Forschung Pflanzen gegen Corona

Düsseldorf · Rund 150 Heilpflanzen können Sars-CoV-2 hemmen. Doch klinische Belege am Menschen fehlen. Die Forschung hat bereits begonnen. Virologen sind optimistisch.

Bis heute existiert keine Impfung, die nachweislich vor Covid-19 schützen könnte. Und es kann auch niemand sagen, wann es dazu kommt. Wissenschaftler haben daher auch Heilpflanzen als natürlichen Virenschutz im Visier. Doch können diese „Phytos“ wirklich etwas gegen die Pandemie ausrichten?

Es klingt sensationell, und es wurde auch von einigen Medien so aufbereitet: Laut einer aktuellen Studie der Fachzeitschrift „Virology“ schützt ein Präparat des Roten Sonnenhuts (Echinacea purpurea) gegen Sars-CoV-2, also den Erreger der Corona-Pandemie. Die Wissenschaftler des Schweizer Labors Spiez kommen in dieser Arbeit zu dem Schluss, dass Sonnenhut das Potenzial habe, „auch in der breiten Bevölkerung die Zahl der Übertragungen und Erkrankten durch hoch pathogene Coronaviren zu senken“.

Das Resümee begründet sich aus der Beobachtung, dass Covid-19 keine menschlichen Schleimhautzellen mehr kapert, sofern man sie mit Echinacea-Extrakt behandelt hat. Als die Studie in der Schweiz publik wurde, konnte man dort in den Apotheken tagelang kaum noch die entsprechenden Präparate bekommen, denn die waren ausverkauft. Hierzulande ist der Hype nicht so extrem, aber die Nachfrage nach Echinacea hat auch hier angezogen. Die Bundesbürger haben also offenbar ebenfalls Hoffnung, damit heil durch die Pandemie zu kommen.

Bleibt die Frage, ob diese Hoffnung begründet ist. Tatsache ist, dass „Virology“ als Fachzeitschrift international anerkannt ist. Zudem ist das Labor Spiez kein privatwirtschaftliches Unternehmen, sondern Teil des Schweizer Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, und Studienleiter Olivier Engler gilt als international anerkannter Virologe. Doch das Echinacea-Präparat wurde an eigens gezüchteten Schleimhautzellen in der Petrischale ausgetestet, und nicht an konkreten, „ganzen“ Menschen. Die Studie kann man also lediglich als ermutigenden Hinweis, nicht aber als klinischen Beweis dafür werten, dass Sonnenhut tatsächlich zum Eindämmen der Pandemie taugt.

Hinzu kommt, dass Echinacea als potenzielle Waffe gegen Corona unter den Heilpflanzen keineswegs einzigartig ist. Andere „Phytos“ sind in dieser Hinsicht durchaus gleichwertig einzuschätzen. Die meisten Nachrichten dazu stammen derzeit aus China. Was nicht nur an der Herkunft des Erregers liegt, sondern auch an der dort verwurzelten TCM, der Traditionellen Chinesischen Medizin.

Die kennt man hierzulande vor allem im Zusammenhang mit der Akupunktur, doch ihren eigentlichen Schwerpunkt bilden die sogenannten Dekokte, in denen zum Teil hochkomplexe Pflanzenmischungen zu einer pflanzlichen Arznei ausgekocht werden.

Wissenschaftler aus Shanghai und Macao haben jetzt zehn TCM-Mischungen vorgestellt, für die man im Labor eine Wirksamkeit gegen Corona-Erreger finden konnte. Die am häufigsten dabei eingesetzten Pflanzen sind das Japanische Geißblatt, der Ginseng und die Süßholzwurzel. Letzteres ist für erfahrene Heilpflanzenkundler freilich keine Überraschung. Denn sie kennen und schätzen Süßholz schon länger als Mittel gegen Husten und Schleimhautentzündungen.

Auch in anderen Ländern forscht man zu potenziellen Anti-Corona-Mitteln aus der Phytomedizin. An der Harvard Medical School in Boston hat man dabei die Polyphenole im Blick, eine auch als Gerbstoffe bekannte Wirkstoffgruppe der Heilpflanzen. Fünf von ihnen, so die US-Forscher, blockieren die berüchtigten Spikes-Proteine, mit denen Sars-CoV-2 die menschlichen Zellen entert. Eines davon, Myricetin, findet man vor allem in Johannisbeeren, Petersilie und Fenchel. Ein anderes, Hesperidin, ist das Hauptpolyphenol von Zitronen- und Orangenschalen. Wer sich also eine Portion des vorderasiatischen Petersiliensalats Taboulé und dazu noch eine Tasse Orangenschalentee gönnt, tut möglicherweise etwas für seinen Corona-Schutz.

Eine besonders polyphenolreiche Pflanze ist aber die unter dem Begriff Cystus bekannte Zistrose aus Griechenland. Im Labor hat sie bereits ihre Wirksamkeit gegen die unterschiedlichsten Virusstämme nachweisen können, von HIV bis Ebola. Nun berichtet der Siegener Allgemeinmediziner Martin Adler in der Juni-Ausgabe der „Zeitschrift für Phytotherapie“, dass er 125 – den Corona-Risikogruppen angehörende – Patienten vor Sars-CoV-2 schützen konnte, indem er sie Cystus-Pastillen lutschen und eine Salz-Salbe für die Nase anwenden ließ. Sie entwickelten weder labormedizinisch noch symptomatisch irgendwelche Anzeichen von Corona, obwohl in immerhin neun Fällen ein Kontakt zu Familienmitgliedern bestand, bei denen die Erkrankung ausgebrochen war.

Wissenschaftler aus Frankreich und Bangladesch haben insgesamt 149 Pflanzen ausgemacht, die aufgrund ihrer nachgewiesenen pharmakologischen Effekte eine Chance im Kampf gegen Corona haben könnten. „Sie sind in jedem Falle weitere Untersuchungen wert“, sagt Studienleiterin Farhana Bhuiyan. Die Molekularbiologin von der Universität Chittagong in Bangladesch sieht die Vorteile der Heilpflanzen vor allem darin, dass sie relativ wenige Nebenwirkungen hätten.

Außerdem seien sie so komplex und variantenreich aufgebaut, dass Krankheitserreger große Probleme hätten, sich auf sie einzustellen. „Pflanzliche Zubereitungen“, so Bhuiyan, „sind eine wirksame Waffe im mikrobiotischen Resistenz-Krieg.“  Dies werde auch zunehmend von den Arzneimittel-Herstellern erkannt.

Unter Bhuiyans botanischen Anti-Corona-Kandidaten finden sich Exoten wie Granatapfel, Mandel und grüner Tee, die man hierzulande eher als Lebens- und Genussmittel kennt.

Bei Durchsicht der 149 Kräuter fallen aber auch alte Bekannte der hiesigen Volksmedizin ins Auge. Wie etwa Wolfsmilch, Eiche und Schwarzer Holunder.

 Dem Löwenzahn werden Chancen im Kampf gegen Corona eingeräumt.

Dem Löwenzahn werden Chancen im Kampf gegen Corona eingeräumt.

Foto: dpa-tmn/Robert Günther

Und selbst dem Löwenzahn werden Chancen eingeräumt, was jeder nachvollziehen kann, der schon mal den Gerbstoffgeschmack von Löwenzahntee auf der Zunge hatte. Vielleicht sollte man daran denken, wenn man ihn als Unkraut aus dem Garten rupft.

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