Wieler warnt vor einem „schlimmen Weihnachtsfest“ „Jeder Mann und Maus, der impfen kann, soll jetzt gefälligst impfen“

Berlin/Dresden · Lothar Wieler will das Impf-Tempo durch Corona-Impfungen in Apotheken erhöhen. Der RKI-Chef rechnet zudem vor, was 50.000 Infizierte bei einer Sterberate von 0,8 Prozent bedeuten: 400 Tote.

 RKI-Präsident Lothar Wieler bei der Bundespressekonferenz am 12.11. mit einer Corona-Grafik (Archivfoto).

RKI-Präsident Lothar Wieler bei der Bundespressekonferenz am 12.11. mit einer Corona-Grafik (Archivfoto).

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

  „Wir sind in einer Notlage, und in einer Notlage muss man bestimmte Dinge großzügig gestalten“, sagte der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, am Mittwochabend bei einer Online-Diskussionsveranstaltung mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU). Deshalb sei er dafür, dass unter anderem Apotheker impfen sollten.

„Ich sag das jetzt mal ganz klar: Es muss jetzt Schluss sein, dass irgendwer irgendwelchen anderen Berufsgruppen aufgrund von irgendwelchen Umständen nicht gestattet zu impfen. Wir sind in einer Notlage“, betonte Wieler. „Wir brauchen jede und jedem zum Impfen.“ Es gebe viele Millionen Menschen, die geimpft werden müssten, auch mit Auffrischungsimpfungen. „Jeder Mann und Maus, der impfen kann, soll jetzt gefälligst impfen. Sonst kriegen wir diese Krise nicht in den Griff.“

Zugleich plädierte Wieler für die 2G-Regeln (geimpft und genesen). „Wir dürfen denen, die sich nicht impfen lassen, wirklich nicht die Chance geben, die Impfung zu umgehen, zum Beispiel, indem sie sich freitesten lassen.“ Momentan laufe Deutschland auf eine „ernste Notlage“ zu. „Wir werden wirklich ein sehr schlimmes Weihnachtsfest haben, wenn wir jetzt nicht gegensteuern.“

Wieler zeichnete ein dramatisches Bild der aktuellen Corona-Lage in Deutschland. Die Zahlen gingen steil nach oben, und sie seien weitaus höher als bekannt: „Die Untererfassung der wahren Zahlen verstärkt sich.“ Hinter den mehr als 50 000 Infektionen, die derzeit pro Tag registriert würden, „verbergen sich mindestens noch einmal doppelt oder dreimal so viele“, so der RKI-Chef.

In den vergangenen Wochen seien 0,8 Prozent der Erkrankten gestorben. Das bedeute, dass von den mehr als 50 000 Menschen pro Tag, bei denen derzeit eine Neuinfektion festgestellt werde, in den nächsten Wochen 400 sterben würden. In der Bundespressekonferenz habe er zuletzt noch zurückhaltend von 200 Toten pro Tag gesprochen, tatsächlich sei die Zahl aber viel höher. Am Tod dieser Menschen sei nichts mehr zu ändern, niemand können ihnen noch helfen, selbst mit bester medizinischer Versorgung nicht. „Das Kind ist in den Brunnen gefallen.“

Auch die Lage in den Krankenhäusern wird laut Wieler immer schlimmer. Die Zahl der schwerkranken Corona-Patienten steige, für Schlaganfall-Patienten und andere Schwerkranke müsse mancherorts bis zu zwei Stunden nach einem freien Intensivbett gesucht werden. „Die Versorgung ist bereits in allen Bundesländern nicht mehr der Regel entsprechend“, sagte der RKI-Chef. Und das werde noch zunehmen. „Sie sehen, die Prognosen sind super düster. Sie sind richtig düster“, sagte Wieler. „Es herrscht eine Notlage in unserem Land. Wer das nicht sieht, der macht einen sehr großen Fehler.“

Dabei habe das RKI frühzeitig sehr klare Handlungsempfehlungen ausgesprochen und gewarnt, dass die vierte Welle alle bisherigen deutlich übertreffen könnte, wenn keine „bevölkerungsbezogenen Maßnahmen“ ergriffen würden und die Impfquote nicht deutlich steige. Tatsächlich seien die modellierten Szenarien nun eingetroffen.

Wieler warf der Politik schwere Fehler und Versäumnisse vor. „Wir haben zu schnell in zu vielen Bereichen geöffnet“, kritisierte er. „Clubs und Bars sind Hotspots, aus meiner Sicht müssen die geschlossen werden.“ Großveranstaltungen müssten abgesagt werden. In der Bevölkerung gebe es viel zu viele Kontakte, dabei wisse man schon aus der ersten Corona-Welle, dass Kontakteinschränkungen wirksam seien.

Wieler forderte die Politik dazu auf, endlich zu handeln. „Wir müssen nicht ständig etwas Neues erfinden. Alle diese Konzepte und Rezepte sind vorhanden“, sagte er. „Das ist 'ne klare Sprache, aber ich kann nach 21 Monaten es auch schlichtweg nicht mehr ertragen, dass es nicht vielleicht erkannt wird, was ich unter anderem sage und auch viele andere Kolleginnen und Kollegen.“

(peng/dpa)
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