„Formulierungshilfe“ bekanntgeworden Was die Bundesregierung im verschärften Infektionsschutzgesetz plant

Berlin · Mit bundesweit einheitlichen Regeln soll die dritte Corona-Welle in Deutschland gebrochen werden – denn die hohen Zahlen bereiten Experten weiter große Sorgen. Nun soll das Infektionsschutzgesetz im Eilverfahren nachgeschärft werden. Was bisher bekannt ist.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (Archiv).

Bundeskanzlerin Angela Merkel (Archiv).

Foto: dpa/Hannibal Hanschke

Die Bundesregierung setzt darauf, dass die Änderung des Infektionsschutzgesetzes schnell geht: Sie sollen laut der stellvertretenden Regierungssprecherin Ulrike Demmer schon in der kommenden Woche vom Kabinett beschlossen werden. Die nächste Sitzung der Bundesregierung werde von Mittwoch auf Dienstag vorgezogen. Der Bundestag muss den Änderungen zustimmen, er kommt planmäßig vom kommenden Mittwoch bis Freitag zusammen. Auch der Bundesrat muss die Nachschärfungen billigen. Die nächste Sitzung der Länderkammer ist am 7. Mai geplant, es könnte aber eine Sondersitzung geben.

Für den Fall, dass die Sieben-Tage-Inzidenz in einer Region den Wert von 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner übersteigt, hatten Bund und Länder Anfang März Regeln vereinbart: Alle Lockerungen der Corona-Maßnahmen müssten demnach wieder vollständig zurückgenommen werden. Allerdings zeigte sich in den vergangenen Wochen vielfach, dass diese sogenannte Notbremse nicht ausreichend angewendet wurde – wie etwa Merkel kritisiert hatte.

Offenbar sollen diese Regeln nun im Infektionsschutzgesetz verbindlich festgeschrieben werden. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge – unter anderem von „RTL“, „Bild“ und der Nachrichtenagentur AFP – hat die Bundesregierung nun eine konkrete „Formulierungshilfe“ für die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD vorgelegt.

Demnach schlägt die Regierung bundesweit einheitliche nächtliche Ausgangssperren von 21 bis 5 Uhr in allen Landkreisen und kreisfreien Städten ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 vor – also ab dem bereits im März mit den Ländern vereinbarten Grenzwert für die Notbremse. Die Maßnahmen treten außer Kraft, wenn die Inzidenz-Schwelle drei Tage lang unterschritten wird.

Eine Ausnahme für die Ausgangssperren soll der „begründete“ Aufenthalt außerhalb der eigenen Wohnung bilden. Als Beispiele werden demnach medizinische oder veterinärmedizinische Notfälle, die „Ausübung beruflicher oder dienstlicher Tätigkeiten“, die Wahrnehmung des Sorge- oder Umgangsrechts und die unaufschiebbare Betreuung unterstützungsbedürftiger Personen oder Minderjähriger oder die Begleitung Sterbender genannt.

Schulen, Kitas, Hochschulen und außerschulische Einrichtungen der Erwachsenenbildung oder ähnliche Einrichtungen sollen der Vorlage zufolge bei Inkrafttreten der Notbremse keinen Präsenzunterricht mehr anbieten, sofern nicht „die nach Landesrecht zuständigen Behörden nach von ihnen festgelegten Kriterien eine Notbetreuung eingerichtet haben“. Die Notbetreuung darf höchstens 20 Prozent der „regulär Betreuten oder Beschulten“ umfassen.

Abweichend davon sei „Präsenzunterricht zulässig bei Personen, die einen nicht länger als 36 Stunden zurückliegenden negativen Test auf SARS-CoV-2“ vorgelegt hätten.

Ladengeschäfte und „Märkte mit Kundenverkehr für Handels-, Dienstleistungs- und Handwerksangebote“ wie zum Beispiel Baumärkte dürften in den Corona-Hotspots auch nicht mehr öffnen. Der Lebensmittelhandel, ebenso wie Getränkemärkte, Reformhäuser, Apotheken, Drogerien und Tankstellen blieben von den Maßnahmen ausgenommen. Auch Übernachtungsangebote sollen ab einer Inzidenz von mehr als 100 untersagt werden. Dasselbe gilt für die Gastronomie – mit Ausnahme von Essen zum Abholen.

Sollte die geplante Neuregelung umgesetzt werden, würde der Bund mehr Befugnisse in der Pandemiebekämpfung bekommen, die bislang im Wesentlichen Sache der Länder ist. Der bisherige Flickenteppich an länderspezifischen Einzelregelungen würde vereinheitlicht.

Zur Begründung heißt es den Berichten zufolge in dem Entwurf: „Es besteht deutschlandweit eine sehr dynamische und ernstzunehmende Situation mit starker Zunahme der Fallzahlen innerhalb weniger Tage.“ Deshalb seien „Maßnahmen mit bundeseinheitlichen Standards erforderlich“.

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus warnt derweil vor Zerwürfnissen mit den Ländern. „Es darf keine Front zwischen Bund und Ländern geben. Wir sind darauf angewiesen, dass wir diese Pandemie gemeinsam bekämpfen“, sagte Brinkhaus den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag). Er begrüße aber den Vorstoß für mehr Einheitlichkeit.

„Wir sind als Bundestag unglücklich darüber, dass der Spielraum, den wir den Ländern im Infektionsschutzgesetz geben, zu oft uneinheitlich ausgeübt wird“, sagte Brinkhaus. Der Bundestag könnte im Infektionsschutzgesetz nun genauer festlegen, was gemacht werden muss, wenn die Corona-Zahlen bestimmte Grenzen überschreiten. „Wir müssen nur aufpassen, dass wir das gemeinsam und nicht gegen die Bundesländer auf den Weg bringen“, sagte Brinkhaus. Denn die Umsetzung der Maßnahmen liege in der Zuständigkeit der Länder.

Der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Samstag): „Änderungen am Infektionsschutzgesetz können für mehr Klarheit sorgen und dem Eindruck eines Flickenteppichs entgegenwirken.“. Es gehe nicht um eine Kompetenzverschiebung von den Ländern zum Bund, sondern um Transparenz und Verbindlichkeit. Die SPD-Fraktion werde sich den Entwurf zum Infektionsschutzgesetz, der in der Bundesregierung erarbeitet werde, genau anschauen. Ein schnelles, aber geordnetes Verfahren sei gesichert.

Auch der Städtetag begrüßte, dass gemeinsamer bundeseinheitlicher Rahmen geschaffen werden soll. Um Vertrauen zurückzugewinnen, brauche es eine gute Kommunikation von Bund und Ländern, sagte Städtetagspräsident Burkhard Jung den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag). „Bisher gab es zu viel Durcheinander in den Ländern“. Die Notbremse müsse konsequent angewandt werden, damit die Corona-Lage nicht außer Kontrolle gerate.

Angesichts steigender Patientenzahlen in der dritten Corona-Welle warnte der Vorsitzende des Weltärztebundes derweil vor einer Zuspitzung der Lage in den deutschen Krankenhäusern. „Wir werden in den Kliniken jetzt eingeholt von den Infektionen, die vor vier Wochen stattgefunden haben“, sagte Frank Ulrich Montgomery der „Passauer Neuen Presse“ (PNP, Samstag).

Auch die Triage werde „mit Sicherheit“ wieder im Raum stehen. Triage bedeutet, dass Mediziner aufgrund von knappen Ressourcen entscheiden müssen, wem sie zuerst helfen. „Wir waren sehr dankbar, dass sie in den ersten beiden Wellen nicht gebraucht wurde. Es ist vorstellbar, dass es zu Situationen kommt, in denen sie angewendet wird.“ Es sei deshalb richtig, dass sich die Kliniken sich auf einen Ansturm einstellen, sagte Montgomery.

Die Entwicklungen in der dritten Pandemie-Welle betrachtet auch die Berliner Charité mit großer Sorge. „Wenn die Anzahl schwer kranker Covid-Patienten die zweite Welle übertrifft, kommen wir in eine kritische Situation“, sagte Martin Kreis, Vorstand für die Krankenversorgung in Deutschlands größter Uniklinik.

Die Zahl der Neuzugänge auf den Intensivstationen der Charité sei in den vergangenen beiden Wochen deutlich gestiegen, sagte Kreis. Besonders betroffen sei nun die Altersgruppe zwischen 30 und 60, die bislang wenige Chancen auf Impfungen hatte. „Der Trend ist eindeutig, und er zwingt uns, zu reagieren“, ergänzte das Vorstandsmitglied. So sei eine Reserve-Intensivstation wieder vollständig geöffnet worden. Darüber hinaus wurden planbare Operationen abgesagt, die aufgeschoben werden können.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) unterstützt die Pläne, per Gesetz für mehr Einheitlichkeit der Corona-Schutzmaßnahmen in Deutschland zu sorgen. Laschet habe bereits zu Beginn der Woche auf den dringenden Handlungsbedarf in der Pandemiebekämpfung hingewiesen und für ein schnelles, bundeseinheitliches Vorgehen der Länder geworben, sagte ein Sprecher der Landesregierung am Samstag dem Evangelischen Pressedienst in Düsseldorf.

(felt/chal/hebu/AFP/dpa/epd)
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