Intensivmediziner überarbeiten Empfehlung Impfstatus kein Kriterium für Triage

Düsseldorf · Bei vollen Intensivstationen müssen Ärzte entscheiden, welche schwerkranken Patienten weiter medizinisch betreut werden sollen. Die Empfehlungen dazu wurden wegen der zunehmend kritischen Lage in den Kliniken angepasst.

 Intensivmediziner stellen sich darauf ein, bald über Erfolgsaussichten von Patienten befinden zu müssen.

Intensivmediziner stellen sich darauf ein, bald über Erfolgsaussichten von Patienten befinden zu müssen.

Foto: picture alliance / BARBARA GINDL / APA / picturedesk.com/BARBARA GINDL

Angesichts dramatisch steigender Infektionszahlen wird eine Überlastung des Gesundheitssystems immer wahrscheinlicher. Bundesweit liegen derzeit mehr als 4200 Covid-Patienten auf Intensivstationen, in einigen Bundesländern gibt es kaum noch freie Intensivbetten, etliche Kliniken sind bereits an ihrer Kapazitätsgrenze. Vor diesem Hintergrund hat die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) ihre klinisch-ethischen Empfehlungen hinsichtlich Priorisierung und Triage bei schwerkranken Patienten überarbeitet. „Es geht darum sicherzustellen, dass mit den vorhandenen Ressourcen so viele Menschen wie möglich gerettet werden“, sagt Professor Georg Mackmann, Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin. „Wenn priorisiert werden muss, dann streng nach der klinischen Erfolgsaussicht.“

 Das Horrorszenario einer sogenannten Triage, also der Entscheidung, bei welchen lebensbedrohlich erkrankten Menschen eine medizinische Behandlung noch erfolgversprechend erscheint, steht seit Beginn der Pandemie immer wieder im Fokus. Bisher war es aber in Deutschland nicht so weit gekommen. Dies könne sich nun ändern, heißt es seitens der DIVI, deshalb wurden die bereits im März 2020 formulierten Empfehlungen an die aktuelle Situation angepasst. Ergänzt wurde etwa, dass Geimpfte und Ungeimpfte gleich zu behandeln seien. „Der Impfstatus darf kein Kriterium sein für die Priorisierung“, sagt Mackmann. Es sei nicht klar, warum ein Patient sich nicht habe impfen lassen, es gelte das Prinzip, dass Ärzte keine Richter seien, sondern Retter. 

 Zudem müsse alles getan werden, um ein möglichst großes Potenzial an Behandlungsmöglichkeiten zu schaffen, sagte Professor Uwe Janssens, Past Präsident der DIVI. Dazu gehöre es, planbare Operationen zu verschieben. Diese Regelung müsse auch in weniger belasteten Regionen umgesetzt werden, um breite Kapazitäten zu schaffen. „Dabei gilt aber das Prinzip, dass für Patienten kein Schaden entstehen darf“, sagt Janssens. Überhaupt dürfe keine Patientengruppe bei der Entscheidung hinsichtlich einer intensivmedizinischen Behandlung bevorzugt werden, die Regeln der Priorisierung gelten sowohl für schwerkranke Covid- als auch für Nicht-Covid-Patienten, also etwa Herzinfarkte oder Schlaganfälle. 

 Die Entscheidung für eine Triage werde niemals alleine, sondern immer im Team getroffen, sagt Professor Jan Schildmann, Leiter des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin. Sowohl Pflegekräfte als auch Ärzte, die den Patienten kennen, würden seine Erfolgsaussichten beurteilen, dazu gebe es den DIVI-Dokumentationsbogen als Entscheidungshilfe. Jede Klinik habe solche Teams, diese müssten sich jetzt wieder intensiver mit der Thematik auseinandersetzen, sagt Janssens. „Es wird aber tagtäglich überlegt, welcher Patient eine realistische Chance hat.“

Geimpfte hätten tatsächlich meist eine bessere Prognose, in die Bewertung fließen aber auch Begleiterkrankungen, der allgemeine Gesundheitszustand und andere Faktoren mit ein. Dabei könne ein fitter hochbetagter Mensch besser abschneiden als ein Junger mit schwerwiegenden Vorerkrankungen. Erst bei einer sehr schlechten Prognose werde entschieden, etwa eine Beatmung auszusetzen. „Je länger jemand liegt, desto geringer sind die Erfolgsaussichten“, sagt Mackmann. Die lange Liegezeit sei auch ein gravierender Unterschied etwa zu einer Triage, die bei einem Massenunfall mit vielen Schwerverletzten nötig werde, sagt Janssens. Durch den längeren Zeitrahmen könne weitaus differenzierter vorgegangen und bewertet werden. 

 Die DIVI-Autoren fordern, dass die Krankenhäuser angewiesen werden, entsprechend der Empfehlungen zu handeln. Zudem benötigten die Ärzte Rückendeckung aus der Politik, wenn sie derart folgenschwere Entscheidungen treffen müssten. „Wir brauchen Rechtssicherheit“, sagt Mackmann. Kein Mediziner wolle in diese Situation kommen, über Leben und Tod zu entscheiden, ergänzte Janssens. „Deshalb kann es sich die Politik nicht leisten, weiter abzuwarten. Es muss sofort gehandelt werden, um die Infektionsketten zu durchbrechen.“

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