Reisewarnung wegen Corona Holland in Not

Amsterdam · Zwei beliebte Urlaubsregionen der Niederlande gelten jetzt als Corona-Risikogebiet. Vor allem jüngere Menschen treiben dort die Infektionszahlen in die Höhe. Von Alarmstimmung ist im Alltag trotzdem verblüffend wenig zu spüren.

 Verteilung von Mundschutz-Masken in Amsterdam (Anfang August).

Verteilung von Mundschutz-Masken in Amsterdam (Anfang August).

Foto: dpa/Mike Corder

Bürgermeisterin Marja van Bijsterveldt macht sich Sorgen. Ihre kleine Universitätsstadt Delft droht zum neuen Corona-Hotspot der Niederlande zu werden. Anfang September begann das Semester, und mit ihm die sehr beliebten Einführungswochen für neue Studenten. Zwar wurden viele der Veranstaltungen nur online durchgeführt - trotzdem infizierten sich zahlreiche Erstsemester wohl in dieser Phase mit dem Coronavirus.

Studierende stellen rund 80 Prozent aller Covid-19-Fälle in Delft. ,,Es ist fünf vor zwölf”, steht in einem Brief, den die Studentenvereinigungen zusammen mit der Bürgermeisterin geschrieben haben - er ging an alle Studierenden. Um einen drohenden Lockdown zu verhindern, hängen Poster mit Quarantäneempfehlungen in den vielen und traditionell sehr vollen Studentenwohnheimen.

Was bisher vor allem ein Thema für die Bürger von Städten wie Delft war, hat in dieser Woche auch Deutschland erreicht. Steigende Infektionszahlen veranlassten das Auswärtige Amt, Reisewarnungen für die dicht bevölkerten Küstenprovinzen Nord- und Südholland auszusprechen. Hier liegen die Großstädte Amsterdam, Den Haag und Rotterdam - aber auch beliebte Badeorte wie Zandvoort, Noordwijk, Katwijk oder Scheveningen. Die Hausstrände vieler Menschen in Nordrhein-Westfalen, sie sind jetzt Corona-Risikogebiet.

Das bedeutet zwar nicht, dass Reisen dorthin verboten sind. Aber wer nach einem Besuch wieder nach Deutschland zurückkommt, muss sich testen lassen - und bis zu einem negativen Ergebnis in Quarantäne bleiben. Nicht betroffen sind die bei deutschen Urlaubern ebenfalls beliebten Provinzen Zeeland und Friesland.

Noch im Frühjahr waren vor allem die südlichen Provinzen Brabant und Limburg nach dem Karneval Zentrum der Epidemie. Jetzt hat sich das Infektionsgeschehen in die Großstädte an der Küste und ihre Einzugsgebiete wie Delft verlagert. Und die Zahlen steigen schnell: Das staatliche Gesundheitsinstitut RIVM meldet diese Woche mit 8265 Neuinfektionen einen Zuwachs von mehr als 50 Prozent gegenüber der Vorwoche (5427 Fälle). Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen, wo etwa so viele Menschen leben wie in den Niederlanden, wurden in den vergangenen sieben Tagen 2457 Corona-Fälle erfasst. Die Reproduktionszahl r liegt in den Niederlanden derzeit bei 1,38 - damit stecken theoretisch 100 infizierte Menschen 138 neue an.

Alarmstimmung also in Holland? Nicht unbedingt, denn im Straßenbild ist von der Krise wenig zu merken. Wer vorher online reserviert hat, kann ins Kino, ins Restaurant, ins Museum oder zum Friseur. Kaum jemand trägt außerhalb von Bussen und Bahnen - wo es vorgeschrieben ist - Mund- und Nasenschutz. Vor allem in den engen Gassen der Altstädte drängen sich Bewohner und Touristen wieder fast so wie vor Corona. Regelmäßig löst die Polizei Privatpartys von großen Gruppen in Parks auf.

Dabei gilt die Abstandsregel genau wie in Deutschland. Mantra-artig appellieren Ministerpräsident Mark Rutte und sein Gesundheitsminister Hugo De Jonge an die „Anderthalbmetergesellschaft“: Hände waschen und Abstand halten. Wer Symptome hat, soll zu Hause bleiben. Nur im öffentlichen Personenverkehr gilt eine Maskenpflicht. Die Niederländer sind aufgerufen, Menschenaufläufe wenn möglich zu vermeiden, zuhause zu arbeiten und sich nicht mit mehr als sechs Menschen zu treffen. Seit Beginn des Schuljahrs müssen Kinder unter 12 Jahren keinen Abstand mehr halten, Jugendliche bis 18 Jahre untereinander auch nicht. Die Schulen sind normal geöffnet und nur die Lehrer müssen sich an die Abstandsregel halten.

Bislang verläuft die zweite Welle glimpflicher als die erste. In der vergangenen Woche starben durchschnittlich zwei Menschen pro Tag - zum Vergleich: Im April gab es täglich noch 154 Todesfälle. Insgesamt verzeichnet das staatliche Gesundheitsinstitut in den Niederlanden 6266 Corona-Tote; die tatsächliche Anzahl kann allerdings höher liegen, da womöglich nicht alle Covid-19-Todesfälle statistisch erfasst wurden.

Wie in Delft zu sehen, infizieren sich jetzt vor allem mehr jüngere Menschen. Da diese meist einen leichteren Krankheitsverlauf haben, sind die Krankenhäuser weniger ausgelastet. Momentan liegen 49 Corona-Patienten in den Niederlanden auf einer Intensivstation, ein enormer Unterschied zum April, als 1424 Kranke die Kapazitäten der intensivmedizinischen Betreuung bis zum Anschlag beanspruchten und man sogar Patienten nach Deutschland auslagern musste.

Anders als in Deutschland sind die Testmöglichkeiten in den Niederlanden noch eingeschränkt und hapert es an der Ausführung. Seit Anfang Juni verspricht die Regierung zwar Tests für jedermann, tatsächlich müssen viele Niederländer aber  lange auf einen Testtermin warten. Diese Woche signalisierten die Gesundheitsdienste, dass ihre Kapazitäten bei einer zweiten Welle schnell erschöpft sein könnten.

Die niederländische Regierung von Ministerpräsident Rutte will nun auf die stark gestiegenen Infektionszahlen reagieren. Sie wird an diesem Freitagabend neue Massnahmen ankündigen, die vor allem die Infektionsgefahr unter jüngeren Menschen eindämmen sollen. Erwartet wird, dass in den derzeitigen Brennpunkten Amsterdam, Den Haag, Rotterdam, Leiden, Utrecht und Umgebung die Kneipen bereits um Mitternacht das Licht anschalten und eine Stunde später schließen müssen. Anstelle von derzeit 100 sollen nur noch maximal 50 Gäste zugelassen werden, berichtet die Tageszeitung Volkskrant.

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