Kinderarzt über Corona-Zeit Vielen Kindern geht es ohne Kita-Stress besser

Bielefeld/Osnabrück · Die coronabedingte Kita-Auszeit hat dem Kinderarzt Rainer Böhm zufolge für viele Kinder und Eltern positive Auswirkungen gehabt. Der Leitende Arzt am Sozialpädiatrischen Zentrum des Evangelischen Klinikums Bethel meint, dass Kinder heutzutage zu viel Zeit in Betreuungseinrichtungen verbringen.

 Kita-Besuche sind laut Kinderarzt Rainer Böhm für Kinder oft mit Stress verbunden (Symbolfoto).

Kita-Besuche sind laut Kinderarzt Rainer Böhm für Kinder oft mit Stress verbunden (Symbolfoto).

Foto: dpa/Jens Büttner

Viele Kinder und ihre Eltern haben nach Einschätzung des Bielefelder Kinderarztes Rainer Böhm entgegen weitläufiger Befürchtungen mit der coronabedingten Betreuung zu Hause gute Erfahrungen gemacht. Zahlreiche Familien hätten den Wegfall von Pflichtterminen sowie den Zuwachs an Ruhe und Selbstbestimmung im Tagesablauf als sehr positiv erlebt, sagte der Leitende Arzt am Sozialpädiatrischen Zentrum des Evangelischen Klinikums Bethel der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Dieses permanente Gefühl des Auf-Kante-genäht-Seins ist eine erhebliche Belastung für Kinder und Eltern. Die neue Freiheit, die plötzlich da war, hat sich vielfach positiv ausgewirkt.“

Böhm sieht sich in Studienergebnissen bestätigt, wonach „die Settings, die wir unseren Kindern in öffentlichen Einrichtungen anbieten, dem Wohlbefinden der Kinder nicht immer dienlich sind“. Der Aufenthalt in der Kindertagesstätte bedeute gerade für Kinder unter drei Jahren einen enormen Stress mit häufig negativen Folgen für ihr soziales Verhalten und ihre gesamte Entwicklung. Der Mediziner kritisierte: „Die Kinder kommen heute zu früh in die Betreuungseinrichtungen und sie verbringen dort zu viel Zeit.“ Unter Dreijährige seien noch nicht bereit für eine Betreuung in größeren Gruppen. Sie seien noch stark auf die „familiäre Bindungssicherheit“ angewiesen.

Zudem bräuchten auch Kinder die Möglichkeit, ihren Alltag selbst zu gestalten, sagte Böhm. „Wir haben in den öffentlichen Einrichtungen meist ein sehr strukturiertes Angebot. Kinder können sich da nicht ohne weiteres herausziehen, um individuell zu spielen oder sich in etwas zu vertiefen, ohne Anforderungen von außen.“ Dies sei in der Corona-Zeit, in der viele Kinder keine Betreuungseinrichtungen besuchen konnten, anders gewesen.

Kitas sollten aufgrund dieser Erfahrungen Kindern künftig mehr Zeit geben für selbstbestimmtes Spielen und für Beschäftigungen an der frischen Luft. „Draußen spielen zu können ist für Kinder ganz wichtig“, sagte Böhm. Noch wichtiger sei aber eine gesunde Balance zwischen der Zeit mit der Familie und der Zeit in der Einrichtung.

(ahar/epd)
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