Mobile Impfteams in Essen Corona-Schutz im Flüchtlingsheim ist oft „Vertrauensarbeit“

Essen · Das Ansteckungsrisiko in Flüchtlingheimen gilt als hoch, doch erst jetzt starten in NRW erste gezielte Impfkampagnen mit mobilen Teams. Auch wenn einige dem Impfschutz entgegengefiebert haben, ist Skepsis unter den Bewohnern allerdings weit verbreitet. Ein Ortsbesuch.

 Ein Arzt spritzt einem Geflüchteten den Covid-19-Impfstoff von Janssen (Johnson & Johnson) in einer Übergangswohneinrichtung für Geflüchtete in den Arm.

Ein Arzt spritzt einem Geflüchteten den Covid-19-Impfstoff von Janssen (Johnson & Johnson) in einer Übergangswohneinrichtung für Geflüchtete in den Arm.

Foto: dpa/Jonas Güttler

Für Nurallah Ullah ist es ein Pieks der Hoffnung: Seit er mitten in der Pandemie seinen Job verlor, sei es schwer für ihn, etwas Neues zu bekommen. „Mit der Impfung finde ich vielleicht wieder eine neue Arbeit, eine neue Wohnung“, sagt er. „Seit so langer Zeit halte ich Abstand wegen Corona. Ich habe Angst. Mit Impfung bin ich geschützt“, sagt der 33-Jährige, der vor sechs Jahren aus Bangladesch nach Deutschland geflüchtet ist.

In wenigen Minuten wird er der erste in einer Essener Übergangsunterkunft für Asylbewerber des Diakoniewerks Essen sein, der geimpft wird. Als eine von bislang wenigen Kommunen in NRW hat Essen gerade damit begonnen, Geflüchtete in Sammelunterkünften mit mobilen Teams unabhängig von Alter oder Vorerkrankung zu impfen - wenn sie denn wollen.

Die Gruppe der Bewohner und Mitarbeiter von Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete wird im jüngsten Impferlass des Landes vom 5. Mai erstmals ausdrücklich als Gruppe aufgeführt, der ein Angebot zur Impfung gemacht werden soll. Und zwar bis Ende des Monats.

Aus Sicht des Flüchtlingsrats kommt das reichlich spät: Obwohl der Bund Schutzsuchenden in den Sammelunterkünften eine hohe Impf-Priorität eingeräumt habe, seien sie in NRW bisher nicht ausreichend berücksichtigt worden. „Dabei ergibt sich alleine durch die Form der Unterbringung in den Massenunterkünften ein hohes Ansteckungsrisiko“, sagt Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW. Immer wieder habe sich das in großen Ausbrüchen gezeigt. 24 Mal mussten demnach ganze Landeseinrichtungen, 55 Mal einzelne Teilbereiche unter Quarantäne gesetzt werden. Hinzu kommen ungezählte Ansteckungen in den Heimen der Städte. „Das Land hat das Problem einfach ausgesessen“, kritisiert Naujoks.

Auch wenn die Essener Einrichtungen bisher von großen Ausbrüchen verschont geblieben seien, sind die Verantwortlichen froh, dass es endlich losgehen kann: „Jeder der geimpft ist, ist einer mehr, der die anderen schützt“, sagt Alina Terörde. Sie leitet den Bereich Integration und Quartiersarbeit im Diakoniewerk Essen, in dessen Trägerschaft die Unterkunft liegt. Zurzeit leben hier 59 Bewohner. Seit Corona nach Deutschland kam, seien die Sozialarbeiter intensiv mit Aufklärung beschäftigt, sagt sie. Hygienemaßnahmen und Kontaktregeln vermitteln - und jetzt eben für die Impfung werben.

Wie im Rest der Gesellschaft gebe es auch bei Geflüchteten dieselbe Bandbreite von Einstellungen zu Corona - von Menschen, die die Krankheit sehr ernst nehmen bis zu solchen, die sie verharmlosen. Gleichzeitig sei es nicht immer einfach, bestehende Ängste abzubauen: „Es braucht viel Vertrauensarbeit“, sagt Terörde. In manchen Herkunftsländern seien Impfungen als solche weniger verbreitet. Weil viele schon allein mangelnder Sprachkenntnisse wegen keine deutschen Medien konsumierten, gebe es weniger Gegengewicht zu Falschinformationen, die sich in Sozialen Medien manchmal rasant ausbreiteten.

Die Stadt Essen produziert daher zurzeit eigene Info-Clips, etwa mit arabisch sprechenden Ärzten, um sie in die Chat- und Whatsapp-Gruppen der Migranten-Communities zu speisen. „Eine Impfung ist freiwillig. Wir können niemanden überreden, nur überzeugen“, betont Bodo Kolling, im Sozialamt der Stadt verantwortlich für die Flüchtlingsunterbringung. Mehrsprachige Ärzte haben daher vorab in Impfsprechstunden aufgeklärt über Nebenwirkungen und Nutzen des Vakzins. „Wir betonen, dass es darum geht, sich zu schützen und andere zu schützen“, sagt Maike Katzewksi, die Leiterin der Flüchtlingsunterkunft.

Mehrere Männer und Frauen stehen an diesem Freitag auch tatsächlich vor dem Raum, in dem das mobile Impfteam, bestehend aus mehrsprachigen Ärztinnen und Ärzten, schon die Spritzen aufzieht. „Mein Arzt hat gesagt, es sei gut für mich und meine Familie. Also bin ich hier“, sagt eine junge Mutter aus Nigeria. Es habe nur ein bisschen weh getan, wird sie nachher sagen.

Allerdings sind deutlich weniger gekommen als erhofft. Viele hatten gleich abgewunken. Auch von dem guten Drittel, dass sich noch am Vortag zu einer Impfung bereit erklärt hatte, ist nun nur noch die Hälfte aufgetaucht. Was hat sie aufgehalten? Eine Frau zögerte, weil sie ein Baby stillt, ein anderer fürchtete Komplikationen wegen seiner Medikamente, andere blieben aus unbekannten Gründen weg. Es ist zudem noch Ramadan - auch das Fasten sei für manche Muslime ein Hemmnis, erklären die Sozialarbeiter.

Die Enttäuschung ist den Verantwortlichen von Stadt und Diakoniewerk ins Gesicht geschrieben. Woran die Zurückhaltung bei allen Mobilisierungsanstrengungen lag, wollen sie nun noch einmal analysieren. Und nicht aufgeben. „Wir werden im Gespräch bleiben mit den Leuten, wir werden da dran bleiben“, sagt Kolling. Es soll einen weiteren Durchgang geben, später wenn die Geimpften berichten können, wie es wirklich war. Auch die Mitarbeiter im Heim haben heute ihren Impfschutz bekommen. „Jetzt hoffen wir, dass es hilft, wenn wir zeigen, dass es uns gut geht“, sagt Katzewski.

Der frisch geimpfte Nurallah Ullah jedenfalls will sich bemühen, seinen Mitbewohnern die Vorteile einer Impfung nahezubringen. „Große Erleichterung und große Immunität“, sagt er, grinst breit, so dass es auch hinter der Maske sichtbar ist, und lässt seinen gelben Impfausweis mit dem frischen Stempel darin im Rucksack verschwinden.

(chal/dpa)
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