innenstädte und zunehmende Luftverschmutzung nicht zu lösen. Es gebe keine Alternative zum ÖPNV als Rückgrat der städtischen Mobilität, resümiert auch die MIB-Studie. Nun müssen Bund und Länder, aber auch die Unternehmen alles dafür tun, dass dieses Rückgrat so stabil bleibt, dass es die Zumutungen und Verwerfungen der Corona-Krise abfedert. Stimmt das Angebot, wird sich auch die Nachfrage regeln.

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