Corona-Krise Warum Prominente und Influencer Verschwörungstheorien verbreiten

Düsseldorf · Impfzwang, Weltherrschaft, drohende Diktaturen – die Corona-Krise scheint die Blütezeit etlicher Verschwörungstheorien zu werden. Und immer mehr Prominente mit reichweitenstarken Accounts greifen diese auf und leiten sie weiter. Was ist da los?

 Eine Frau hält bei einer unerlaubten Demonstration in Berlin am 18. April ein Schild mit der Aufschrift „Impfterrorismus“.

Eine Frau hält bei einer unerlaubten Demonstration in Berlin am 18. April ein Schild mit der Aufschrift „Impfterrorismus“.

Foto: dpa/Christophe Gateau

Wer in diesen Tagen den Telegram-Kanal des veganen Kochs Attila Hildmann abonniert hat, dem bleibt keine Ruhe. Beinahe minütlich treffen neue Nachrichten ein. Die Inhalte: ein buntes Sammelsurium aus Bildern, Videos, Screenshots, Sprachnachrichten und wüsten Textnachrichten, die allesamt eines beweisen sollen: Die Corona-Krise ist eine einzige Verschwörung, eine Elite aus Machthabern in Politik und Wirtschaft möchte die Demokratie stürzen und eine Diktatur etablieren. US-Multimilliardär und Biotech-Investor Bill Gates ist an allem schuld, unter anderem weil er sich zu oft mit dem verurteilten Sexualstaftäter und ehemaligen US-Investmentbanker Jeffrey Epstein getroffen hat. So scheint Attila Hildmann die Welt zu sehen. Davon will er andere offenbar überzeugen.

Wer Hildmann noch nicht kennt: Er ist veganer Koch, schreibt Bücher, vertreibt seine eigenen Produkte und ist in den sozialen Medien aktiv – mit einer Reichweite von mehr als 60.000 Followern auf Instagram sowie beinahe 20.000 auf dem Messenger-Dienst Telegram. In der Corona-Krise fällt Hildmann aber nicht mehr durch seine veganen Energy-Drinks oder Schokolade auf, sondern durch seine Kritik an den Corona-Maßnahmen der Regierung und die Verbreitung oben genannter Verschwörungserzählungen. Und er ist längst nicht der einzige deutsche Prominente, der beispielsweise davon erzählt, dass das neue Infektionsschutzgesetz der Bundesregierung ein Ermächtigungsgesetz sei, mit dem mächtige Eliten (allen voran Bill Gates natürlich) den Bürgern Grundrechte entziehen und eine Impfpflicht aufzwingen wollen.

Einige deutsche Prominente und Influencer teilen diese und andere verschwörungstheoretische Ansichten oder empfehlen Accounts und Inhalte ihren teilweise Millionen Followern weiter, darunter Sängerin Senna Gammour, Schauspieler Til Schweiger oder Xavier Naidoo, den Hildmann übrigens einen „Ehrenmann“ nennt. Für besondere Aufregung sorgte aber der ehemalige rbb-Journalist Ken Jebsen mit einem halbstündigen Video auf seinem Youtube-Kanal, in dem er die Theorie vertritt, Bill Gates hätte das Virus verbreitet und kontrolliere die Regierungen.

Dass Krisen das Aufkommen und die Verbreitung solcher Verschwörungstheorien befeuern, bestätigen Psychologen wie Pia Lamberty, Doktorandin am Lehrstuhl für Sozial- und Rechtspsychologie der Johannes Gutenberg Universität in Mainz. „Wir sind in der Forschung zwar gerade erst dabei, zu verstehen, welchen Einfluss Corona auf die Verbreitung der Verschwörungserzählung wirklich hat“, sagt Lamberty, „aber ich habe das Gefühl, dass das Thema nicht nur für Prominente, sondern auch immer mehr für andere Menschen relevanter wird. Und dass Menschen diese Inhalte teilen, die es vorher vielleicht nicht gemacht haben.“

Erste Hinweise auf einen stärker in der Gesellschaft verbreiteten Glauben an Corona-Verschwörungen lieferten laut Lamberty Daten aus den USA. „Dort glauben 49 Prozent, das Virus sei menschengemacht, 26 Prozent glauben, es stamme aus einem Labor“, sagt Lamberty. Auch aus Deutschland gebe es erste Zahlen. Das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) hat kürzlich eine nicht repräsentative Online-Umfrage zur „gesellschaftlichen Wahrnehmung des Umgangs mit der Corona-Pandemie“ veröffentlicht. Eines der ersten Ergebnisse: Die Zustimmung der 3111 Befragten zu verschwörungstheoretischen Aussagen nahm über den Erhebungszeitraum zu.

Woran liegt das? „Immer dann, wenn Menschen das Gefühl von Kontrollverlust haben, glauben sie tendenziell eher an Verschwörung und sehen Muster, wo vielleicht keine sind“, erklärt Lamberty. Menschen fühlten Kontrollverlust durch beispielsweise eine Trennung, den plötzlichen Jobverlust oder eine Krankheit. Aber auch die Corona-Pandemie könne man als Kontrollverlust sehen. „Man weiß nicht, was als nächstes kommt, es gibt unglaublich viele Informationen, die verarbeitet werden müssen, von Woche zu Woche gibt es neue Entscheidungen, die das eigene Leben extrem stark beeinflussen“, sagt Lamberty. Das sei eine Situation, die unglaublich emotional sei für viele Menschen. Solche Ängste und Befürchtungen würden Verschwörungserzählungen ansprechen.

Und das birgt Gefahren. „Es zeigt sich empirisch, dass der abstrakte Glaube an Verschwörungserzählungen – wir reden hier nicht von hochideologisierten Menschen – mit einer stärkeren Gewaltaffinität einhergeht“, sagt Lamberty. So kam es beispielsweise bei einer nicht genehmigten Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen am Mittwoch, 6. Mai, vor dem Reichstagsgebäude in Berlin zu einem Angriff auf Medienvertreter. Ein Kamerateam der ARD war von einem Mann angegriffen worden, der versucht hatte, einen Tonassistenten zu treten.

Augenzeugen berichteten, ganz verschiedene Gruppierungen von Menschen seien vor Ort gewesen. Teilnehmer riefen „Wir sind das Volk“. Manche hatten Deutschlandfahnen dabei, manche das Grundgesetz. Und einer der Demonstranten und Redner war Attila Hildmann.

Warum derzeit einige Prominente einen Hang zu Verschwörungserzählungen haben, ist auch für Pia Lamberty schwer auszumachen. „Es stellt sich aber auch immer die Frage, inwiefern es tatsächlich aus dem Nichts kommt. Bei Xavier Naidoo gab es schon lange Diskussionen um sein Weltbild. Gegen Attila Hildmann gab es vor einigen Jahren Vorwürfe wegen sexistischer Äußerungen. Also kommt es wirklich aus dem Nichts? Oder handelt es sich vielleicht meistens um Personen, die schon vorher solchen Narrativen gefolgt sind oder menschenfeindliche Aussagen vertreten haben?“

Derweil haben sich aber auch prominente Stimmen gegen die Verbreitung von Verschwörungserzählungen erhoben. So veröffentlichte die Nachhaltigkeits-Influencerin Louisa Dellert ein Video, in dem sie sich den Behauptungen Ken Jebsens entgegenstellt. Die Autorin und Radiomoderatorin Sophie Passmann machte sich derweil ihrer Wut über die Verbreitung von Corona-Verschwörungstheorien in einem neunminütigen Video auf Instagram Luft. „Ich habe langsam das Gefühl, alle drehen durch“, entgegnete sie auf die Unruhe im Netz. Diese habe sie lange Zeit versucht, zu ignorieren. Jetzt konterte Passmann – mit stichhaltige Argumenten, Fakten, Einordnung und Zusammenhängen.

Einen solchen Umgang mit Verschwörungstheorien in der Krise empfiehlt auch die Psychologin Pia Lamberty: „Meine Herangehensweise: Mich weniger über die Person lustig machen oder sie beleidigen, sondern versuchen, die Aussagen klar einzuordnen, mich dagegenzustellen, wenn es menschenfeindlich, antisemitisch oder rassistisch wird.“ So könne man Solidarisierungseffekte mit Anhängern der Verschwörungstheorie verhindern. „Ich kann mir aber auch vorstellen, dass Humor hilft.“

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde ursprünglich am 8. Mai 2020 veröffentlicht.

(mkoe/dpa)
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